BGH Beschluss v. - XI ZB 25/11

Berufungsverfahren: Inhaltliche Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung

Gesetze: § 520 Abs 3 S 2 Nr 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 6 U 110/09vorgehend Az: 23 O 412/07

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 2) aus einer Gewährleistungsbürgschaft auf Zahlung von 200.000 € in Anspruch.

2Die Beklagte zu 2) (im Folgenden: Beklagte) übernahm am eine Gewährleistungsbürgschaft bis zu einem Betrag von 200.000 € für Verpflichtungen der am Berufungsverfahren nicht mehr beteiligten Beklagten zu 1), einer Arbeitsgemeinschaft von Bauunternehmen, aus einem 1994 mit der Klägerin geschlossenen Bauvertrag, für den die Geltung der VOB/B in der Fassung vom Dezember 1992 vereinbart worden war. Diese Bürgschaft trat an die Stelle einer von einer anderen Bürgin mit einer höheren Bürgschaftssumme gestellten Gewährleistungsbürgschaft.

3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da sich die Beklagte nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Erfolg auf die Verjährung der durch die Bürgschaft gesicherten Gewährleistungsansprüche der Klägerin berufen habe. § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1992) finde auf die vorliegende Bürgschaft keine Anwendung, da diese nachträglich vereinbart worden sei. Diese Vorschrift finde nur bis zur Rückgabe der ersten Gewährleistungsbürgschaft Anwendung, es sei denn, mit dem Bürgen werde Gegenteiliges vereinbart. Der Auftraggeber, der sich auf einen Austausch der Bürgschaften einlasse, habe es in der Hand, gegen den Auftragnehmer Maßnahmen zu ergreifen, die eine Verjährungshemmung bewirkten. Eine andere Auslegung des § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1992) führe zu einer unangemessenen Bevorzugung des Auftraggebers. Dieser würde durch die Erteilung einer neuen Bürgschaft die Möglichkeit erhalten, den Bürgen weitere drei Jahre in Anspruch zu nehmen, ohne gegen den Auftraggeber vorgehen zu müssen. Dadurch wäre der Auftragnehmer, der Aufwendungen des Bürgen zu erstatten habe, mit einer möglichen Haftungsfrist von 10 Jahren belastet. Da es sich nach dem Vortrag der Klägerin bei der geltend gemachten Bürgschaft um eine eigenständige Verpflichtung gehandelt habe und nicht lediglich um die ursprünglich erteilte Bürgschaftserklärung in reduzierter Form, habe die Klägerin ihre Rechte aus § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1992) mit Rückgabe der ersten Bürgschaft aufgegeben.

4Sollte es sich bei der Erklärung vom nicht um das Angebot auf Abschluss eines neuen Bürgschaftsvertrages handeln, sondern um eine Vereinbarung, die bestehende Bürgschaft auf 200.000 € zu reduzieren, könne sich die Beklagte zwar nach § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1992) nicht auf die Einrede der Verjährung der Hauptforderung berufen, jedoch sei dann die Bürgschaftsforderung ihrerseits verjährt.

5Die Klägerin gibt in der Berufungsbegründung vom zunächst den Standpunkt der Rechtsprechung wieder, der Auftraggeber könne nach § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1992) eine Sicherheit verwerten, obgleich die Hauptschuld verjährt sei, solange der Mangel in unverjährter Zeit angezeigt worden sei. Daran anschließend lautet es:

"Weshalb die Klägerin ihre Rechte aus § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B verloren haben soll, nachdem die ursprünglich hingegebene Gewährleistungsbürgschaft gegen die hier streitgegenständliche reduzierte Gewährleistungsbürgschaft ausgetauscht worden war, erschließt sich nicht und findet auch keine Stütze in Literatur oder Rechtsprechung."

6Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin in dem mit der Rechtsbeschwerde angegriffenen Beschluss verworfen, da die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genüge. Die Klägerin habe sich nicht mit den Argumenten des Landgerichts auseinandergesetzt, wonach die Rechtsprechung zur Inanspruchnahme von Sicherheiten trotz Verjährung der Hauptforderung auf die streitgegenständliche Bürgschaft nicht anzuwenden sei. Sie beschränke sich darauf, die Entscheidung pauschal als nicht nachvollziehbar zu kritisieren. Es sei nicht feststellbar, welche Gründe sie den Argumenten des Landgerichts entgegensetzen wolle. Die bloße Bezugnahme auf erstinstanzlichen Vortrag reiche insoweit ebenfalls nicht aus.

7Mit der Rechtsbeschwerde macht die Klägerin geltend, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die Berufungsbegründung überspannt und dadurch unter Verletzung des Grundrechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz der Klägerin in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise den Zugang zur Berufungsinstanz versperrt.

II.

8Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

9Die Rechtsbeschwerde ist zwar kraft Gesetzes (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) statthaft, im Übrigen jedoch unzulässig. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO), weil das Berufungsgericht § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO rechtsfehlerfrei angewendet hat und die Klägerin weder in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt ist.

101. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 29/04, NJW-RR 2004, 1716, vom - XI ZB 41/06, WM 2008, 1810 Rn. 11, vom - XI ZB 21/08, juris Rn. 13 und vom - XI ZB 26/08, juris Rn. 11, jeweils mwN). Besondere formale Anforderungen bestehen nicht; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 133/02, NJW-RR 2003, 1580 und vom - XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531, 2532, jeweils mwN). Jedoch muss die Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein (Senat, Beschlüsse vom - XI ZB 41/06, WM 2008, 1810 Rn. 11, vom - XI ZB 21/08, juris Rn. 13 und vom - XI ZB 26/08, juris Rn. 11). Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (, NJW 1995, 1560, vom - IX ZR 389/97, NJW 1998, 3126, vom - X ZR 196/99, NJW-RR 2002, 209, 210, vom - XI ZR 281/00, juris Rn. 19 und vom - IX ZR 250/00, WM 2004, 442).

11Hat das Erstgericht - wie hier - die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (, BGHZ 143, 169, 171; Urteil vom - IX ZR 250/00, WM 2004, 442; Beschlüsse vom - VI ZB 81/04, NJW-RR 2006, 285 und vom - XI ZB 21/08, juris Rn. 13, jeweils mwN).

122. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Klägerin nicht.

13a) Die Berufungsbegründung erfüllt zwar die Voraussetzungen von § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO, soweit sie sich gegen die Hilfsbegründung des Landgerichts zur Verjährung der Bürgschaftsforderung wendet.

14b) Unzureichend ist jedoch die Berufungsbegründung zu der Hauptbegründung des Landgerichts, die Beklagte habe sich nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Erfolg auf die Einrede gestützt, die Hauptforderung sei verjährt.

15aa) Die Berufungsbegründung geht insoweit auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils nicht näher ein, sondern beschränkt sich auf eine formelhafte Wendung. Auf die tragende Erwägung des Berufungsgerichts, § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1992) finde keine Anwendung auf eine - hier vorliegende - nachträglich übernommene Bürgschaft, bezieht sich allein der Hinweis der Berufungsbegründung, diese Rechtsansicht des Berufungsgerichts erschließe sich nicht und finde keine Stütze in Literatur und Rechtsprechung. Diese Darstellung ist nicht - wie erforderlich - auf den konkreten Streitfall zugeschnitten, sondern erschöpft sich in einer konturenlosen Redewendung. Sie geht nicht über die inhaltslose Kritik hinaus, die Rechtsauffassung des Landgerichts sei unzutreffend.

16Weder die konkrete Begründung des Landgerichts noch einzelne Begründungselemente werden von der Klägerin in Zweifel gezogen. Statt sich, wie in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO gefordert, konkret mit den die angegriffene Entscheidung tragenden Erwägungen auseinanderzusetzen, beschränkt sich die Berufungsbegründung auf die nichtssagende Beanstandung, die Auffassung des Berufungsgerichts finde keine Stütze in Literatur und Rechtsprechung. Für das Berufungsgericht blieb danach unklar, aus welchen materiellrechtlichen oder verfahrensrechtlichen Gründen nach Ansicht der Berufung das Urteil des Landgerichts unzutreffend sein soll. Zu einer auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils zugeschnittenen Berufungsbegründung bestand vorliegend umso mehr Anlass, als sich das Landgericht detailliert nicht nur mit dem Normzweck von § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1992) befasst, sondern sich auch auf eine konkrete, an den beiderseitigen Interessen ausgerichtete Auslegung dieser Norm gestützt hat.

17bb) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdebegründung benennt die Berufungsbegründung die tatsächlichen oder rechtlichen Gründe, die die Klägerin der Begründung des Berufungsurteils im Einzelnen entgegensetzt, nicht dadurch, dass sie die Rechtsprechung zu den Rechtsfolgen von § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1992) im Falle verjährter Hauptforderung kurz anspricht. Denn für die Entscheidung des Landgerichts ist tragend, dass auf die vorliegende, erst nachträglich übernommene Bürgschaft nach den beiderseitigen Interessen der Parteien § 17 Nr. 8 Satz 2 VOB/B (1992) nicht anzuwenden ist. Dann kommt es aber auf die Rechtsfolgen dieser Vorschrift, die - wie die Hilfsbegründung zeigt - auch das Landgericht nicht in Zweifel zieht, für die mit der Berufung angegriffene Entscheidung nicht an.

18cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzen diese Anforderungen an die Berufungsbegründung die Klägerin weder in ihrem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) noch in ihrem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Begründungserfordernis des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO ist sachlich gerechtfertigt, da es der Verfahrenskonzentration dient, indem es den Berufungsführer anhält, die angegriffene Entscheidung nicht nur im Ergebnis, sondern in der konkreten Begründung zu überprüfen und im Einzelnen darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen das angefochtene Urteil für unrichtig gehalten wird. Dies stellt eine anwaltlich vertretene Partei - wie hier die Klägerin - vor keine erheblichen oder gar unzumutbaren Anforderungen (vgl. BVerfG, NJW-RR 2002, 135 f. zu der Vorgängerregelung § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).

Wiechers                         Maihold                             Matthias

                    Pamp                              Menges

Fundstelle(n):
NJW 2013 S. 174 Nr. 3
JAAAE-22105