Bayerisches Landesamt für Steuern - S 0256.1.1-1/12 St42

Entschädigung von Auskunfts- und Vorlagepflichtigen sowie Sachverständigen im Besteuerungsverfahren

1. Geltungsbereich

Werden im Besteuerungsverfahren Auskünfte von Dritten und Sachverständigen eingeholt bzw. von Dritten die Vorlage von Büchern, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden gefordert, bestimmt sich ihre Entschädigung nach § 107 AO in Verbindung mit dem Justizvergütungs- und entschädigungsgesetz (JVEG). Gleiches gilt für kombinierte Auskunfts- und Vorlageersuchen. § 107 AO gilt in allen Abschnitten des Besteuerungsverfahrens einschließlich des Außenprüfungs-, Erhebungs-, Vollstreckungs- und Einspruchsverfahrens.

In Steuerstraf- oder in Bußgeldverfahren, in denen das Finanzamt die Ermittlungen selbständig durchführt, sind die zu Beweiszwecken herangezogenen Zeugen und Sachverständigen entsprechend § 405 AO zu vergüten.

2. Anspruchsberechtigte

Die von einem Finanzamt zu Beweiszwecken herangezogenen Auskunfts- bzw. Vorlagepflichtigen (§ 93 AO) und Sachverständigen (§ 96 AO) erhalten auf Antrag eine Entschädigung bzw. Vergütung in entsprechender Anwendung des JVEG, soweit sie weder Beteiligte sind noch die Auskunfts- bzw. Vorlagepflicht für einen Beteiligten zu erfüllen haben (wie z. B. die gesetzlichen Vertreter und die Verfügungsberechtigten i. S. der §§ 34, 35 AO sowie die Bevollmächtigten und die von Amts wegen bestellten Vertreter der Beteiligten i. S. der §§ 80, 81 AO). Anspruchsberechtigte können natürliche Personen, juristische Personen und Personengesellschaften sein.

Nimmt ein Auskunfts- bzw Vorlagepflichtiger oder ein Sachverständiger eine Hilfsperson in Anspruch, so hat diese keinen eigenen Entschädigungsanspruch.

Die dem Drittschuldner durch die Erfüllung seiner Erklärungspflicht gem. § 316 AO entstehenden Kosten sind nicht nach § 107 AO zu erstatten. Dies gilt auch, wenn das Finanzamt die Angaben in der Drittschuldnererklärung für unzureichend hält und deshalb um Ergänzung oder Vervollständigung nachsucht. Eine Entschädigung kommt aber in Betracht, wenn das Finanzamt den Drittschuldner um Auskünfte ersucht, die über dessen Erklärungspflicht gem. § 316 AO hinausgehen.

3. Anspruch auf Entschädigung oder Vergütung

Die Entscheidung darüber, ob ein Auskunfts- bzw. Vorlagepflichtiger oder Sachverständiger eine Entschädigung oder Vergütung erhält, liegt nicht im Ermessen des Finanzamts. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht auf die Entschädigung ein Rechtsanspruch (, BStBl 1981 II S. 392), es sein denn, der Anspruch auf Vergütung entfällt oder wird beschränkt, vgl. § 8a JVEG.

4. Fürsorgepflicht des Finanzamts

Handelt es sich bei dem Anspruchsberechtigen um eine Person, bei der Kenntnisse über den Entschädigungsanspruch nicht vorausgesetzt werden können und ist ersichtlich, dass dem Verpflichteten durch die Auskunftserteilung bzw. die Vorlage von Unterlagen nicht nur ganz unbedeutende Kosten erwachsen werden, ist er auf die Entschädigungsmöglichkeit gem. § 107 AO und das Erfordernis der Antragstellung hinzuweisen (vgl. § 89 AO). Die Vorlage [1] „Auskunfts- bzw. Vorlageersuchen an Dritte” (Ordner Allgemein) bietet die Möglichkeit, einen entsprechenden Hinweis zu erteilen.

5. Umfang der Entschädigung

5.1 Auskunfts- und Vorlagepflichtige

Erledigt der Auskunfts- bzw. Vorlagepflichtige das Ersuchen selbst oder beauftragt er Personen, die in seinem Betrieb beschäftigt sind, so werden der Verdienstausfall bzw. die Personalkosten mit dem Betrag erstattet, den ein Zeuge nach § 22 JVEG beanspruchen könnte. Der Zeitaufwand darf jedoch höchstens mit 21 Euro je Stunde angesetzt werden. Dabei ist unbeachtlich, ob dem Antragsteller durch Zahlung von Überstundenvergütungen oder Neueinstellungen ein Mehraufwand entstanden ist. Soweit die Entschädigung nach Stunden bemessen ist, wird sie für höchstens 10 Stunden je Tag gewährt. Die letzte begonnene Stunde wird voll angerechnet, wenn insgesamt mehr als 30 Minuten auf die Heranziehung entfallen; anderenfalls beträgt die Entschädigung die Hälfte (§ 19 Abs. 2 JVEG). Die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet.

Werden keine Fachkräfte beschäftigt und kann auch kein Verdienstausfall nachgewiesen werden, kann nach § 20 JVEG nur eine Entschädigung für Zeitversäumnis von 3,50 Euro je Stunde gewährt werden. Dies gilt nicht, wenn durch die Auskunftserteilung ersichtlich kein Nachteil entstanden ist. Anspruchsberechtigte, die nicht erwerbstätig sind und einen Haushalt für mehrere Personen führen, erhalten eine Entschädigung von 14 Euro je Stunde (§ 21 Satz 1 JVEG). Das gleiche gilt für Teilzeitbeschäftigte, die außerhalb ihrer vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit herangezogen werden (§ 21 Satz 1 2. Halbsatz JVEG). Die Entschädigung von Teilzeitbeschäftigten wird für höchstens 10 Stunden je Tag gewährt abzüglich der Zahl an Stunden, die der vereinbarten regelmäßigen täglichen Arbeitszeit entspricht. In allen Fällen der Geltendmachung von Verdienstausfall oder Personalkosten ist zu prüfen, ob der geltend gemachte Arbeitsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zu der erteilten Auskunft steht.

Anspruchsberechtigte können auch Fahrtkostenersatz gem. § 5 JVEG und Aufwandsentschädigung (Tagegeld) gem. § 6 JVEG erhalten. Derartige Entschädigungen kommen im Rahmen des § 107 AO jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht. Bei Geltendmachung ist auf die detaillierten Regelungen im Gesetz zurückzugreifen.

Für die Praxis bedeutsam ist der Ersatz für sonstige Aufwendungen, insbesondere die Kosten für die Anfertigung von Kopien (§ 7 Abs. 2 JVEG). Danach wird für die ersten 50 Seiten 0,50 Euro, für jede weitere Seite 0,15 Euro und für die Anfertigung von Farbkopien jeweils das Doppelte ersetzt. Aufwendungen für unaufgefordert eingereichte Abschriften und Ablichtungen werden nicht erstattet.

Für die Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien anstelle von Fotokopien werden 1,50 Euro je Datei erstattet. Für die in einem Arbeitsgang überlassenen oder in einem Arbeitsgang auf denselben Datenträger übertragenen Dokumente werden höchstens 5 Euro ersetzt (§ 7 Abs. 3 JVEG).

§ 147 Abs. 5 AO ist in den Fällen einer sich aus §§ 93, 107 AO ergebenden Entschädigungsverpflichtung nicht anwendbar ( a. a. O.).

Das JVEG sieht grundsätzlich keine Vergütung für die Benutzung von Werkzeugen, Geräten oder technischen Einrichtungen vor, die der Auskunftspflichtige bei der Ausübung seines Berufs oder Gewerbes ohnehin benötigt. Abnutzung im üblichen Rahmen begründet keinerlei Ersatzanspruch. Deshalb können z. B. bei Geldinstituten nur die Aufwendungen für den Arbeitseinsatz von Mitarbeitern ersetzt werden, die das gewünschte Zuordnen der in Betracht kommenden Mikrofilme zu den entsprechenden Kontounterlagen, das Heraussuchen der Mikrofilme, das Ausfindigmachen des richtigen Bildes, dessen Vergrößerung und Fotokopie sowie das Rückeinordnen der Filme vorgenommen haben. Hierfür wird ein Zeitaufwand von durchschnittlich 8 Minuten pro Bild als realistisch (vgl. ) angesehen

Die Entschädigung des Auskunfts- und Vorlagepflichtigen stellt einen sog. „echten” Schadensersatz dar. Dieser unterliegt nicht der Umsatzsteuer (vgl. UStAE Nr. 1.3. Abs. 9 Nr. 1). Soweit Umsatzsteuer in Rechnung gestellt wird, ist sie somit nicht zu erstatten (vgl. aber Tz. 5.2 letzter Absatz).

5.2 Sachverständige, Dolmetscher und Übersetzer

Der Einsatz unabhängiger Sachverständiger gem. § 96 AO kommt im Besteuerungsverfahren nur in Ausnahmefällen in Betracht. Soweit dies erforderlich ist, sind die jeweils zuständigen Sachverständigen der Finanzverwaltung einzuschalten. Der Entschädigungsnorm des § 107 AO kommt in diesem Bereich daher keine große Bedeutung zu.

In den wenigen in Betracht kommenden Fällen sind insbesondere folgende Vorschriften des JVEG zu beachten:

  • §§ 8, 9 JVEG: Danach erhalten Sachverständige für ihre Leistungen ein Honorar nach Stundensätzen zwischen 65 und 120 Euro abhängig von der Honorargruppe. Die Abrechnung erfolgt auch für Reise- und Wartezeiten bis zur jeweils angefangenen halben Stunde.

  • § 9 Abs. 3 JVEG: Das Honorar eines Dolmetschers beträgt für jede Stunde 70 Euro.

  • § 10 JVEG: Honorar für besondere Leistungen

  • § 11 JVEG: Das Honorar für eine Übersetzung beträgt 1,55 Euro für jeweils angefangene 55 Anschläge des schriftlichen Textes (Grundhonorar). Bei nicht elektronisch zur Verfügung gestellten editierbaren Texten erhöht sich das Honorar auf 1,75 Euro für jeweils angefangene 55 Anschläge (erhöhtes Honorar). Ist die Übersetzung wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere wegen der häufigen Verwendung von Fachausdrücken, der schweren Lesbarkeit des Textes, einer besonderen Eilbedürftigkeit oder weil es sich um eine in Deutschland selten vorkommende Fremdsprache handelt, besonders erschwert, beträgt das Grundhonorar 1,85 Euro und das erhöhte Honorar 2,05 Euro. Maßgebend für die Anzahl der Anschläge ist der Text in der Zielsprache; werden jedoch nur in der Ausgangssprache lateinische Schriftzeichen verwendet, ist die Anzahl der Anschläge des Textes in der Ausgangssprache maßgebend. Wäre eine Zählung der Anschläge mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden, wird deren Anzahl unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Anzahl der Anschläge je Zeile nach der Anzahl der Zeilen bestimmt. Für eine oder für mehrere Übersetzungen aufgrund desselben Auftrags beträgt das Honorar mindestens 15 Euro.

  • § 12 JVEG: Ersatz für besondere Aufwendungen

  • §§ 5,6,7 JVEG: Fahrkostenersatz, Aufwandsentschädigungen und Ersatz für sonstige Aufwendungen.

Im Gegensatz zur Entschädigung des Auskunfts- bzw. Vorlagepflichtigen ist die auf die Entschädigung des Sachverständigen entfallende Umsatzsteuer erstattungsfähig (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 JVEG).

Die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetschern und Übersetzern nach Abschnitt 3 JVEG ist Entgelt für eine Leistung. Ob jemand als Zeuge, sachverständiger Zeuge oder Sachverständiger anzusehen ist, richtet sich nach den tatsächliche erbrachten Tätigkeiten (vgl. UStAE Nr. 1.3. Abs. 15).

6. Geltendmachung und Erlöschen des Anspruchs, Verjährung

Von Auskunfts- und Vorlagepflichtigen und Sachverständigen ist der Entschädigungs- bzw. Vergütungsanspruch innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten geltend zu machen, wenn der Berechtigte über den Beginn der Frist belehrt worden ist. Die Frist beginnt mit der Abgabe der erbetenen Auskunft bzw. Vorlage der angeforderten Unterlagen bzw. mit Eingang des Gutachtens/der Übersetzung. (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 JVEG). Die Frist ist verlängerbar (§ 2 Abs. 1 Satz 4 JVEG). Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumnis ohne Verschulden des Berechtigen vgl. § 2 Abs. 2 JVEG. Bei der Fristberechnung ist § 108 AO anzuwenden.

Ist die Belehrung unterblieben, verjähren die Entschädigungsansprüche der Auskunftspflichtigen und Sachverständigen drei Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Pflicht erfüllt wurde (§ 2 Abs. 3 JVEG i. V. m. § 195 BGB). Die Vorschriften der Abgabenordnung über die Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO) sind nicht anwendbar, weil es sich bei den Entschädigungsansprüchen nach § 107 AO nicht um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) handelt.

7. Festsetzung der Entschädigung

Für die Überprüfung und Entscheidung über die Entschädigungsansprüche nach § 107 AO ist die Geschäftsstelle des Finanzamts zuständig. In die Überprüfung und Entscheidung über die Entschädigungsansprüche soll die Dienststelle im Finanzamt einbezogen werden, die die Auskunft bzw. Vorlage verlangt oder das Gutachten angefordert hat. Kann dem Antrag auf Entschädigung in vollem Umfang entsprochen werden, wird der Antrag durch Anordnung der Zahlung in entsprechender Höhe konkludent erledigt.

8. Rechtsbehelf

Lehnt das Finanzamt den Entschädigungsantrag ganz oder teilweise ab, so ist ein Verwaltungsakt zu erteilen; gegen diesen ist der Rechtsschutz nach der AO/FGO gegeben (Einspruch, Verpflichtungsklage).

Bayerisches Landesamt für Steuern v. - S 0256.1.1-1/12 St42

Fundstelle(n):
AO-Kartei BY AO § 107 Karte 1 - Nr. 14/2014 -
QAAAE-73543

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