Online-Nachricht - Montag, 06.12.2010

Amtshaftung | Überlange Verfahrensdauer eines Zivilprozesses (BGH)

Der BGH hat über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine Amtshaftung des Staates für Richter wegen überlanger Verfahrensdauer eines Zivilprozesses besteht ().

Der BGH hat über die Frage entschieden, unter welchen Voraussetzungen eine Amtshaftung des Staates für Richter wegen überlanger Verfahrensdauer eines Zivilprozesses besteht ().

Sachverhalt: Der Kläger erhob 1984 Klage auf Zahlung restlichen Werklohns. Der Rechtsstreit zog sich über viele Jahre hin. Während des Berufungsverfahrens geriet die Baufirma schließlich in Insolvenz. Der Kläger hat wegen Masseunzulänglichkeit keine Aussicht, seine (weiteren) Vergütungsansprüche durchzusetzen. Seinen diesbezüglichen Ausfallschaden macht der Kläger nunmehr gegenüber dem Land mit der Begründung geltend, die im Vorprozess tätigen Gerichte hätten pflichtwidrig das Verfahren nicht ausreichend gefördert. Wäre dies geschehen, so wäre der Prozess lange Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet gewesen mit der Folge, dass er von der Beklagten noch sein Geld bekommen hätte.

Hierzu führte der BGH weiter aus: Nach § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die Anstellungskörperschaft wegen eines Fehlurteils nur dann auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, wenn dem Richter eine Rechtsbeugung anzulasten ist. Praktisch bedeutet dies, dass eine Inanspruchnahme des Staates für Fehlurteile nahezu ausscheidet. Dieses so genannte Richterspruchprivileg bezieht sich aber nicht nur auf die Mängel, die in dem Urteil selbst liegen oder die unmittelbar bei seinem Erlass begangen werden. Vielmehr erfasst es alle Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen. Insoweit stellen etwa der Erlass eines Beweisbeschlusses oder ein richterlicher Hinweis zwar keine Urteile im prozessualen Sinn dar. Sie stehen aber in einem so engen Zusammenhang mit dem Urteil, dass sie von diesem haftungsmäßig nicht getrennt werden können. Führt deshalb die Anordnung einer Beweisaufnahme oder die Erteilung von Hinweisen und Auflagen zu einer Verlängerung des gerichtlichen Verfahrens, ist dies ohne Belang, auch wenn nach Auffassung des zur Entscheidung des Amtshaftungsprozesses berufenen Gerichts die Beweisaufnahme oder der Hinweis bzw. die Auflage überflüssig gewesen sind und ein der Klage stattgebendes sowie einen Vollstreckungsschaden vermeidendes Urteil deshalb früher hätte ergehen können. Gleiches gilt für sonstige prozessleitende Maßnahmen, die darauf abzielen, die Grundlagen für die Entscheidung zu gewinnen.

Anmerkung: Durch das vorliegende Urteil werden die Maßstäbe konkretisiert, die anzuwenden sind, wenn einem Richter Verzögerungen bei der Ausübung seines Amtes vorgeworfen werden. Die Frage der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung dieser Entscheidung wird sich jedoch völlig neu stellen, wenn der Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (BT-Drucks. 17/3802) Gesetzeskraft erlangen sollte. Durch dieses Gesetz soll eine Entschädigungspflicht zugunsten desjenigen eingeführt werden, der "infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet". Aufgrund dieser weit gefassten Formulierung steht zu erwarten, dass künftig Klagen wegen überlanger Dauer von Gerichtsverfahren weit häufiger als bisher erhoben werden.

Quelle: BGH, Pressemitteilung Nr. 232/2010


 

Fundstelle(n):
NWB MAAAF-16237