Online-Nachricht - Freitag, 25.06.2010

Arbeitsrecht | Grundsatz der Tarifeinheit gekippt (BAG)

Das BAG hat die sog. Tarifeinheit aufgehoben und damit faktisch die Vorrangstellung der Großgewerkschaften gegenüber spezialisierten Gewerkschaften im Tarifrecht beseitigt. Die Folge könnte eine stärkere Gewerkschaftskonkurrenz als bisher sein (BAG, Beschlüsse v. - 10 AS 2/10 - und - 10 AS 3/10).


Hintergrund: Nach der bisherigen Rechtsprechung des Vierten Senats kam der Grundsatz der Tarifeinheit auch dann zum Tragen, wenn ein Betrieb vom Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge erfasst wurde, die von verschiedenen Gewerkschaften geschlossen worden waren und an die der Arbeitgeber deshalb gebunden war, weil er Mitglied im tarifschließenden Arbeitgeberverband oder selbst Tarifvertragspartei war, während demgegenüber für den jeweiligen Arbeitnehmer je nach Gewerkschaftsmitgliedschaft nur einer der beiden Tarifverträge Anwendung fand (Tarifpluralität). Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit sollte eine solche Tarifpluralität im Falle einer unmittelbaren Tarifbindung des Arbeitgebers an verschiedene Tarifverträge dahin aufgelöst werden, dass der speziellere Tarifvertrag den anderen Tarifvertrag im Betrieb verdrängt.

Der Vierte Senat des BAG hatte im Januar 2010 (Beschlüsse v. - 4 AZR 537/08 (A) - und - 4 AZR 549/08 (A)) beabsichtigt, seine Rechtsprechung zum Grundsatz der Tarifeinheit zu ändern, und deshalb eine Divergenzanfrage (§ 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG) an den Zehnten Senat des BAG gerichtet. Nach Auffassung des Vierten Senats gelten für ein Arbeitsverhältnis, dessen Parteien nach § 3 Abs. 1 TVG an einen Tarifvertrag gebunden sind, die Rechts normen dieses Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, zwingend und unmittelbar nach § 4 Abs. 1 TVG. Sie können auch dann nicht nach dem Grundsatz der Tarifeinheit verdrängt werden, wenn der Arbeitgeber durch seine Mitgliedschaft in einem tarifschließenden Arbeitgeberverband zugleich an einen mit einer anderen Gewerkschaft für Arbeitsverhältnisse derselben Art geschlossenen Tarifvertrag unmittelbar gebunden ist.

Mit der aktuellen Entscheidung hat sich der Zehnte Senat des BAG der vom Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts im Anfragebeschluss vom dargelegten Rechtsauffassung zur Tarifeinheit angeschlossen.

Auch nach Auffassung des Zehnten Senats gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrags, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, für Beschäftigte kraft Koalitionsmitgliedschaft nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar. Dies wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass für den Betrieb kraft Tarifbindung des Arbeitgebers (Verbandsmitgliedschaft oder eigener Abschluss des Tarifvertrags) mehr als ein Tarifvertrag Anwendung findet, wenn für den einzelnen Arbeitnehmer jeweils nur ein Tarifvertrag gilt (sog. Tarifpluralität). Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können.

Quelle: BAG, Pressemitteilung 46/10

 

Fundstelle(n):
NWB RAAAF-15178