Online-Nachricht - Freitag, 07.08.2009

Verfassungsbeschwerde | Angemessenheit der Verfahrensdauer (BVerfG)

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn ableiten lässt und sich daraus die Verpflichtung der Fachgerichte ergibt, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen ().


Hierzu führte das BVerfG weiter aus: Auch wenn die Beschwerdeführerin durch ihr Prozessverhalten zur Länge des Verfahrens beigetragen hat, ist es nach Abwägung sämtlicher Umstände verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, dass der Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nach über 22 Jahren noch nicht absehbar ist. Das Landgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich geeignete Maßnahmen zu ergreifen, die zu einem möglichst raschen Abschluss des Verfahrens führen. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn ableiten lässt und sich daraus die Verpflichtung der Fachgerichte ergibt, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen. Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist aber stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen.


Bei der Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Verfahrensdauer ist im vorliegenden Fall u.a. zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin durch eine Vielzahl von Fristverlängerungsanträgen, mehrfache Anwaltswechsel, vier Befangenheitsanträge, mehrfache Klagänderungen sowie durch das von ihr veranlasste Nichtfortführen des Verfahrens zwischen 1991 und 1993 selbst erhebliche Verzögerungen verursacht hat. Gleichwohl sind hier angesichts der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer die Grenzen des für einen Prozessbeteiligten unter dem Gesichtspunkt effektiven Rechtsschutzes noch Hinnehmbaren deutlich überschritten: Die Pflicht zur nachhaltigen Beschleunigung des Verfahrens durch die Fachgerichte wird dadurch verstärkt, dass die Beschwerdeführerin durch den Rechtsstreit erheblichen finanziellen Lasten ausgesetzt ist. Außerdem hat sie trotz Zuerkennung von Zweidritteln des Anspruchs dem Grunde nach auch nach beinahe 19 Jahren noch keinen vollstreckbaren Titel erhalten. Zu justiziell zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen ist es im Zusammenhang mit Wechseln in der Besetzung der entscheidenden Kammer gekommen, die eine zeitweise Untätigkeit des Landgerichts zur Folge hatten. Diese sind dem Staat jedenfalls insoweit zuzurechnen, als sie durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können. Dies gilt insbesondere für voraussehbare personelle Engpässe. Entscheidend für die Feststellung des Verfassungsverstoßes ist, dass sich das Landgericht angesichts der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer nicht darauf hätte beschränken dürfen, das Verfahren wie einen gewöhnlichen, wenn auch komplizierten Rechtsstreit zu behandeln. Vielmehr hätte es unter Zugrundelegung seines rechtlichen Ausgangspunktes sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung nutzen müssen. Gegebenenfalls wäre es gehalten gewesen, sich um gerichtsinterne Entlastungsmaßnahmen zu bemühen. Überdies hätte das Landgericht die Hauptsache während der schwebenden Beschwerdeverfahren über die Prozesskostenhilfeentscheidungen weiter betreiben können. Der organisatorische Aufwand für die Anfertigung eines Aktendoppels konnte angesichts der Verfahrensdauer keinen Hinderungsgrund darstellen.

Quelle: BVerfG, Pressemitteilung v.

 

Fundstelle(n):
NWB SAAAF-12914