Online-Nachricht - Mittwoch, 29.08.2012

Elterngeld | Ausschluss ausländischer Staatsangehöriger mit Aufenthaltstiteln (BVerfG)

Der Ausschluss ausländischer Staatsangehöriger mit humanitären Aufenthaltstiteln vom Bundeserziehungsgeld und vom Bundeselterngeld ist verfassungswidrig. Das BVerfG hat die entsprechenden Vorschriften daher wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung für nichtig erklärt (, 1 BvL 3/10, 1 BvL 4/10 1 BvL 3/11; veröffentlicht am ).

Hintergrund: Nach dem bis zum geltenden Bundeserziehungsgeldgesetz in der hier maßgeblichen Fassung von 2006 (BErzGG) und dem am in Kraft getretenen Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)  ist die Gewährung von Erziehungs- bzw. Elterngeld an ausländische  Staatsangehörige davon abhängig, über welche Art von Aufenthaltstiteln  die Betroffenen verfügen (§ 1 Abs. 6 BErzGG und § 1 Abs. 7 BEEG). Die zum unbefristeten Aufenthalt berechtigende Niederlassungserlaubnis führt  immer zur Anspruchsberechtigung. Hingegen sind die Inhaber einer befristeten Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich nur dann anspruchsberechtigt, wenn die Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat. Vom Anspruch auf Erziehungs- oder Elterngeld auch dann grds. ausgenommen sind allerdings ausländische Staatsangehörige, denen der Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen erlaubt ist. Für die Inhaber solcher humanitärer Aufenthaltserlaubnisse gilt jedoch eine Rückausnahmeregelung, wonach sie dann einen Anspruch auf Erziehungs- oder Elterngeld haben, wenn sie sich seit mindestens drei Jahren  rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und eines der in § 1 Abs. 6 Nr. 3b BErzGG bzw. § 1 Abs. 7 Nr. 3b BEEG genannten Merkmale der Arbeitsmarktintegration erfüllen, das heißt im Bezugszeitraum entweder im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig sind, Arbeitslosengeld I beziehen oder Elternzeit in Anspruch nehmen.

Sachverhalt: Die Kläger des Ausgangsverfahrens verfügten während des streitigen Zeitraums über humanitäre Aufenthaltstitel, waren zur Erwerbstätigkeit berechtigt und erfüllten auch das Aufenthaltserfordernis, nicht jedoch die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 Nr. 3b BErzGG bzw. § 1 Abs. 7 Nr. 3b BEEG. Ihre auf Gewährung von  Erziehungs- bzw. Elterngeld gerichteten Klagen führten zur Vorlage durch das Bundessozialgericht, das die Regelungen in § 1 Abs. 6 Nr. 3b BErzGG  und § 1 Abs. 7 Nr. 3b BEEG für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz hält.

Hierzu führte das BVerfG u.a. aus: Die vorgelegten Regelungen benachteiligen die betroffenen ausländischen Eltern in verfassungswidriger Weise (Art. 3 Abs. 1 GG). Sie verwehren Inhabern humanitärer Aufenthaltstitel, die die genannten Merkmale der Arbeitsmarktintegration nicht erfüllen, eine Leistung, die andere Eltern mit identischem Aufenthaltstitel erhalten. Diese Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt. Die vorgelegten Regelungen verstoßen überdies gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Benachteiligung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Sie benachteiligen Frauen im Vergleich zu Männern, weil sie den Anspruch auf Erziehungs- oder Elterngeld von arbeitsmarktbezogenen Voraussetzungen abhängig machen, die Frauen schwerer erfüllen können als Männer. So stehen Frauen aufgrund mutterschutzrechtlicher Vorschriften - anders als Männer - in den ersten acht Wochen nach der Geburt eines Kindes dem Arbeitsmarkt aus rechtlichen Gründen nicht zur Verfügung. Zudem ist stillenden Müttern die Ausübung einer Erwerbstätigkeit praktisch nur unter erschwerten Umständen möglich.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilug v.

 

Fundstelle(n):
NWB WAAAF-44530