Online-Nachricht - Dienstag, 26.03.2013

Haftungsrecht | Schadensersatz für Sturz nach Verkehrsunfall (BGH)

Verlässt ein Unfallbeteiligter wegen eines Auffahrunfalls bei eisglatter Fahrbahn sein Fahrzeug und bricht sich danach infolge eines Sturzes ein Schultergelenk, so ist der Unfallverursacher zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verpflichtet. Durch den Sturz verwirklicht sich nicht eine aufgrund der Straßenverhältnisse gegebene allgemeine Unfallgefahr, sondern die besondere durch den Unfall gegebene Gefahrenlage ().


Hintergrund: Bei einem Unfall im Straßenverkehr haftet der Schädiger dem Geschädigten aufgrund zweier Haftungstatbestände: Der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung (§§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG) und bei einer (in aller Regel vorliegenden) Verletzung von Vorschriften der StVO auch deliktsrechtlich nach § 823 Abs. 2 BGB. Erforderlich ist jedoch für beide Tatbestände, dass zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem eingetretenem Schaden ein haftungsrechtlicher Zurechnungszusammenhang besteht.

Sachverhalt: Am rutschte der PKW der Beklagten auf eisglatter Straße gegen den vor einer vorfahrtsberechtigten Straße anhaltenden PKW des Klägers. Dabei verhakte sich die vordere Stoßstange des PKW der Beklagten mit der Anhängerkupplung am Fahrzeug des Klägers, ohne dass die Fahrzeuge beschädigt wurden. Der Kläger stieg aus, um den Schaden zu begutachten. Dabei stürzte er und brach sich das rechte Schultergelenk. LG und OLG haben seine Klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz mit der Begründung zurückgewiesen, mit dem Sturz habe sich nur ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das mit den Gefahren des Straßenverkehrs nicht in einem inneren Zusammenhang stehe. Deshalb könne der eingetretene Schaden dem sorgfaltswidrigen Verhalten der Beklagten nicht zugerechnet werden.

Hierzu führte das Gericht u.a. weiter aus: Die Revision des Klägers hat Erfolg. In seinem Sturz realisierte sich die besondere Gefahrenlage für die an einem Unfall beteiligten Fahrzeugführer, die zur Schadensfeststellung das Fahrzeug verlassen müssen und sich auf der Fahrbahn bewegen. Der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang kann daher nicht verneint werden. Auch fallen die geltend gemachten Unfallfolgen in den Schutzbereich der von der Beklagten verletzten Vorschriften der StVO (§§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 2 StVO). Der Kläger hat auch einen Anspruch aus Gefährdungshaftung. An einem auch hier erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es nur dann, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung der Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Geschädigten schadlos stellen will. Deshalb ist die Verletzung des Klägers der vom Fahrzeug der Beklagten ausgehenden Betriebsgefahr zuzurechnen.

Anmerkung: Es ist erstaunlich, wie zwei Gerichte hier zu einer Klagabweisung kommen konnten, obwohl das vom BGH gewonnene Ergebnis nicht auf umstrittenen rechtlichen Fragen beruht und in jeder Weise dem Rechtsgefühl eines verständigen und unverbildeten Menschen entspricht.

Quelle: NWB Datenbank


Autor: Ingo Ehlers, Rechtsanwalt, Freiburg

 

Fundstelle(n):
NWB XAAAF-45639