Online-Nachricht - Mittwoch, 21.08.2013

Verfahrensrecht | Verpflichtung zur Verrechnungspreisdokumentation unionsrechtmäßig (BFH)

Die Verpflichtung, bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen i.S. des § 1 Abs. 2 AStG Aufzeichnungen zu erstellen und diese auf Verlangen der Finanzbehörde vorzulegen (§ 90 Abs. 3 AO), ist mit der Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG vereinbar (; veröffentlicht am ).


Hintergrund: Gemäß § 90 Abs. 3 Sätze 1 und 7 i.V.m. § 97 Abs. 1 AO kann die Finanzbehörde die Vorlage der Aufzeichnungen zur Einsicht verlangen, die ein Steuerpflichtiger bei Sachverhalten, die Vorgänge mit Auslandsbezug betreffen, über die Art und den Inhalt seiner Geschäftsbeziehungen mit nahe stehenden Personen i.S. des § 1 Abs. 2 AStG zu erstellen hat. Die Aufzeichnungspflicht umfasst nach § 90 Abs. 3 Satz 2 AO auch die wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen für eine den Grundsatz des Fremdvergleichs beachtende Vereinbarung von Preisen und anderen Geschäftsbedingungen mit den Nahestehenden. In der Regel soll die Finanzbehörde die Vorlage von Aufzeichnungen nur für die Durchführung einer Außenprüfung verlangen (§ 90 Abs. 3 Satz 6 AO). Auf Anforderung hat die Vorlage innerhalb von 60 Tagen zu erfolgen (§ 90 Abs. 3 Satz 8 AO). Kommt der Steuerpflichtige den Dokumentationspflichten nicht oder nur unvollständig nach, ermöglicht § 162 Abs. 3 AO eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu seinem Nachteil. Außerdem erlaubt § 162 Abs. 4 AO für solche Fälle einen "Strafzuschlag" zur festgesetzten Steuer von mindestens 5.000 €, bei verspäteter Vorlage der Aufzeichnungen sogar bis zu 1 Mio. €. Sachverhalte ohne entsprechenden Auslandsbezug sind von diesen Pflichten, die für die Steuerpflichtigen erheblichen Aufwand und erhebliche Kosten verursachen, nicht betroffen.
Sachverhalt: Die Beteiligten streiten darüber, ob die Anforderung einer Verrechnungspreisdokumentation gemäß § 90 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) rechtmäßig ist. Fraglich ist, ob der Tatbestand des "Nahestehens" bereits durch die Möglichkeit, wechselseitig auf die Entscheidung eines anderen zumindest mittelbar Einfluss zu nehmen, gegeben ist. Daneben ist strittig, ob die Dokumentationspflicht vor dem Hintergrund der europarechtlich verbürgten Grundfreiheiten (Diskriminierungsverbot, Niederlassungsfreiheit) gerechtfertigt ist.
Hierzu führen die Richter des BFH weiter aus:

  • Im Streitfall sind die Voraussetzungen für die Anforderung einer Verrechnungspreisdokumentation erfüllt.

  • Insbesondere ist vorliegend eine Geschäftsbeziehung mit einer nahe stehenden Person gegeben. Eine Person steht einem Steuerpflichtigen i.S. von § 1 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 AStG nahe, wenn eine dritte Person am Grund- oder Stammkapital sowohl der Person als auch des Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar wesentlich beteiligt ist.

  • Beschränkungen im Innenverhältnis aufgrund einer Treuhand sind hierbei  ebenso unbeachtlich wie Stimmrechtsbeschränkungen. Gleiches gilt im Ergebnis für die Annahme eines Nahestehens im Zusammenhang mit dem Vorliegen einer vGA.

  • Auch ist § 90 Abs. 3 AO mit der Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG vereinbar. Zwar greift die Vorschrift in den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ein. Denn die Vorschrift wirkt sich ausschließlich nachteilig bei grenzüberschreitend erbrachten Dienstleistungen aus.

  • Die Ungleichbehandlung zu Lasten grenzüberschreitender Dienstleistungen ist jedoch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses - dem Erfordernis einer wirksamen Steueraufsicht - gerechtfertigt.

  • Der Eingriff ist auch verhältnismäßig - ohne Vorlage einer Verrechnungspreisdokumentation wäre eine effektive Sachverhaltsaufklärung nicht möglich. Letztete kann nicht allein mit Mitteln der zwischenstaatlichen Amtshilfe gewährleistet werden.

Hinweis: Dem Urteil kommt nicht zuletzt vor dem Hintergrund der derzeitigen Diskussion im politischen Raum über die "Steuerflucht" in sog. Steueroasen, auch solche innerhalb der Europäischen Union, beträchtliche Bedeutung zu. Allerdings lässt der BFH ausdrücklich offen, ob einzelne Bestimmungen über die Dokumentationstiefe in der Gewinnabgrenzungsaufzeichnungsverordnung nicht doch über das hinausgehen, was zur Sachverhaltsaufklärung erforderlich ist. Diese Fragen lassen sich nicht im Rahmen der Dokumentationsanforderung beantworten, sondern erst im Klageverfahren gegen einen nachfolgenden Steuerbescheid oder die nachfolgende Festsetzung eines "Strafzuschlags".

Quelle: NWB Datenbank sowie BFH, Pressemitteilung v.
 

Fundstelle(n):
NWB MAAAF-10155