Online-Nachricht - Freitag, 28.11.2014

Zivilrecht | Zu Schadensersatzklagen von Lehman-Anlegern (BGH)

Der u.a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des BGH hat sich in zwei weiteren Verfahren damit beschäftigt, ob eine beratende Bank im Zusammenhang mit der Empfehlung von Zertifikaten der niederländischen Tochtergesellschaft Lehman Brothers Treasury Co. B.V. (Emittentin) der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc. (Garantin) zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet ist. Im Mittelpunkt der Entscheidungen stand die Frage, ob eine beratende Bank beim Vertrieb von "Garantiezertifikaten" über Sonderkündigungsrechte der Emittentin ungefragt aufzuklären hat. Der BGH hat eine solche Aufklärungspflicht bejaht ( u. XI ZR 480/13).

Hintergrund: Im Verfahren XI ZR 480/13 erwarb der Kläger auf Empfehlung eines Mitarbeiters der beklagten Bank "Lehman Brothers Garantiezertifikats auf fünf Bankentitel". Im Mai 2008 erwarb er auf Empfehlung desselben Mitarbeiters weitere Lehman-Zertifikate "LB 6 Jahres CatchUp Note auf sechs DAX-Werte". Im Verfahren XI ZR 169/13 erwarb der Kläger im Mai 2008 auf Empfehlung eines Mitarbeiters derselben beklagten Bank "Lehman Brothers Aktien Kupon Anleihen auf sechs DAX Werte", d.h. sogenannte Basketzertifikate. In dem zugehörigen Produktflyer heißt es u.a. "100% Kapitalschutz am Laufzeitende".
Sachverhalt: Den Zertifikaten lagen die Anleihebedingungen der Emittentin zum Basisprospekt v. zu Grunde. Danach sollte die Emittentin am Laufzeitende unabhängig von der Entwicklung der Basiswerte mindestens 100% des eingezahlten Kapitals an den Anleger zurückzahlen. In den Anleihebedingungen wird der Emittentin ein Sonderkündigungsrecht aus Gründen eines Fusionsereignisses, eines Übernahmeangebots, eines Delistings, einer Verstaatlichung, einer Insolvenz der in den Zertifikaten in Bezug genommenen Unternehmen oder wegen einer durchgeführten oder geplanten Veränderung steuerrechtlicher Vorschriften eingeräumt. In diesen Fällen erhält der Anleger einen Rückzahlungsbetrag, der von einer Berechnungsstelle ausgehend von dem marktgerechten Wert der Zertifikate abzüglich angemessener Aufwendungen und Kosten berechnet wird. Dabei wird in den Anleihebedingungen ausgeführt, dass der vorzeitige Rückzahlungsbetrag möglicherweise unter dem Nennbetrag liegen oder sogar Null betragen könne. Auf das Sonderkündigungsrecht der Emittentin und dessen Rechtsfolgen wurden die Kläger nicht hingewiesen. Die Anleihebedingungen wurden ihnen ebenfalls nicht übergeben. Nach der Insolvenz der Emittentin im September 2008 wurden die Zertifikate weitgehend wertlos.
Hierzu führte der BGH weiter aus:

  • Nach Auffassung des BGH hat die beklagte Bank in beiden Rechtsstreiten schuldhaft ihre Pflichten aus dem geschlossenen Anlageberatungsvertrag verletzt. Die beklagte Bank wurde von den Vorinstanzen daher rechtsfehlerfrei zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt (§ 280 Abs. 1 BGB).

  • Die Empfehlung der Zertifikate war in beiden Verfahren nicht anlagegerecht. Bei den Zertifikaten handelte es sich um Inhaberschuldverschreibungen mit einem zugesicherten Kapitalschutz. Bei solchen "Garantie-Zertifikaten" muss eine beratende Bank die Anleger über das in den jeweiligen Anleihebedingungen geregelte Sonderkündigungsrecht der Emittentin, das zu einem Totalverlust des Kapitals führen kann, ungefragt aufklären.

  • Denn ein Sonderkündigungsrecht stellt einen für die Anlageentscheidung wesentlichen und damit aufklärungsbedürftigen Umstand dar. Wesentliches Merkmal eines Garantiezertifikats mit 100%igem Kapitalschutz ist, dass sich das Risiko des Anlegers darauf beschränkt, mit dem Anlagebetrag während der Anlagezeit möglicherweise keine Gewinne zu erwirtschaften oder dass die Emittentin insolvent wird.

  • Dem steht ein Sonderkündigungsrecht diametral entgegen, bei dem der von der Berechnungsstelle nach billigem Ermessen festzulegende Marktwert den Anlagebetrag unterschreiten oder sogar Null betragen kann.

Anmerkung: Im Verfahren XI ZR 169/13 hatte das Berufungsgericht nach Ansicht des BGH den geltend gemachten Schadensersatz des Klägers jedoch rechtsfehlerfrei um 17% gekürzt. Das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die Schadensminderungspflicht nicht überspannt, denn nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB treffe einen Anleger die Obliegenheit, den Schaden durch Maßnahmen, die nach Lage der Sache erforderlich scheinen und zumutbar sind, möglichst gering zu halten. Verstößt er - wie hier - gegen diese Obliegenheit, weil er seine Ansprüche im Insolvenzverfahren gegen die Garantin nicht anmeldet, muss er eine Kürzung seines Schadensersatzanspruches in Höhe des Betrages in Kauf nehmen, den er im Insolvenzverfahren hätte erlangen können (§ 287 Abs. 1 ZPO).
Quelle: BGH, Pressemitteilung v.

Fundstelle(n):
NWB TAAAF-12286