Online-Nachricht - Dienstag, 07.05.2013

Haftungsrecht | Schutzpflichten einer Anlageberatungsgesellschaft (BGH)

Eine Anlageberatungsgesellschaft darf Handelsvertreter nur dann mit der Anlageberatung betrauen, wenn sie sich zuvor von deren Zuverlässigkeit auf der Grundlage eines polizeilichen Führungszeugnisses überzeugt hat ().

Hintergrund: Ein Schuldverhältnis mit entsprechenden Haftungsfolgen bei schuldhafter Verletzung von Rechtsgütern entsteht auch ohne eine vertragliche Beziehung durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, die Anbahnung eines Vertrags oder ähnliche geschäftliche Kontakte (Haftung aus Verschulden bei Vertragsschluss, auch culpa in contrahendo, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB).
Sachverhalt: Die Kläger machen gegen die beklagte AG, eine Anlagegesellschaft, Schadensersatzansprüche in Höhe von insgesamt rund 49.000 € im Zusammenhang mit zwei Vermögensanlageverträgen geltend. Die Beklagte vertreibt Produkte ihrer Partnergesellschaften durch selbständige Handelsvertreter, sog. Vermögensberater. Zu diesen zählte bis zu seinem Tod im Jahr 2007 auch F., dem für seine Tätigkeit verschiedene Werbemittel, insbesondere ein Briefpapier mit dem Logo der Beklagten, zur Verfügung gestellt wurde. F. war in den Jahren 1993 und 1995 zu Freiheitsstrafen auf Bewährung wegen Betrugs verurteilt worden, ohne dass dies der Beklagten bekannt wurde, da sie kein polizeiliches Führungszeugnis eingeholt hatte. F. schloss mit den Klägern in seinen Büroräumen, die mit zahlreichen Werbemitteln und Emblemen der Beklagten ausgestattet waren, schriftliche Verträge mit dem Logo der Beklagten in der Kopfzeile, in denen die Kläger als Kunden und F. als Anleger aufgeführt waren. Das an F. bar übergebene Geld sollte auf ein Sonderkonto der S. Bank eingezahlt werden und mit jährlich rund 11% verzinst werden. Nach dem Tod des F. konnten bei dieser Bank keine Konten des Verstorbenen festgestellt werden. Die Vorinstanzen hatten die Klagen abgewiesen. Die Revision zum BGH war erfolgreich.
Hierzu führte das Gericht u.a. aus:

  • Mit dem Betreten des Geschäftslokals vor Abschluss der Anlageverträge wurde zwischen den Parteien ein Vertragsanbahnungsverhältnis begründet.

  • Der Beklagten oblag danach zum Schutz ihrer Kunden nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo die vorvertragliche Pflicht, nur Handelsvertreter zu beschäftigen, von deren Zuverlässigkeit sie sich auf der Grundlage eines polizeilichen Führungszeugnisses überzeugt hatte.

  • Diese Pflicht umfasst auch den Schutz der Kunden vor solchen Schäden, die ihnen von dem einschlägig wegen Betrugs vorbestrafte Handelsvertreter durch den Abschluss von kriminellen Eigengeschäften zugefügt werden.

  • Die Dauer der Schutzwirkung einer solchen Pflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls; sie endet spätestens mit Ablauf der Tilgungsfristen nach Maßgabe des Bundeszentralregistergesetzes.

Anmerkung: Im entschiedenen Fall waren diese Fristen bei Abschluss der Anlageverträge noch nicht abgelaufen. Das Gericht weist darauf hin, dass im Einzelfall das Ziel der Resozialisierung von Straftätern mit den Interessen und Rechtsgütern Dritter abzuwägen ist.
Quelle: NWB Datenbank
Autor: Ingo Ehlers, Rechtsanwalt Freiburg
 

Fundstelle(n):
NWB GAAAF-09620