BMF - IV A 3 - S 0338/07/10010 BStBl 2017 I S. 66

Vorläufige Steuerfestsetzung (§ 165 Absatz 1 AO) im Hinblick auf anhängige Musterverfahren; Aufhebung der Vorläufigkeitsvermerke hinsichtlich der Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgaben, der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen, der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten und der Kürzung der Beiträge zur Basiskrankenversicherung um Bonuszahlungen der Krankenkasse für gesundheitsbewusstes Verhalten

Bezug: (BStBl 2011 I S. 464)

Bezug: (BStBl 2016 I S. 450)

Der , BStBl 2015 II S. 1046, entschieden, dass die Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgaben gemäß § 4 Absatz 5b EStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Weiter hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die gegen das , BStBl 2014 II S. 531, eingelegte Verfassungsbeschwerde mit , BStBl 2016 II S. 812, nicht zur Entscheidung angenommen.

Das BVerfG hat mit verschiedenen , BStBl 2016 II S. 801, und sowie und , die Verfassungsbeschwerden gegen die steuerliche Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen im Geltungsbereich des Alterseinkünftegesetzes vom nicht zur Entscheidung angenommen.

Der BFH hat mit , BStBl 2016 II S. 989, entschieden, dass Erstattungen einer gesetzlichen Krankenkasse im Rahmen eines Bonusprogramms gemäß § 65a SGB V für vom Steuerpflichtigen getragene Kosten für Gesundheitsmaßnahmen nicht mit den als Sonderausgaben abziehbaren Krankenversicherungsbeiträgen des Steuerpflichtigen zu verrechnen sind.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt daher Folgendes:

I.

In der Anlage zum (BStBl 2011 I S. 464), die zuletzt durch (BStBl 2016 I S. 450) geändert worden ist, werden mit sofortiger Wirkung

  • die bisherige Nummer 1 (Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer und der darauf entfallenden Nebenleistungen als Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 5b EStG),

  • die bisherige Nummer 3.b) (Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Absatz 1 Nummer 2 EStG (§ 10 Absatz 3 EStG) – für Veranlagungszeiträume ab 2010) sowie

  • die bisherige Nummer 4 (Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005)

gestrichen sowie

aufgehoben.

Ein Ruhenlassen außergerichtlicher Rechtsbehelfsverfahren kommt insoweit nicht mehr in Betracht.

Wegen der Zurückweisung von Einsprüchen und außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens gestellten Anträgen auf Aufhebung oder Änderung einer Einkommensteuerfestsetzung wegen der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Nichtabziehbarkeit von Beiträgen zu Rentenversicherungen als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften im Sinne des § 22 Nummer 1 Satz 3 Buchstabe a EStG für Veranlagungszeiträume ab 2005 wird auf die Allgemeinverfügung der obersten Finanzbehörden der Länder vom (BStBl 2016 I S. 1404) hingewiesen.

Zur steuerlichen Behandlung von Bonuszahlungen einer gesetzlichen Krankenkasse für gesundheitsbewusstes Verhalten (§ 65a SGB V) im Zusammenhang mit den als Sonderausgaben abziehbaren Beiträgen zur Basiskrankenversicherung im Sinne des § 10 Absatz 1 Nummer 3 Buchstabe a EStG siehe , BStBl 2016 I S. 1426.

Wegen der Änderung bislang insoweit vorläufig ergangener Einkommensteuerfestsetzungen ergeht eine gesonderte Weisung.

II.

Die Anlage zum (a. a. O.) wird mit sofortiger Wirkung wie folgt gefasst:

„Festsetzungen der Einkommensteuer sind hinsichtlich folgender Punkte gemäß § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 AO im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm vorläufig vorzunehmen:

1.a)

Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben (§ 4 Absatz 9, § 9 Absatz 6, § 12 Nummer 5 EStG)

– für die Veranlagungszeiträume 2004 bis 2014 –

1.b)

Abziehbarkeit der Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben (§ 4 Absatz 9, § 9 Absatz 6 EStG)

– für Veranlagungszeiträume ab 2015 –

2.a)

Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Absatz 3, 4, 4a EStG)

– für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2009 –

2.b)

Beschränkte Abziehbarkeit von sonstigen Vorsorgeaufwendungen im Sinne des § 10 Absatz 1 Nummer 3a EStG

– für Veranlagungszeiträume ab 2010 –

3.

Höhe der kindbezogenen Freibeträge nach § 32 Absatz 6 Sätze 1 und 2 EStG.

4.

Höhe des Grundfreibetrags (§ 32a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 EStG)

5.

Berücksichtigung von Beiträgen zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit im Rahmen eines negativen Progressionsvorbehalts (§ 32b EStG)

6.

Abzug einer zumutbaren Belastung (§ 33 Absatz 3 EStG) bei der Berücksichtigung von Aufwendungen für Krankheit oder Pflege als außergewöhnliche Belastung.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummern 1.a) und 1.b) ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerbescheiden für Veranlagungszeiträume ab 2004 beizufügen. Ferner ist er im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Ablehnungen einer Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags (§ 10d Absatz 4 EStG) beizufügen, wenn der Ablehnungsbescheid einen Feststellungszeitpunkt nach dem betrifft und die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Berücksichtigung von Aufwendungen für eine Berufsausbildung oder ein Studium als Werbungskosten oder als Betriebsausgaben beantragt wurde.

Für eine Aussetzung der Vollziehung in den Fällen der Nummern 1.a) und 1.b) gilt Folgendes:

  • Ein mit einem zulässigen Rechtsbehelf angefochtener Einkommensteuerbescheid für einen Veranlagungszeitraum ab 2004 ist auf Antrag in der Vollziehung auszusetzen, soweit die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung oder sein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben strittig ist und bei einer Berücksichtigung dieser Aufwendungen die Einkommensteuer herabzusetzen wäre. Die Vollziehungsaussetzungsbeschränkung gemäß § 361 Absatz 2 Satz 4 AO und § 69 Absatz 2 Satz 8 FGO gilt nicht (AEAO zu § 361, Nummer 4.6.1, vierter Absatz).

    Ein Einkommensteuerbescheid, der die Steuer auf 0 € festsetzt, ist kein vollziehbarer Verwaltungsakt (AEAO zu § 361, Nummer 2.3.2, erster Beispielsfall) und kann auch nicht im Hinblick auf die Bindungswirkung der Besteuerungsgrundlagen für eine Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags in der Vollziehung ausgesetzt werden, da § 10d Absatz 4 Satz 4 EStG zwar § 171 Absatz 10, § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 351 Absatz 2 AO, nicht aber § 361 Absatz 3 Satz 1 AO und § 69 Absatz 2 Satz 4 FGO für entsprechend anwendbar erklärt.

  • Die Ablehnung der Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags (§ 10d Absatz 4 EStG) ist auf Antrag in der Vollziehung auszusetzen, wenn sie einen Feststellungszeitpunkt nach dem betrifft, die Ablehnung der Feststellung mit einem zulässigen Rechtsbehelf angefochten wurde und der Steuerpflichtige die Feststellung zur Berücksichtigung von Aufwendungen für seine Berufsausbildung oder für sein Studium als Werbungskosten oder Betriebsausgaben beantragt hatte. Weitere Voraussetzung für eine Aussetzung der Vollziehung ist, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über den Vollziehungsaussetzungsantrag erkennbar ist, dass sich eine Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags in den Folgejahren steuerlich auswirken würde. Solange dies nicht der Fall ist, sind Anträge auf Aussetzung der Vollziehung wegen eines fehlenden Rechtsschutzinteresses abzulehnen. Zur Tenorierung einer Bewilligung der Aussetzung der Vollziehung gelten die Ausführungen im dritten Satz der Nummer 5.3 des AEAO zu § 361 entsprechend.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 2.b) ist in Fällen unbeschränkter Steuerpflicht im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2010 beizufügen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 3 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2001 mit einer Prüfung der Steuerfreistellung nach § 31 EStG sowie den mit derartigen Einkommensteuerfestsetzungen verbundenen Festsetzungen des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer beizufügen. [1] In Rechtsbehelfsverfahren gegen die Festsetzung der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer für den Veranlagungszeitraum 2014 gestellten Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 Absatz 2 FGO) ist zu entsprechen, soweit unter Berücksichtigung eines um 72 Euro erhöhten Kinderfreibetrags je Kind die Steuer herabzusetzen wäre und im Übrigen die Voraussetzungen des § 361 AO oder des § 69 FGO erfüllt sind. Ein Einkommensteuerbescheid ist hinsichtlich des Kinderfreibetrags kein Grundlagenbescheid für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer (, BStBl 2011 II S. 543, und , BFH/NV 2012 S. 921); § 361 Absatz 3 Satz 1 AO und § 69 Absatz 2 Satz 4 FGO sind daher insoweit nicht anwendbar.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 4 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen für Veranlagungszeiträume ab 2001 beizufügen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 5 ist im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen beizufügen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erfassen.

Der Vorläufigkeitsvermerk gemäß Nummer 6 ist in Fällen unbeschränkter Steuerpflicht im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtlichen Einkommensteuerfestsetzungen beizufügen.

Ferner sind im Rahmen der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sämtliche Festsetzungen des Solidaritätszuschlags für die Veranlagungszeiträume ab 2005 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 vorläufig gemäß § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 AO vorzunehmen.”

BMF v. - IV A 3 - S 0338/07/10010


Fundstelle(n):
BStBl 2017 I Seite 66
DB 2017 S. 219 Nr. 5
DStR 2017 S. 1044 Nr. 19
EStB 2017 S. 111 Nr. 3
ErbStB 2017 S. 75 Nr. 3
FR 2017 S. 354 Nr. 7
XAAAG-36162

1Soweit Einkommensteuerfestsetzungen von bayerischen Finanzämtern durchgeführt werden, erstreckt sich der Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Höhe der kindbezogenen Freibeträge auch auf die nach § 51a Absatz 2 EStG modifizierte Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer.