BGH Beschluss v. - AnwZ 4/13

Anwaltliches Berufsrecht: Verwaltungsverfahren zur Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof; Überprüfbarkeit des Beurteilungsspielraumes

Gesetze: § 164 BRAO, §§ 164ff BRAO, § 168 Abs 2 BRAO, § 169 BRAO, § 170 BRAO

Gründe

I.

1Der Antragsteller gehört zu den 34 Kandidaten, die dem Wahlausschuss für Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof von der Bundesrechtsanwaltskammer und der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof vorgeschlagen worden sind. Am fand die Wahl statt. Der Ausschuss entschied, dem Antragsgegner, der über die Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof entscheidet, insgesamt 16 Personen zu benennen; der Antragsteller wurde hierbei auf Platz 9 gewählt. Mit Schreiben vom teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass er beabsichtige, die vom Ausschuss auf die Plätze 1 bis 8 gewählten Personen als Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof zuzulassen; er werde deshalb dem Zulassungsantrag des Antragstellers nicht entsprechen. Der Antragsteller hat daraufhin Klage gegen die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners erhoben (AnwZ 3/13) und beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung diesem zu untersagen, vor Abschluss des Klageverfahrens die auf den Plätzen 1 bis 8 der Wahlliste stehenden Personen als Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof zuzulassen.

II.

2Der Antrag hat keinen Erfolg; es besteht kein Anordnungsgrund.

31. Nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann auf Antrag das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. An dieser Voraussetzung fehlt es. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist ihm ein Abwarten auf das Ergebnis der Hauptsache zumutbar. Der Antragsteller kann auch nach der vom Antragsgegner beabsichtigten Zulassung der auf den Plätzen 1 bis 8 der Liste des Wahlausschusses stehenden Rechtsanwälte sein Ziel der Zulassung zum Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof weiterverfolgen. Insoweit ist die Situation anders als die bei der Besetzung von Notarstellen, bei der durch die Ernennung des Mitbewerbers auf eine ausgeschriebene Stelle vollendete Tatsachen geschaffen werden - die Bewerbung auf eine ausgeschriebene Notarstelle bezieht sich ausschließlich auf diese Stelle; wird diese besetzt, ist das durch Ausschreibung eingeleitete Verfahren beendet; eine zusätzliche Stelle wäre wiederum nach §§ 6, 6b BNotO förmlich auszuschreiben und nach für alle Bewerber gleichen Eignungsmaßstäben zu besetzen - und deshalb etwaige Rechte des zu Unrecht übergangenen Bewerbers ohne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes leerlaufen (vgl. zum Notarbestellungsverfahren , BGHZ 165, 139, 142 f.; BVerfG, NJW 2006, 2395, 2396); eine vergleichbare Rechtslage liegt hier nicht vor.

42. Das Verfahren auf Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof ist ein gestuftes Verwaltungsverfahren (vgl. Senat, Beschlüsse vom - AnwZ 3/03, BGHZ 162, 199, 204 und vom - AnwZ 1/06, BGHZ 169, 77 Rn. 8). Die Entscheidung darüber, welche Bewerber dem Wahlausschuss vorgeschlagen werden, obliegt der Bundesrechtsanwaltskammer sowie der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof (§ 166 BRAO). Aus deren Vorschlagslisten benennt der Wahlausschuss dem Bundesministerium der Justiz die doppelte Zahl von Rechtsanwälten, die er für die Zulassung beim Bundesgerichtshof für angemessen hält (§ 168 Abs. 2 BRAO). Hierbei steht dem Wahlausschuss ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum sowohl bezüglich der Angemessenheit der Zulassungen als auch der Eignung der Bewerber im Rahmen der Bestenauslese zu (vgl. Senat, Beschluss vom , aaO S. 207 f.; Beschluss vom - AnwZ 2/06, BGHZ 170, 137 Rn. 27, 39 m.w.N.). Über die Zulassungen entscheidet dann das Bundesministerium der Justiz (§ 170 Abs. 1 BRAO). Dieses ist an die Wahl des Ausschusses im Rahmen von § 164 BRAO gebunden. Danach kann als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zugelassen werden, wer durch den Wahlausschuss benannt wird; dementsprechend sind auch nur die Anträge dieser Personen der Mitteilung des Ausschussvorsitzenden an das Bundesministerium der Justiz beizufügen (§ 169 Abs. 2 BRAO). Der Wahlausschuss hat insoweit die Zulassung von 8 Rechtsanwälten als angemessen angesehen und dem Antragsgegner deshalb insgesamt 16 Personen benannt. Der Antragsgegner ist aber bei seiner Entscheidung über die Zulassung nicht an diese vom Wahlausschuss als angemessen angesehene Zahl von neuen Rechtsanwälten gebunden; insoweit können aus der Wahlliste weniger oder bis zu doppelt so viele Rechtsanwälte zugelassen werden, wie der Ausschuss für angemessen gehalten hat (vgl. Senat, Beschluss vom , aaO Rn. 16 ff.; siehe auch BVerfG, NJW 2008, 1293 Rn. 38). Genauso wenig besteht eine Bindung an die vom Wahlausschuss für richtig gehaltene Reihenfolge unter den Kandidaten (vgl. Senat, Beschlüsse vom , aaO Rn. 14 f. und vom , aaO Rn. 55). Hierbei sind die Entscheidungen des Antragsgegners wegen des auch insoweit bestehenden Beurteilungsspielraums ebenfalls gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. Senat, Beschlüsse vom , aaO S. 200 und vom , aaO Rn. 15, 23).

53. Der Antragsgegner darf allerdings die Zahl der Neuzulassungen im Rahmen der Bewerberliste des Wahlausschusses nicht nach Belieben festlegen. Nicht anders als der Wahlausschuss in seiner Entscheidung nach § 168 Abs. 2 BRAO hat sich der Antragsgegner bei der abschließenden Festlegung der Zahl der zuzulassenden Rechtsanwälte an den Bedürfnissen einer geordneten Rechtspflege zu orientieren. Er muss insoweit darauf achten, dass einerseits eine ausreichende Versorgung der Rechtsuchenden an revisionsanwaltlicher Beratung und Vertretung garantiert ist, andererseits die bei dem Bundesgerichtshof singular zugelassenen Rechtsanwälte im Hinblick auf ihre Berufsausübungsfreiheit, vor allem aber auch im Hinblick auf die mit der Singularzulassung verfolgten Interessen des Gemeinwohls ausreichende Möglichkeiten revisionsanwaltlicher Betätigung haben. Dies ändert aber nichts daran, dass der Antragsgegner einen Beurteilungsspielraum hat, innerhalb dessen er die heranzuziehenden Gesichtspunkte in gewissem Umfang anders gewichten kann als der Wahlausschuss. Dabei kann er im Interesse der Rechtspflege etwa auch darauf hinwirken, durch eine begrenzte Ausweitung der vom Wahlausschuss für erforderlich gehaltenen Neuzulassungen weitere besonders qualifizierte Rechtsanwälte für die Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof zu gewinnen (vgl. Senat, Beschluss vom , aaO Rn. 22 f.). Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Sinne zur Begrenzung der Zahl postulationsfähiger Prozessvertreter beim Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass das im Allgemeininteresse liegende gesetzgeberische Ziel, den Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof mit dem Ziel der Vermeidung von Rechtsmitteln ohne hinreichende Erfolgsaussichten eine Filterfunktion zuzuweisen, gefährdet wäre, wenn so viele Rechtsanwälte zugelassen würden, dass hierdurch ein ruinöser Wettbewerb unter den Revisionsanwälten einsetzen würde. Außerdem erfordert das Verhältnismäßigkeitsgebot mit Blick auf die verfassungsrechtlich unbedenkliche beschränkte Postulationsfähigkeit der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof, dass den dadurch in ihrer beruflichen Betätigung erheblich eingeschränkten Rechtsanwälten trotz der gebotenen Konzentration auf das Revisionsrecht ein Geschäftsanfall verbleibt, der ausreichend ist, damit ihre Berufsausübung ihnen eine ihrer Stellung auskömmliche Lebensgrundlage ermöglicht (vgl. BVerfG, NJW 2008, 1293 Rn. 36), ungeachtet dessen, dass mit der Zulassungsbeschränkung kein Schutz vor Konkurrenz zur Sicherung einer besseren Einkommenssituation beabsichtigt ist (BVerfG, aaO Rn. 42).

64. Vor diesem Hintergrund fehlt es im vorliegenden Fall an einem Anordnungsgrund. Unterstellt man den Vortrag des Antragstellers als zutreffend, wonach der Bedarf erheblich höher liegt, der Antragsgegner seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat und die anhängige Klage Erfolg haben wird, wäre es dem Antragsgegner nicht unmöglich, zusätzlich zu den bisher vorgesehenen und dann bereits zugelassenen 8 Rechtsanwälten auch den Antragsteller zu berücksichtigen. Hieran würde sich auch nichts ändern, wenn sich der angenommene Bedarf von 8 Personen zwar im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Antragsgegners halten würde, aber dieser seinen Spielraum bei der Auswahl der Kandidaten zum Nachteil des Antragstellers überschritten hätte. Für die mit der Berücksichtigung des Antragstellers verbundene Abweichung vom angenommenen Bedarf bestünde ein sachlicher Grund; hiermit würde - neben der Beseitigung des dem Antragsteller widerfahrenen Unrechts - dem Anliegen Rechnung getragen, einen noch besser und damit besonders geeigneten Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zuzulassen, ein Aspekt, der im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Antragsgegners Berücksichtigung finden darf (vgl. nur Senat, Beschluss vom , aaO Rn. 23). Dem Antragsgegner stünde nur dann kein Spielraum für sachlich gerechtfertigte zusätzliche Zulassungen zu, wenn dies den Erfordernissen der Rechtspflege zuwiderlaufen würde, insbesondere damit die Gefahr eines ruinösen Wettbewerbs unter den Revisionsanwälten entstehen könnte oder die auskömmliche Lebensgrundlage der bereits beim Bundesgerichtshof tätigen Rechtsanwälte bedroht wäre. Dafür spricht nach Auffassung des Senats bislang nichts.

Basdorf                           Fetzer                         Seiters

                  Wüllrich                       Hauger

Fundstelle(n):
NJW-RR 2014 S. 174 Nr. 3
UAAAE-47169