NWB Nr. 26 vom Seite 1921

Das Steuerrecht als außergewöhnliche Belastung

Hans-Peter Schneider | Steuerberater | Schneiderteam Steuerberatungsgesellschaft, Lüneburg

Berechnung der zumutbaren Belastung

In diesem Heft berichtet über die außergewöhnlichen Belastungen im Sinne des § 33 EStG und deren neue Ermittlung der zumutbaren Belastung aufgrund der BFH-Entscheidung vom - VI R 75/14. Diese für den Steuerbürger günstige Entscheidung berichtigt eine jahrzehntelange falsche Rechtsauslegung des § 33 Abs. 3 EStG. Schade, dass dem steuerberatenden Beruf und auch der steuerrechtlichen Wissenschaft es an dieser „juristischen Kreativität“ gefehlt hat. Erfreulich zeitig hat das BMF auf diese Entscheidung reagiert. In der Pressemitteilung vom wird die Anwendung der neuen Berechnung bestätigt. Die EDV-technische Umsetzung soll kurzfristig erfolgen. Wo die neue Berechnung im Einkommensteuerbescheid noch nicht eingearbeitet ist, empfiehlt das BMF „ggf.“ Einspruch einzulegen.

Damit sind wir bei den Folgewirkungen der Entscheidung angekommen. Die Rechtsprechung wirkt grundsätzlich rückwirkend und ist in allen Fällen, die noch berichtigt werden können, zu berücksichtigen. Darauf geht das BMF (natürlich) nicht ein. Anhängige Einsprüche sind auf die steuerlichen Auswirkungen hin zu überprüfen. Diese Berechnung darf man getrost dem Finanzamt zumuten. Dies gilt selbstverständlich auch für anhängige Klageverfahren. Soweit der Steuerbescheid mit einem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 AO ausgestattet ist, kann die Korrektur des Steuerbescheids beantragt werden (§ 164 Abs. 2 AO). Wegen der Festsetzungsfrist (§§ 169 ff. AO) empfiehlt es sich, diesen Antrag zeitnah, auf alle Fälle noch in diesem Kalenderjahr zu stellen.

Spannender ist die aus meiner Sicht gebotene Korrektur gem. § 165 Abs. 2 AO. Diese Vorschrift ist anzuwenden, wenn der Steuerbescheid mit einem Vorläufigkeitsvermerk ausgestattet ist (z. B. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 4 AO). In der Regel gibt es diesen Vermerk hinsichtlich der zumutbaren Belastung. So ist eine Korrektur nicht zu verwehren, denn die Ermittlung der zumutbaren Belastung beinhaltet die Rechtsprüfung. Mit der neuen Wortauslegung ist sowohl unter verfassungsrechtlichen als auch einfach-rechtlichen Aspekten die neue Rechtsprechung zu beurteilen. Folglich ist ein Antrag auf Korrektur zu stellen. Auch hier ist zeitnah zu arbeiten, denn ein Ablauf der Festsetzungsfrist droht (§ 171 Abs. 8 AO). Zu diesen Fragen schweigt die Finanzverwaltung. Zumindest bei der erforderlichen Anwendung von § 165 Abs. 2 AO wird die Finanzverwaltung versuchen, zu verzögern oder zu verhindern. Ich befürchte, dass wieder erneut die Finanzgerichte bemüht werden müssen. Käme es dazu, ist dieser Fall ein beredtes Beispiel, wer den Steuerstreit provoziert. Der Steuerberater mit seinem Steuerpflichtigen wird regelmäßig nur auf Entwicklungen „reagieren“.

Es zeigt sich, die außergewöhnlichen Belastungen gibt es nicht nur in der Privatsphäre des Steuerpflichtigen. Man darf getrost das Steuerrecht mit seinem fiskalischen Umfeld als eine Art außergewöhnliche Belastung betrachten. Auch hier stellt sich dann die Frage nach der zumutbaren Belastung.

Hans-Peter Schneider

Fundstelle(n):
NWB 2017 Seite 1921
NWB CAAAG-48115