BAG Urteil v. - 9 AZR 727/12

Urlaubsabgeltung - lang andauernde Arbeitsunfähigkeit

Gesetze: § 7 Abs 3 BUrlG, § 7 Abs 4 BUrlG, § 4 BUrlG, § 5 BUrlG, § 13 Abs 1 BUrlG, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Chemnitz Az: 4 Ca 3439/10 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 5 Sa 289/11 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger verlangt von der Beklagten die Abgeltung von insgesamt 79 Urlaubstagen abzüglich bereits gezahlter Urlaubsabgeltung.

2Der 1970 geborene Kläger war bei der Beklagten als Lagerist in der Zeit vom bis zum beschäftigt. Sein monatliches Bruttoentgelt betrug zuletzt 1.900,00 Euro. Nach § 9 des zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrags vom fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils gültigen Tarifverträge für die Arbeitnehmer in den sächsischen Betrieben des Groß- und Außenhandels Anwendung. Im maßgeblichen Manteltarifvertag für die Arbeitnehmer/innen in den sächsischen Betrieben des Groß- und Außenhandels und der Verbundgruppen in der ab dem geltenden Fassung (MTV) heißt es zum Urlaub ua. wie folgt:

3Der Kläger war vom bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am arbeitsunfähig krank. Im Jahr 2008 gewährte ihm die Beklagte 8 Urlaubstage. Die Urlaubsvergütung betrug je Urlaubstag 87,69 Euro brutto. Die Beklagte zahlte an den Kläger nach entsprechender Abrechnung vom eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 4.018,56 Euro brutto. In der Abrechnung heißt es zu diesem Zahlbetrag „Urlaubsabgeltung“. In einer von der Beklagten gefertigten Aufstellung errechnete sie die Urlaubsabgeltungsansprüche wie folgt:

4Die Berechnung der Urlaubsabgeltung ist dem Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht am übergeben worden. Auf der Grundlage einer Abrechnung vom zahlte die Beklagte an den Kläger eine weitere Urlaubsabgeltung in Höhe von 524,16 Euro brutto. In der Abrechnung heißt es hierzu wiederum lediglich „Urlaubsabgeltung“. Mit Schreiben vom hatte der Kläger die Beklagte zuvor mit Fristsetzung zum aufgefordert, weitere 2.908,95 Euro Urlaubsabgeltung zu zahlen. Er berechnete seinen abzugeltenden Urlaub wie folgt:

5Der Kläger errechnete hieraus einen Abgeltungsbetrag in Höhe von 6.927,51 Euro abzüglich bereits gezahlter 4.018,56 Euro. Die spätere Zahlung in Höhe von 524,16 Euro brutto war darin noch nicht berücksichtigt.

6Der Kläger hat beantragt,

7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

8Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 1.595,58 Euro brutto stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage auf die Berufung der Beklagten in Höhe von 164,83 Euro brutto stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers hat es zurückgewiesen. Mit der für beide Parteien zugelassenen Revision verfolgen diese ihre ursprünglichen Klageanträge weiter.

Gründe

9A. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht in Höhe von 164,83 Euro brutto stattgegeben, anstatt sie insgesamt abzuweisen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, weiteren Urlaub gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.

10I. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses standen dem Kläger noch 49 Tage Urlaub zu.

111. Etwaige Urlaubsansprüche (gesetzlicher Urlaub nach dem BUrlG und tariflicher Mehrurlaub) des Klägers aus dem Jahr 2008 sind am und damit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG erloschen. Abgeltungsansprüche konnten damit nicht mehr entstehen.

12Besteht die Arbeitsunfähigkeit auch am 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, so gebietet auch das Unionsrecht keine weitere Aufrechterhaltung des Urlaubsanspruchs (vgl.  - [KHS] Rn. 38, Slg. 2011, I-11757). Der zunächst aufrechterhaltene Urlaubsanspruch erlischt somit gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG zu diesem Zeitpunkt (vgl.  - Rn. 32 ff.). Der MTV sieht zugunsten des Klägers keine längere Übertragungsdauer vor. Er regelt die Übertragung von Urlaub nicht, sondern verweist in § 14 Ziff. 6 allgemein auf die Bestimmungen des BUrlG.

132. Für das Jahr 2009 standen dem Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch 29 Tage Urlaub zu.

14a) Gemäß § 14 Ziff. 8 MTV beträgt der jährliche Urlaubsanspruch nach Vollendung des 25. und bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres 29 Arbeitstage.

15b) Dieser Urlaubsanspruch war zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verfallen. Ein Verfall nach § 7 Abs. 3 BUrlG hätte erst am und damit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintreten können. Dies gilt nicht nur für den gesetzlichen Urlaub, sondern nach § 14 Ziff. 6 MTV auch für den tariflichen Mehrurlaubsanspruch, da der MTV auch für den Verfall auf das BUrlG verweist.

163. Für das Jahr 2010 standen dem Kläger bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 20 Tage gesetzlicher Urlaub zu.

17a) Es war der volle gesetzliche Mindesturlaub entstanden. Der Kläger hatte die sechsmonatige Wartezeit des § 4 BUrlG erfüllt. Da er nach erfüllter Wartezeit in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, fand keine Zwölftelung des Urlaubsanspruchs nach § 5 BUrlG statt (Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG). Der nach § 14 Ziff. 3 MTV gekürzte tarifliche Urlaubsanspruch hätte ebenfalls (höchstens) 20 Tage betragen.

18b) Eine Kürzung des gesetzlichen Urlaubs kommt auch nach dem MTV nicht in Betracht. Eine tarifliche Zwölftelung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs nach erfüllter Wartezeit ist nach § 13 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 3 Abs. 1 BUrlG unzulässig ( - Rn. 21).

19c) Der gesetzliche Urlaubsanspruch für das Jahr 2010 hätte nach § 7 Abs. 3 BUrlG erst zum und damit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen können.

204. Entgegen der Auffassung der Beklagten sind die Urlaubsansprüche des Klägers nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der tariflichen Ausschlussfristen in § 19 Ziff. 2 MTV verfallen. Tarifliche Ausschlussfristen sind auf Urlaubsansprüche regelmäßig nicht anwendbar ( - zu B II 1 d der Gründe, BAGE 108, 357). Denn der Urlaubsanspruch unterliegt nach § 7 BUrlG einem eigenständigen Fristenregime. Das gilt hier auch für etwaige tarifliche Mehrurlaubsansprüche. Die gegenüber § 19 Ziff. 2 MTV speziellere Regelung in § 14 Ziff. 6 MTV bestimmt auch für den tariflichen Mehrurlaub die Geltung der Bestimmungen des BUrlG.

21II. Dem Kläger stand damit insgesamt ein Abgeltungsanspruch für 49 Urlaubstage in Höhe von 4.296,81 Euro brutto zu (49 Tage x 87,69 Euro brutto je Tag).

221. Die Beklagte zahlte hierauf insgesamt eine Abgeltung in Höhe von 4.542,72 Euro brutto. Damit verbleibt kein weiterer Abgeltungsanspruch (§ 362 Abs. 1 BGB).

232. Die Zahlung erfolgte auch auf den gesamten Abgeltungsanspruch. Die Beklagte nahm keine nach Urlaubsjahren differenzierende Leistungsbestimmung iSv. § 366 Abs. 1 BGB vor. Sie gab in den Abrechnungen vom und vom als Leistungszweck der Zahlungen von 4.018,56 Euro brutto bzw. 524,16 Euro brutto jeweils nur „Urlaubsabgeltung“ an. Dies war nach §§ 133, 157 BGB so zu verstehen, dass jeglicher etwaig bestehender Abgeltungsanspruch erfüllt werden sollte (vgl.  - Rn. 19). Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am überreichte Aufstellung stellt allenfalls eine unwirksame nachträgliche Leistungsbestimmung dar. Die Bestimmung muss nach dem Wortlaut des Gesetzes bei der Leistung erfolgen, eine nachträgliche Bestimmung ist grundsätzlich unwirksam ( - Rn. 46; vgl. auch - XI ZR 49/98 - zu II 2 b der Gründe, BGHZ 140, 391). Damit erfüllte die Beklagte jeglichen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses etwaig bestehenden Abgeltungsanspruch (vgl.  - aaO).

24B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
PAAAE-53895