BFH Urteil v. - XI R 27/13

Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung als umsatzsteuerbare Leistungen; wirtschaftliche Tätigkeit i.S. des Mehrwertsteuerrechts

Leitsatz

1. Werden die von einer gemeinnützigen GmbH durchgeführten Qualifizierungs-, Ausbildungs-, Umschulungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose, Jugendliche und gesellschaftlich benachteiligte Menschen durch Zahlungen einer Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung finanziert, liegen umsatzsteuerbare Leistungen vor, wenn sich die Leistung der GmbH auf die Erlangung der Zahlung richtet.
2. Zu dem bei einer Vorsteueraufteilung analog § 15 Abs. 4 UStG im Rahmen einer Schätzung maßgeblichen "Gesamtumsatz" gehören auch Zuschüsse, weil sie den Umfang der nicht steuerbaren Tätigkeit des Unternehmers widerspiegeln.
3. Auch gemeinnützige, aus ideellen Zwecken verfolgte Tätigkeiten können wirtschaftliche Tätigkeiten i.S. des Umsatzsteuerrechts sein.

Gesetze: UStG § 1 Abs.1 Nr. 1 Satz 1, UStG § 10 Abs. 1 Satz 3, UStG § 15 Abs. 4, EWGRL 388/77 Art. 17 Abs. 5, FGO § 155, ZPO § 563, FGO § 119 Nr. 1, FGO § 51, GG Art. 101 Abs. 1

Instanzenzug: ,

Tatbestand

1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Jahr 2005 gegründete und in das Handelsregister eingetragene GmbH. Sie verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der Abgabenordnung. Zweck der Gesellschaft ist die Förderung der Volks- und Berufsausbildung und Jugendhilfe, insbesondere der freien Wohlfahrtspflege, durch Eingliederung von Langzeitarbeitslosen, Jugendlichen und gesellschaftlich benachteiligten Menschen in die Arbeit und Gestaltung der Freizeit für Jugendliche sowie Anregungen von Freizeit- und Erholungsaktivitäten im Rahmen der Qualifizierungsmaßnahmen für Erwachsene (§ 2 Abs. 2 der Satzung). Diesen Zweck verwirklicht die Klägerin durch Qualifizierungs-, Ausbildungs-, Umschulungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose, Jugendliche und gesellschaftlich benachteiligte Menschen und durch Schaffung von Arbeitsplätzen (§ 2 Abs. 3 der Satzung). Nach § 4 Abs. 2 der Satzung liegt das Schwergewicht der Tätigkeit der Gesellschaft in der beruflichen Qualifizierung und insbesondere in der sozialen Betreuung sowie der Integration in das Arbeitsleben.

2 Im Jahr 2006 (Streitjahr) betrieb die Klägerin im Wesentlichen die Rückgewinnung von Rohstoffen aus Elektrogeräten (im Folgenden: Elektronik-Schrott Recycling); dabei wurden bei der Zerlegung der Geräte ausschließlich sog. Langzeitarbeitslose und sonst schwer vermittelbare, ungelernte Personen zur Verwirklichung der vorgenannten satzungsmäßigen Ziele eingesetzt.

3 In ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung für das Streitjahr ging die Klägerin davon aus, sie verfüge über einen unternehmerischen und einen nichtunternehmerischen Bereich; sie berechnete eine negative Umsatzsteuer und machte dabei abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 86.270,83 € geltend.

4 Nach Durchführung einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Jahre 2005 und 2006 nahm auch der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) an, die Klägerin verfüge über einen nichtunternehmerischen Bereich und vertrat ferner die Auffassung, die Klägerin habe von der Arbeitsgemeinschaft A (ARGE) „echte“ Zuschüsse für eine nicht steuerbare, nichtunternehmerische Tätigkeit erhalten.

5 Das FA erkannte im Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für das Jahr 2006 vom Vorsteuerbeträge in Höhe von insgesamt 30.744,41 € als abziehbar an. Es ließ die auf die Anschaffung von Investitionsgütern entfallende Umsatzsteuer voll zum Vorsteuerabzug zu und setzte eine unentgeltliche Wertabgabe (zum ermäßigten Steuersatz) für die nichtunternehmerische Verwendung der Investitionsgüter (Anlagevermögen) an. Die auf die übrigen vorsteuerbelasteten Eingangsleistungen entfallende Vorsteuer sah das FA nur zu 13 % als abziehbar an. In die Berechnung dieses Prozentsatzes bezog es die Zahlungen der ARGE im Nenner mit ein. Der Einspruch blieb erfolglos.

6 Mit der Klage brachte die Klägerin u.a. vor, sie verfolge gemeinnützige Zwecke und unterhalte dazu einen Zweckbetrieb „Elektronik-Schrott Recycling“, der ihr Unternehmen darstelle. Daneben bestehe ein abgegrenzter, ideeller, nichtunternehmerischer Bereich. Sie habe eine exakte sachliche Aufgliederung der gesamten Vorsteuerbeträge im Verlauf der Umsatzsteuer-Sonderprüfung vorgenommen. Dieser Zuordnung sei das FA aber nur zum Teil gefolgt.

7 Nachdem eine in einem Erörterungstermin am von den Beteiligten in Aussicht gestellte Einigung für das Jahr 2006 nicht zustande gekommen war, legitimierte sich im Februar 2013 der Prozessbevollmächtigte der Klägerin als Unterbevollmächtigter und der damalige Prozessbevollmächtigte beantragte Fristverlängerung bis Mai 2013. Der Vorsitzende des zuständigen Senats des Finanzgerichts (FG), X, lud daraufhin die bereits seit Februar 2010 anhängige Sache zur mündlichen Verhandlung am und lehnte die beantragte Fristverlängerung ab.

8 Den daraufhin gestellten Befangenheitsantrag der Klägerin gegen X lehnte das ab.

9 Das FG wies die Klage durch Urteil vom selben Tag ab. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1532 veröffentlicht. Auch das FG ging davon aus, die Klägerin verfüge über einen wirtschaftlichen (unternehmerischen) und einen nichtwirtschaftlichen (nichtunternehmerischen) Bereich; dies sei „zwischen den Beteiligten unstreitig“. Wirtschaftlicher Bereich sei der Zweckbetrieb „Elektronik-Schrott Recycling“. Der nichtwirtschaftliche Bereich der Klägerin bestehe in der Wiedereingliederung von schwer vermittelbaren Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt. Wirtschaftliche, aber von der Mehrwertsteuer befreite (steuerfreie) Tätigkeiten, übe die Klägerin dagegen nicht aus. Weiter gehe das FG davon aus, dass es sich bei den der Klägerin im Streitjahr gewährten Zuschüssen der ARGE um echte, nicht steuerbare Zuschüsse für eine Maßnahme nach § 16 Abs. 2 Satz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch handele. Zur Begründung dieser Annahme führte das FG an, von dieser Sichtweise gingen „auch die Beteiligten übereinstimmend aus“.

10 Gemessen am Inhalt der Satzung und der Intensität der im Streitjahr tatsächlich verwirklichten Gesamttätigkeit sei Hauptzweck der Tätigkeit der Klägerin der nichtunternehmerische Bereich, dem eine etwaige unternehmerische Tätigkeit als Zweckbetrieb dienend unterzuordnen sei; er könne deshalb auch nicht als „unternehmensfremd“ betrachtet werden. Zutreffend sei zwar der Ansatz der Klägerin, dass sie einen wirtschaftlichen und einen nichtwirtschaftlichen Bereich unterhalte. Diese Bereiche seien allerdings innerhalb eines einheitlichen Steuersubjekts und Unternehmens mit dem genannten Hauptzweck betrieben worden; denn der Betrieb des „Elektronik-Schrott Recyclings“ (wozu im weiteren Sinn auch der Verkauf reparierter Geräte zu rechnen sei) sei das zentrale Instrument der Klägerin zur Verwirklichung ihres gemeinnützigen Zwecks, der Wiedereingliederung von schwer vermittelbaren Arbeitnehmern in den sog. ersten Arbeitsmarkt. Insoweit dienten auch alle Maschinen und Werkzeuge sowie alle anderen Eingangsleistungen in erster Linie dem (nichtwirtschaftlichen) Hauptzweck.

11 Da die von der Klägerin vorgenommene Aufteilung der abziehbaren Vorsteuerbeträge nicht sachgerecht (§ 15 Abs. 4 Satz 2 des UmsatzsteuergesetzesUStG— analog) sei, habe das Gericht sie zu schätzen. Dabei sei auf das Verhältnis der im Streitjahr erhaltenen Zuschüsse zu den Entgelten der ausgeführten Umsätze abzustellen, weil sowohl die Klägerin als auch ihre Zuschussgeber davon ausgingen, dass die Klägerin zur Verwirklichung ihrer gemeinnützigen Zwecke in Höhe der staatlichen Zuwendungen nicht kostendeckend tätig sein könne. Daraus errechne sich eine Quote von (aufgerundet) 11 % (8.979,40 €) für den unternehmerischen Teil der „Umsätze“. Da das FG die Rechtsposition der Klägerin nicht verschlechtern dürfe (Verböserungsverbot), verbleibe es bei der vom FA zum Abzug zugelassenen Vorsteuer.

12 Mit ihrer Revision macht die Klägerin als Revisionsgründe Verfahrensfehler (vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts wegen unzutreffender Ablehnung des Befangenheitsantrags) sowie die Verletzung materiellen Rechts (§ 15 UStG) geltend. Es könne kein vorsteuerbelasteter Eingangsumsatz hinweggedacht werden, ohne dass die steuerpflichtigen Ausgangsumsätze vermindert oder beeinträchtigt würden. Die Vorsteuerbeträge seien nach Art und Struktur für ihr Recyclingunternehmen betriebstypisch. Die Vorsteuer sei daher voll abziehbar und nicht der nichtwirtschaftlichen Tätigkeit der Klägerin zuzurechnen. Es liege eine reine Anschubfinanzierung vor. Ein permanenter Vorsteuerüberhang sei auch nicht unlogisch oder systemwidrig. Deutschland habe vom Wahlrecht, Subventionen in die Berechnung des Pro-rata-Satzes einzubeziehen, keinen Gebrauch gemacht.

13 Die Klägerin bringt unter Hinweis auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. k, l und m der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem weiter vor, ideelle Tätigkeiten seien für die Frage der Steuerbarkeit irrelevant; nicht jede ideelle Tätigkeit sei der nichtwirtschaftlichen Sphäre zuzurechnen.

14 Außerdem macht die Klägerin geltend, ihr sei wegen des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom IV A 2 -S 7200- 25/83 (BStBl I 1983, 262) sowie Abschn. 150 Abs. 7 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) 2005 Vertrauensschutz zu gewähren.

15 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben sowie den Umsatzsteuerbescheid vom dahingehend zu ändern, dass die unentgeltlichen Wertabgaben um 34.051,52 € vermindert werden und Vorsteuer in Höhe von 74.509,85 € zum Abzug zugelassen wird, hilfsweise, den Rechtsstreit an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen, weiter hilfsweise, den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um Vorabentscheidung der Frage zu ersuchen, ob Vorsteuern auf Eingangsleistungen, die für umsatzsteuerpflichtige Ausgangsumsätze unverzichtbar sind, nur deshalb nicht abziehbar sind, weil die Wertschöpfungskette aus Gründen des Ausbildungskonzepts eines Qualifizierungsbetriebs ineffizient ist.

16 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

17 Es trägt unter Hinweis auf eine Vereinbarung der Klägerin mit der ARGE vom November 2005 vor, die Zuschüsse seien keine reine Anschubfinanzierung. Das FA sehe nicht den permanenten Vorsteuerüberhang als schädlich an, sondern den fehlenden Zusammenhang der Eingangsleistungen mit besteuerten Ausgangsumsätzen. Jedenfalls habe das FG keine ausreichenden Feststellungen zur Steuerbarkeit der Umsätze getroffen.

Gründe

18 II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

19 Da die Klägerin ihre Revision auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt hat, hat der Senat gemäß dem Grundsatz der Vollrevision (vgl. z.B. , BFHE 207, 560, BStBl II 2005, 802, unter II.1.) das angefochtene Urteil in vollem Umfang auf die Verletzung revisiblen Rechts zu prüfen, ohne dabei an die vorgebrachten Revisionsgründe gebunden zu sein (vgl. z.B. , BFHE 184, 444, BStBl II 1999, 316; vom X R 19/11, BFH/NV 2014, 1736).

20 Danach kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht seine Annahme, dass die Klägerin mit der Durchführung von „Qualifizierungs-, Ausbildungs-, Umschulungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“ nicht unternehmerisch tätig geworden sei (dazu 1.). Auch hat das FG keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen, um beurteilen zu können, ob die Zuschüsse der ARGE möglicherweise Entgelt von Dritter Seite für Leistungen an die Teilnehmer der von ihr durchgeführten Maßnahmen oder an die Empfänger der Entsorgungsdienstleistungen sein könnten (dazu 2.), so dass der Rechtsstreit zur Nachholung der fehlenden Feststellungen an das FG zurückverwiesen werden muss. Ob der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, bedarf deshalb keiner Entscheidung.

21 1. Die Annahme des FG, die Leistungen der Klägerin an die ARGE seien nicht steuerbar, wird von den bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht getragen.

22 a) Ein steuerbarer Umsatz in Form einer Leistung gegen Entgelt i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG liegt vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Leistung bildet (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 205, 342, BStBl II 2004, 798; vom XI R 11/11, BFHE 238, 560, BFH/NV 2013, 326; s. auch EuGH-Urteile Apple and Pear Development Council vom C-102/86, EU:C:1988:120, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1989, 452, Rz 11; Mohr vom C-215/94, EU:C:1996:72, HFR 1996, 294; Landboden-Agrardienste vom C-384/95, EU:C:1997:627, HFR 1998, 315).

23 b) Welche Grundsätze insoweit für Leistungen im Bereich der Arbeitsmarktförderung, insbesondere für Beschäftigungsmaßnahmen für Langzeitarbeitslose u.ä. gelten, hat der Senat in seinem Urteil vom XI R 10/14 (BFHE 250, 268, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2015, 1914, Rz 19 bis 25) ausführlich dargelegt. Darauf nimmt er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

24 c) Ob angesichts dieser Grundsätze die Leistungen der Klägerin an die ARGE steuerbar sind, kann mangels Feststellungen des FG vom Senat nicht beurteilt werden. Das FG hat nämlich das zwischen der Klägerin und der ARGE bestehende Rechtsverhältnis nicht festgestellt. Auch hat das FG keine weiteren Feststellungen z.B. zu Geschäftsgegenstand und Tätigkeit der ARGE, einer (privatrechtlichen) GmbH, getroffen. Kann anhand der Feststellungen des FG nicht nachgeprüft werden, ob das FG zu Recht zu einem bestimmten Ergebnis gelangt ist, liegt ein materieller Fehler vor, der ohne Rüge zur Aufhebung der Vorentscheidung führt (vgl. , BFH/NV 2001, 899, unter II.3.; vom VI R 107/01, juris; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 118 FGO Rz 100 ff., m.w.N. aus der ständigen Rechtsprechung des BFH).

25 aa) Das FG hat auf Seite 9 seines Urteils ausgeführt, die Klägerin verfüge über einen nichtunternehmerischen Bereich. Dies sei „unstreitig“. Der nichtwirtschaftliche Bereich bestehe in der Verwirklichung gemeinnütziger Zwecke laut Satzung. Wirtschaftliche, aber steuerfreie Tätigkeiten habe die Klägerin nicht ausgeübt.

26 bb) Diese Annahmen werden jedoch von den tatsächlichen Feststellungen des FG nicht getragen (vgl. auch , BFH/NV 2011, 2091). Allein der Hinweis, dies sei „unstreitig“, lässt keine Subsumtion des Sachverhalts des Streitfalls unter die unter II.1.a und b genannten Grundsätze zu, zumal die Feststellung des Vorliegens eines nichtunternehmerischen Bereichs juristische Wertungen verlangt und überdies das Revisionsvorbringen der Beteiligten zeigt, dass in der Beurteilung der —vom FG nicht festgestellten— Vereinbarungen der Klägerin mit der ARGE durchaus Differenzen bestehen. Zudem hat die Klägerin in anderem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass auch gemeinnützige, aus ideellen Zwecken verfolgte Tätigkeiten wirtschaftlich sein können, wie u.a. die Existenz des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der im Streitjahr noch anwendbaren Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) zeigt. Deshalb kann nicht aus der vom FG festgestellten Satzung geschlossen werden, die Tätigkeit sei nichtwirtschaftlich. Vielmehr hätte das FG zunächst den Inhalt der Verträge der Klägerin mit der ARGE, nach den Ausführungen des FA wohl u.a. vom November 2005 —auf die das FG nicht Bezug genommen hat— feststellen müssen. Sollte(n) diese(r), was aus Sicht des Senats nahe liegt, als synallagmatisch anzusehen sein, liegt grundsätzlich ein steuerbarer Leistungsaustausch vor, obwohl die Klägerin eine gemeinnützige GmbH ist.

27 cc) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist im Streitfall nicht „geklärt“ —und im Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem FG sowie im FG-Urteil auf Seite 16 unter 2. „ausreichend beschrieben"—, dass es sich um eine „Fehlbedarfsfinanzierung“ und „Anschubfinanzierung“ handelt. Die entsprechende Passage im FG-Urteil enthält (lediglich) die Begründung, warum das FG die von der Klägerin angebotenen Beweise nicht erhoben hat, aber —auch unter Berücksichtigung des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem FG— keine den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen. Diese bezögen sich zudem nicht auf den konkreten Inhalt der oder des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisse(s).

28 d) Soweit die Klägerin ferner geltend gemacht hat, ihr sei Vertrauensschutz zu gewähren, greift dieser Einwand nicht durch.

29 aa) Weder das BMF-Schreiben in BStBl I 1983, 262 noch Abschn. 150 Abs. 7 UStR 2005 beziehen sich ausdrücklich auf Leistungen einer ARGE der vorliegenden Art.

30 bb) Norminterpretierende Verwaltungsanweisungen, die die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern sollen, haben überdies keine Rechtsnormqualität (z.B. , juris, unter 1., Rz 4 f.; , BFHE 232, 261, BStBl II 2012, 61, Rz 68). Sie stehen konkludent unter dem Vorbehalt einer davon abweichenden Auslegung der Norm durch die Rechtsprechung (, BFHE 203, 531, BStBl II 2004, 196, unter II.4.b, Rz 40); darüber, ob die Auslegung einer Rechtsnorm durch die Finanzverwaltung im Einzelfall Bestand hat, entscheidet das Gericht (, BFHE 214, 239, BStBl II 2007, 687, unter II.2.c cc(3)(b), Rz 26). Norminterpretierende Verwaltungsvorschriften können deshalb im Allgemeinen weder eine einer Rechtsverordnung vergleichbare Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen (vgl. , BFHE 178, 4, BStBl II 1995, 754; vom V R 34/10, BFH/NV 2012, 803, Rz 21; , BFHE 240, 447, BStBl II 2013, 973, Rz 21; , BFHE 243, 35, BStBl II 2014, 133, Rz 23; vom IV R 10/11, BFHE 246, 76, BStBl II 2015, 300, Rz 24).

31 cc) Der Einwand der Klägerin, nach der Rechtsprechung des EuGH sei Vertrauensschutz zu gewähren, wenn Handlungen oder Zusicherungen einer Verwaltungsbehörde in der Vorstellung eines umsichtigen und besonnenen Wirtschaftsteilnehmers vernünftige Erwartungen begründet haben und diese Erwartungen berechtigt sind (vgl. dazu EuGH-Urteile Elmeka vom C-181/04 bis C-183/04, EU:C:2006:563, BFH/NV Beilage 2007, 61, Rz 32; Tomoiaga vom C-144/14, EU:C:2015:452, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2015, 601, Rz 43 ff.; Salomie und Oltean vom C-183/14, EU:C:2015:454, UR 2015, 594, Rz 44 ff.), greift ebenfalls nicht durch. Eine ausdrückliche Zusage des FA hat die Klägerin nicht erhalten und sich auch nicht um eine solche bemüht (vgl. dazu EuGH-Urteil Salomie und Oltean, EU:C:2015:454, UR 2015, 594, Rz 49). Überdies wäre, was das FG noch festzustellen haben wird, bei Vorliegen eines Leistungsaustauschs die Erwartung der Klägerin, ihre Leistung werde nicht besteuert, nicht berechtigt.

32 2. Auch ist das FG nicht hinreichend der Frage nachgegangen, ob bei anderer Sichtweise die Zuschüsse der ARGE Entgelt von dritter Seite für steuerbare Umsätze der Klägerin an die Begünstigten oder die Teilnehmer der Maßnahmen sein könnten.

33 a) Der Senat hat die dafür maßgeblichen Grundsätze in seinem Urteil in BFHE 250, 268, DStR 2015, 1914, Rz 28 bis 30 ausführlich dargestellt. Auch darauf nimmt er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

34 b) Ob nach diesen Grundsätzen die „Zuschüsse“ der ARGE Entgelt von dritter Seite für eine steuerbare Leistung der Klägerin an die Teilnehmer oder an die Empfänger der steuerpflichtigen Leistungen sein könnten, kann ebenfalls nicht beurteilt werden; denn das Urteil des FG enthält (auch) dazu keine ausreichenden Feststellungen. Zu dieser Frage hat das FG auf Seite 10 des Urteils lediglich ausgeführt, es gehe „weiter davon aus, dass es sich bei den…Zuschüssen der ARGE um echte, nicht steuerbare Zuschüsse“ handele, und darauf hingewiesen, davon gingen auch die Beteiligten übereinstimmend aus. Dies genügt —insbesondere angesichts der partiellen Nichtanwendung der Grundsätze der Rechtsprechung durch die Finanzverwaltung— aus den unter II.1.c genannten Gründen ebenfalls nicht.

35 3. Die Sache geht mangels Spruchreife zur Nachholung weiterer Feststellungen an das FG zurück.

36 a) Das FG wird die zur Beurteilung der genannten Vorfragen notwendigen Feststellungen nachholen und die bestehenden Rechtsverhältnisse würdigen müssen.

37 b) Sollten die Leistungen der Klägerin steuerbar sein, wird das FG der Frage nachgehen müssen, ob die Umsätze nach nationalem Recht (z.B. § 4 Nr. 21 oder 22 UStG) oder —sollte sich die Klägerin darauf berufen— ggf. nach Unionsrecht (z.B. Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g oder i der Richtlinie 77/388/EWG) steuerfrei sind. Die als gemeinnützig anerkannte Klägerin, der Leistungen von einem Träger der Grundsicherung vergütet worden sind, könnte eine anerkannte Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung sein (vgl. , BFHE 217, 59, BStBl II 2010, 999, Rz 34).

38 c) Käme es danach für den Erfolg oder Misserfolg der Klage überhaupt noch auf die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage an, weist der Senat auf das (BFH/NV 2015, 364, Rz 35 ff.) hin: Zu dem bei einer Vorsteueraufteilung analog § 15 Abs. 4 UStG im Rahmen einer Schätzung maßgeblichen „Gesamtumsatz“ gehören auch Zuschüsse, weil sie den Umfang der nicht steuerbaren Tätigkeit des Unternehmers widerspiegeln.

39 aa) Aus dem (BFH/NV 2008, 1215, unter 2., Rz 3, 4 und 7) folgt nichts anderes; denn der Senat hat es dort in Rz 7 als nicht hinreichend dargelegt angesehen, aus welchen Rechtsgründen bei der gebotenen schätzungsweisen Aufteilung der Vorsteuern von der öffentlichen Hand gezahlte, echte Zuschüsse unberücksichtigt bleiben sollten, d.h. die Vorsteuern ausschließlich dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen wären.

40 bb) Der Einwand der Klägerin, diese Sichtweise widerspreche Rz 28 des EuGH-Urteils Larentia + Minerva vom C-108/14 und C-109/14 EU:C:2015:496, DStR 2015, 1673) und den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Sveda vom C-126/14 (EU:C:2015:254), führt zu keiner anderen Beurteilung.

41 (1) Denn Rz 28 des EuGH-Urteils Larentia + Minerva (EU:C:2015:496, DStR 2015, 1673), trifft lediglich eine Aussage zum Vorsteuerabzug einer Holdinggesellschaft. Die Klägerin macht jedoch selbst geltend, sie übe auch eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit aus.

42 (2) Die Generalanwältin Kokott geht in Rz 52 ihrer Schlussanträge in der Rechtssache Sveda vom C-126/14 (EU:C:2015:254) davon aus, dass ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang der Eingangsumsätze mit der Erbringung besteuerter Umsätze u.a. dann unterbrochen ist, wenn die primäre Verwendung des Leistungsbezugs eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit darstellt, weil nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteile Securenta vom C-437/06, EU:C:2008:166, BStBl II 2008, 727, Rz 30; Vereniging Noordelijke Land-en Tuinbouw Organisatie —VNLTO— vom C-515/07, EU:C:2009:88, DStR 2009, 369, Rz 37) kein Recht auf Vorsteuerabzug hinsichtlich der Aufwendungen eines Steuerpflichtigen besteht, soweit sie mit der Ausübung nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten zusammenhängen. Von der primären Verwendung der Leistungsbezüge für die nichtwirtschaftliche Tätigkeit der Klägerin ist das FG auf Seite 10 f. seines Urteils ausgegangen. Die konkrete Würdigung, ob ein vorrangiger, direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit besteuerten Umsätzen besteht, obliegt dem FG (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2015, 364, Rz 30).

43 Überdies vermag —anders als die Klägerin meint— auch nach Auffassung der Generalanwältin Kokott ein bloßer Kausalzusammenhang keinen direkten und unmittelbaren Zusammenhang im Sinne der genannten Rechtsprechung des EuGH zu begründen (vgl. auch EuGH-Urteil Becker vom C-104/12, EU:C:2013:99, DStR 2013, 411, Rz 31).

44 d) Für die beantragte Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG besteht kein Anlass.

45 aa) Die Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG ist nur möglich, wenn ernstliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter des erkennenden Senats des FG bestehen (vgl. , BFH/NV 2008, 1365; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 126 FGO Rz 41, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 126 Rz 15). Da eine solche Maßnahme das Recht beider Beteiligter auf ihren gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes, § 119 Nr. 1 FGO) berührt, müssen hierfür besondere sachliche Gründe vorliegen (vgl. , BFHE 200, 1, BStBl II 2003, 142, Bergkemper in HHSp, § 126 FGO Rz 53, m.w.N.).

46 bb) Der Vortrag der Klägerin hierzu und der Verfahrensablauf im ersten Rechtszug rechtfertigen eine solche Maßnahme nicht.

47 Da sich die Frage einer Zurückverweisung generell nur bei rechtsfehlerhafter Vorentscheidung stellt, kann die Zurückverweisung an einen anderen Senat des FG nicht allein mit der materiell- oder verfahrensrechtlichen Unrichtigkeit des Urteils begründet werden (vgl. , BFH/NV 2014, 545). Sachliche Meinungsverschiedenheiten in Fragen der richterlichen Prozessführung reichen für eine Besorgnis der Befangenheit nicht aus (vgl. , BFH/NV 2001, 1126). Die Unvoreingenommenheit des erkennenden Senats des FG zeigt sich schon daran, dass er die Revision selbst zugelassen und damit sein Urteil in vollem Umfang zur Überprüfung des BFH gestellt hat (vgl. , BFHE 235, 304, BStBl II 2012, 345).

48 4. Der von der Klägerin beantragten EuGH-Vorlage bedarf es nicht, weil die von ihr aufgeworfene Frage mangels tatsächlicher Feststellungen hypothetisch ist (vgl. dazu EuGH-Urteil Italmoda u.a. vom C-131/13 u.a., EU:C:2014:2455, HFR 2015, 200, Rz 31, 36 und 39). Überdies obliegt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang mit besteuerten Umsätzen besteht, den nationalen Gerichten (z.B. BFH-Beschlüsse vom XI R 17/11, BFHE 244, 79, BStBl II 2014, 417, Rz 37; vom XI R 38/12, BFHE 244, 94, BStBl II 2014, 428).

49 5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2016 S. 252 Nr. 2
DStR 2016 S. 2681 Nr. 46
DAAAF-17854