Oberste Finanzbehörde der Länder BStBl 2012 I S. 1101

Einräumung eines Nießbrauchsrechts, Überlassung der Ausübung des Nießbrauchs oder Verzicht auf einen Nießbrauch an einem Anteil an einer Personengesellschaft im Sinne des § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 oder § 18 Absatz 4 Satz 2 EStG

Wird im Rahmen eines Erwerbs von Todes wegen oder einer Schenkung unter Lebenden ein Nießbrauchsrecht an einem Anteil an einer Personengesellschaft im Sinne des § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 oder § 18 Absatz 4 Satz 2 EStG eingeräumt oder die Ausübung eines solchen Nießbrauchsrechts einem anderen überlassen, richtet sich die erbschaft- bzw. schenkungsteuerrechtliche Beurteilung nach der Ausgestaltung des Nießbrauchsrechts.

Im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht bestimmt sich der Zuwendungsgegenstand grundsätzlich nach dem Zivilrecht. Ob das zugewendete Vermögen zum Betriebsvermögen gehört, richtet sich jedoch nach den Grundsätzen des Ertragsteuerrechts, denn nach § 97 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 BewG bilden alle einer inländischen Personengesellschaft im Sinne des § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 oder § 18 Absatz 4 Satz 2 EStG gehörenden Wirtschaftsgüter einen Gewerbebetrieb.

Ist das Nießbrauchsrecht so ausgestaltet, dass der Nießbraucher ertragsteuerrechtlich als Mitunternehmer der Personengesellschaft anzusehen ist, gehört das Nießbrauchsrecht als immaterielles Wirtschaftsgut ertragsteuerrechtlich und damit auch bewertungsrechtlich zum Sonderbetriebsvermögen, da es unmittelbare und untrennbare Voraussetzung für die Erzielung der gewerblichen Einkünfte ist ( BFH/NV S. 2066). Dies gilt unabhängig davon, ob der Nießbraucher zivilrechtlich Gesellschafter der Personengesellschaft ist.

Entsprechendes gilt auch, wenn ein Nießbraucher auf seinen Nießbrauch verzichtet und dadurch eine Mitunternehmerstellung des Nießbrauchers auf den Gesellschafter übergeht.

1. Zum Sonderbetriebsvermögen gehörendes Nießbrauchsrecht

Handelt es sich bei dem Nießbrauchsrecht ertragsteuerrechtlich um Sonderbetriebsvermögen bei der Personengesellschaft, gilt hinsichtlich der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Behandlung Folgendes:

  1. Steuerentstehung vor dem 1. Januar 2009

    Die Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens sind bei der Bewertung des Betriebsvermögens mit ihrem Steuerbilanzwert anzusetzen (§ 12 Absatz 5 ErbStG a. F. in Verbindung mit § 109 Absatz 1 BewG a. F.). Da das Nießbrauchsrecht nicht entgeltlich erworben wurde, gilt ertragsteuerrechtlich das Aktivierungsverbot für immaterielle Wirtschaftsgüter (§ 5 Absatz 2 EStG). Das Nießbrauchsrecht ist deshalb nicht anzusetzen ( BFH/NV S. 2066).

  2. Steuerentstehung nach dem 31. Dezember 2008 oder Antrag nach Artikel 3 des Erbschaftsteuerreformgesetzes vom (BGBl I Seite 3018) gestellt

    Die Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens sind bei der Bewertung des Betriebsvermögens mit ihrem gemeinen Wert anzusetzen (§ 97 Absatz 1a Nummer 2 BewG). Für das Nießbrauchsrecht ist der Kapitalwert nach §§ 13 bis 16 BewG zu ermitteln.

    Da der Nießbraucher ertragsteuerrechtlich Mitunternehmer der Personengesellschaft ist, handelt es sich bei dem Nießbrauchsrecht um einen Anteil an einer Personengesellschaft im Sinne des § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 oder § 18 Absatz 4 Satz 2 EStG. Da auch für den in § 13b Absatz 1 Nummer 2 ErbStG verwendeten Begriff der Personengesellschaft die ertragsteuerrechtlichen Grundsätze maßgebend sind, gehört das Nießbrauchsrecht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 13b Absatz 1 Nummer 2 ErbStG zum begünstigungsfähigen Betriebsvermögen. Dabei ist unbeachtlich, dass nur Sonderbetriebsvermögen übertragen wird, da der Mitunternehmeranteil ausschließlich hierin besteht. Die Zuordnung zum begünstigungsfähigen Betriebsvermögen erfordert nicht den Erwerb einer zivilrechtlichen Gesellschafterstellung ( BFH/NV 2011 S. 2066). Die Steuerbefreiung nach § 13a ErbStG ist ausgeschlossen, wenn das Betriebsvermögen der Personengesellschaft zu mehr als 50 Prozent aus Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Absatz 2 Satz 2 ErbStG besteht oder soweit zum Betriebsvermögen junges Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Absatz 2 Satz 3 ErbStG gehört.

    In den Fällen, in denen der zivilrechtliche Eigentümer des Gesellschaftsanteils Mitunternehmer der Gesellschaft bleibt, ist für die Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote nach § 13b Absatz 2 Satz 4 ErbStG auch hinsichtlich des Nießbrauchsrechts auf den damit belasteten Anteil abzustellen, da der Nießbraucher berechtigt ist, die Nutzungen aus diesem Anteil zu ziehen. Die Ermittlung der Ver-waltungsvermögensquote für das Nießbrauchsrecht erfolgt somit anhand des belasteten Anteils nach H E 13b.20 „Anteil des jungen Verwaltungsvermögens bei Beteiligungen an Personengesellschaften“ ErbStH 2011. Besteht das Nießbrauchsrecht nur an einem Teil des Anteils, ist der entsprechende Teil des Anteils zugrunde zu legen.

    Gehört zum Mitunternehmeranteil des zivilrechtlichen Eigentümers des Gesellschaftsanteils Sonderbetriebsvermögen und erstreckt sich das Nießbrauchsrecht nicht auch hierauf, bleiben das zu diesem Sonderbetriebsvermögen gehörende Verwaltungsvermögen und dieses Sonderbetriebsvermögen selbst bei der Berechnung der Verwaltungsvermögensquote unberücksichtigt.

    Handelt es sich beim zivilrechtlichen Eigentümer des Gesellschaftsanteils nicht um einen Mitunternehmer der Personengesellschaft, ist bei der Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote nach § 13b Absatz 2 Satz 4 ErbStG der Wert des zum Gesamthandvermögen der Gesellschaft gehörenden Verwaltungsvermögens zum Wert des Gesamthandsvermögens ins Verhältnis zu setzen.

    Handelt es sich bei der Personengesellschaft nicht um einen Betrieb mit überwiegendem Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Absatz 2 Satz 1 ErbStG, kann die Steuerbefreiung für das Nießbrauchsrecht insoweit nicht gewährt werden, als das Nutzungsrecht auf junges Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Absatz 2 Satz 3 ErbStG entfällt. Bleibt der zivilrechtliche Eigentümer des Gesellschaftsanteils Mitunternehmer, gilt der Teil des Nießbrauchsrechts als nicht begünstigungsfähiges Vermögen, der dem Verhältnis des Werts des Anteils des jungen Verwaltungsvermögens am Wert des Anteils an der Personengesellschaft entspricht.

    Beispiel:

    A und B sind je zu 50 Prozent an der A & B OHG beteiligt. A räumt C unentgeltlich das Nießbrauchsrecht an seinem Anteil ein. Dieses ist so ausgestaltet, dass C ertragsteuerrechtlich Mitunternehmer der OHG wird. A bleibt ertragsteuerrechtlich Mitunternehmer der OHG. Der Kapitalwert des Nießbrauchsrechts beträgt 100 000 EUR und der des Anteils des A an der OHG 2 000 000 EUR. Zum Gesamthandsvermögen der OHG gehört Verwaltungsvermögen im Wert von 900 000 EUR, wovon 500 000 EUR auf junges Verwaltungsvermögen entfallen.

    Die zum Verwaltungsvermögen und zum jungen Verwaltungsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter sind A und B nach dem Gewinnverteilungsschlüssel je zu 50 Prozent zu zurechnen.

    Die Verwaltungsvermögensquote bezogen auf den Anteil des A beträgt

    900 000 EUR x 0,5 / 2 000 000 EUR = 22,5 % < 50 %.

    Aufgrund des jungen Verwaltungsvermögens sind jedoch

    500 000 EUR x 0,5 / 2 000 000 EUR = 12,5 %

    nicht begünstigt.

    Damit rechnet das Nießbrauchrecht mit (100 000 EUR x 12,5 % =) 12 500 EUR nicht zum begünstigten Vermögen und mit (100 000 EUR - 12 500 EUR =) 87 500 EUR zum begünstigten Vermögen.

    Bleibt der zivilrechtliche Eigentümer des Gesellschaftsanteils nicht Mitunternehmer der Personengesellschaft, gehört der Teil des Nießbrauchsrechts nicht zum begünstigten Vermögen, der dem Wert des Anteils des jungen Verwaltungsvermögens am Wert des Gesamthandsvermögens der Gesellschaft entspricht.

    Beispiel:

    A und B sind je zu 50 Prozent an der A & B OHG beteiligt. A räumt C unentgeltlich das Nießbrauchsrecht an seinem Anteil ein. Dieses ist so ausgestaltet, dass C ertragsteuerrechtlich Mitunternehmer der OHG wird und A ertragsteuerrechtlich nicht mehr Mitunternehmer ist. Der Kapitalwert des Nießbrauchsrechts beträgt 50 000 EUR. Das Gesamthandsvermögen der OHG hat einen Wert von 3 000 000 EUR. Zum Gesamthandsvermögen der OHG gehört Verwaltungsvermögen im Wert von 1 200 000 EUR, wovon 630 000 EUR auf junges Verwaltungsvermögen entfallen.

    Die Verwaltungsvermögensquote der OHG beträgt

    1 200 000 EUR / 3 000 000 EUR = 40 % < 50 %.

    Der Wert des Anteils des jungen Verwaltungsvermögens am Gesamthandsvermögen beträgt

    630 000 EUR / 3 000 000 EUR = 21 %.

    Damit rechnet das Nießbrauchrecht mit (50 000 EUR x 21 % =) 10 500 EUR nicht zum begünstigten Vermögen und mit (50 000 EUR - 10 500 EUR =) 39 500 EUR zum begünstigten Vermögen.

    Soweit H E 13b.5 „Einräumung obligatorischer Nutzungsrechte an begünstigtem Vermögen“ ErbStH 2011 hiervon abweicht, wird daran nicht mehr festgehalten.

    Da es sich bei dem Nießbrauchsrecht um einen Anteil an einer Personengesellschaft handelt, erfolgt hierfür eine gesonderte Feststellung nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG durch das Betriebsfinanzamt der Personengesellschaft. Des Weiteren sind die Ausgangslohnsumme und die Anzahl der Beschäftigten (§ 13a Absatz 1a ErbStG) sowie die Angaben zum Verwaltungsvermögen und zum jungen Verwaltungsvermögen (§ 13b Absatz 2a ErbStG) vom Betriebsfinanzamt gesondert festzustellen.

2. Nicht zum Sonderbetriebsvermögen gehörendes Nießbrauchsrecht

Wenn das Nießbrauchsrecht nicht zum Sonderbetriebsvermögen bei der Personengesellschaft gehört, weil der Nießbrauchsberechtigte ertragsteuerrechtlich nicht als Mitunternehmer anzusehen ist, liegt übriges Vermögen vor. Die Bewertung erfolgt nach §§ 13 bis 16 BewG. Eine Steuerbefreiung nach § 13a ErbStG kann nicht gewährt werden, da kein begünstigungsfähiges Vermögen i. S. d. § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG vorliegt.

3. Anwendungszeitpunkt

Dieser Erlass ist auf alle Erwerbe anzuwenden, für die die Steuer nach dem entstanden ist und die noch nicht bestandskräftig veranlagt sind. Für Erwerbe, für die die Steuer vor dem entstanden ist, ist dieser Erlass entsprechend anzuwenden, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind.

Inhaltlich gleichlautend
Oberste Finanzbehörde der Länder v.
Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg - 3 – S 3811/30
Bayerisches Staatsministerium der Finanzen - 34 – S 3812b – 005 – 38 141/12
Senatsverwaltung für Finanzen Berlin - III D – S 3812a – 4/2012 – 2
Ministerium der Finanzen des Landes Brandenburg - 36 – S 3812a – 2012#003
Die Senatorin für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen - S 3812a – 13
Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg - 53 – S 3812b – 003/12
Hessisches Ministerium der Finanzen - S 3812b A – 002 – II 6a
Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern - IV- S 3812b – 00000 – 2012/003
Niedersächsisches Finanzministerium - S 3811 – 34 – 35 1
Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen - S 3812a – 6 – V A 6
Ministerium der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz - S 3812a A – 447
Ministerium für Finanzen und Europa des Saarlandes - B/5 – S 3812a – 2#010
Sächsisches Staatsministerium der Finanzen - 35 – S 3812b – 7/10 – 44289
Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt - 46 – S 3812b – 7
Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein - VI 35 – S 3812a – 014
Thüringer Finanzministerium - S 3812b A – 01/2012


Fundstelle(n):
BStBl 2012 I Seite 1101
KAAAE-24212