EuGH Urteil v. - C-423/09

Gemeinsamer Zolltarif - Tarifierung - Kombinierte Nomenklatur - Einreihung von Gemüse (Knoblauchknollen), getrocknet und nicht vollständig entfeuchtet

Leitsatz

Die Kombinierte Nomenklatur im Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1810/2004 der Kommission vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Knoblauch, der einem intensiven Trocknungsverfahren mit spezieller Behandlung unterzogen wurde, an dessen Ende dem Erzeugnis die gesamte oder nahezu die gesamte Flüssigkeit entzogen ist, in die Tarifunterposition 0712 90 90 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen ist, teilgetrockneter Knoblauch, der die Eigenschaften und Merkmale von frischem Knoblauch bewahrt, aber zur Tarifunterposition 0703 20 00 der Kombinierten Nomenklatur gehört.

Instanzenzug:

Gründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der einschlägigen Unterpositionen für die Zwecke der Einreihung von Knoblauchknollen in die Kombinierte Nomenklatur (im Folgenden: KN) im Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1810/2004 der Kommission vom 7. September 2004 (ABl. L 327, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2658/87).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Staatssecretaris van Financiën und der X BV (im Folgenden: X) über die zolltarifliche Einreihung verschiedener Einfuhren von Knoblauchknollen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

In Bezug auf das Ausgangsverfahren sind folgende tariflichen Unterpositionen der KN in der Verordnung Nr. 2658/87 einschlägig:

"0703 Speisezwiebeln, Schalotten, Knoblauch, Porree/Lauch und andere Gemüse der Allium-Arten, frisch oder gekühlt:

...

0703 20 00 - Knoblauch

...

0712 Gemüse, getrocknet, auch in Stücke oder Scheiben geschnitten, als Pulver oder sonst zerkleinert, jedoch nicht weiter zubereitet:

...

0712 90 90 - andere".

Die Erläuterungen zum Harmonisierten System

Der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens - jetzt Weltzollorganisation -, der mit am in Brüssel geschlossenem internationalen Abkommen eingesetzt wurde, genehmigt nach Maßgabe des Art. 8 des Internationalen Übereinkommens über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) die vom Ausschuss für das HS verabschiedeten Erläuterungen und Einreihungsavise.

Erläuterung 2 in Abschnitt I des HS bestimmt:

"Soweit nichts anderes bestimmt ist, gilt in der Nomenklatur jede Bezugnahme auf getrocknete Waren auch für entwässerte, eingedampfte oder gefriergetrocknete Waren."

In den Erläuterungen zu Kapitel 7 heißt es:

"Zu diesem Kapitel gehören Gemüse aller Art, einschließlich der in Anmerkung 2 zu diesem Kapitel aufgeführten Waren, frisch, gekühlt, gefroren (nicht gekocht oder in Wasser oder Dampf gekocht), vorläufig haltbar gemacht oder getrocknet (entwässert, evaporiert oder gefriergetrocknet). ...

Der Begriff 'gekühlt' bedeutet, dass die Temperatur einer Ware herabgesetzt worden ist, im Allgemeinen bis etwa 0° C, ohne dass Gefrieren eintritt. Jedoch können einige Waren, z. B. Kartoffeln, auch dann als 'gekühlt' angesehen werden, wenn ihre Temperatur auf + 10° C abgesenkt und bei diesem Wert gehalten wird.

..."

In den Erläuterungen zu Position 0712 des HS heißt es:

"Hierher gehören Gemüse der Positionen 0701 bis 0709, die durch verschiedene Verfahren getrocknet (einschließlich entwässert, evaporiert oder gefriergetrocknet) worden sind. ...

Zu dieser Position gehört auch Gemüse, das gemahlen oder sonst zerkleinert worden ist, um hauptsächlich zum Würzen von Speisen oder zum Herstellen von Suppen verwendet zu werden; das ist häufig bei Spargel, Blumenkohl, Petersilie, Kerbel, Sellerie, Speisezwiebeln und Knoblauch der Fall.

..."

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

In der Zeit vom bis einschließlich meldete X in ihrer Eigenschaft als Zollspediteur 15-mal Partien Knoblauchknollen aus China, die sich zur Zeit der Einfuhr in Kühlcontainern befanden, zur Abfertigung zum freien Verkehr an. In den Einfuhranmeldungen war jeweils die Unterposition 0712 90 90 der KN angegeben, und die Waren wurden als "garlic", "dried garlic" oder "white dry garlic" (Knoblauch, getrockneter Knoblauch, weißer getrockneter Knoblauch) beschrieben.

Nachdem die Waren vom Zoll überlassen worden waren, wurde der Knoblauch in Kühlräume eines Lagerunternehmens verbracht, wo er bei einer Temperatur von -3° C aufbewahrt wurde.

Nach einer Verwaltungsprüfung im August 2005 war der Zollinspektor der Ansicht, dass der eingeführte Knoblauch als gekühlter Knoblauch in die Unterposition 0703 20 00 der KN einzureihen sei. Daraufhin erließ er die streitigen Zollabgabezahlungsbescheide.

X legte Einspruch ein, der zurückgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Klage wurde für unbegründet erklärt. Gegen diese Entscheidung legte X Berufung beim Gerechtshof te Amsterdam ein. Dieser urteilte, dass der Zollinspektor nicht dargetan habe, dass es einen Grund gebe, von der angegebenen Tarifposition 0712 der KN abzuweichen. Der Staatssecretaris legte gegen das Urteil des Gerechtshof Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden ein.

Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Anhand welcher Kriterien ist zu bestimmen, ob Gemüse (Knoblauchknollen), das in gewissem Maß getrocknet ist, dem aber nicht (nahezu) die gesamte Flüssigkeit entzogen ist und das gekühlt eingeführt wird, in die Unterposition 0703 20 00 der KN oder aber in die Unterposition 0712 90 90 der KN einzureihen ist?

Zur Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, nach welchen Kriterien zu bestimmen ist, ob Knoblauch, der einem Trocknungsverfahren unterzogen wurde, in die Unterposition 0703 20 00 der KN oder in die Unterposition 0712 90 90 der KN einzureihen ist.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es in einem Vorabentscheidungsverfahren auf dem Gebiet der zolltariflichen Einreihung Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht die Kriterien aufzuzeigen, anhand deren es die betreffenden Waren richtig in die KN einreihen kann, nicht aber, diese Einreihung selbst vorzunehmen, zumal er nicht immer über die hierfür erforderlichen Angaben verfügt. Das nationale Gericht ist hierzu jedenfalls besser in der Lage (Urteil vom , Sachsenmilch, C-196/05, Slg. 2006, I-5161, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach ständiger Rechtsprechung ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der KN-Position und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. u. a. Urteile vom , Kamino International Logistics, C-376/07, Slg. 2009, I-1167, Randnr. 31, und vom , Data I/O, C-370/08, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 29).

Die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur KN und von der Weltzollorganisation zur HS ausgearbeiteten Erläuterungen sind ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen (Urteile vom , Turbon International, C-250/05, Slg. 2006, I-10531, Randnr. 16, und Data I/O, Randnr. 30).

X macht geltend, die Position 0703 der KN stelle ausschließlich auf frisches oder gekühltes Gemüse ab, das keiner anderen Haltbarmachung unterzogen worden sei als der Kühlung. Sobald Gemüse einer anderen Haltbarmachung als der Kühlung unterzogen worden sei wie der Trocknung, könne es nicht mehr in die Position 0703 der KN eingereiht werden.

Wenn dem Knoblauch die darin enthaltene Flüssigkeit in gewissem Maß, nicht aber ganz entzogen worden sei, seien die Knoblauchknollen in Position 0712 des HS einzureihen.

Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden. Nach den Erläuterungen zum HS umfasst die Position 0712 "Gemüse der Positionen 0701 bis 0709, die durch verschiedene Verfahren getrocknet (einschließlich entwässert, evaporiert oder gefriergetrocknet) worden sind".

Aus dem Wortlaut dieser Erläuterung ergibt sich, dass die Einreihung in die Position 0712 voraussetzt, dass das Gemüse einem intensiven Trocknungsverfahren mit spezieller Behandlung unterzogen wurde, an dessen Ende dem Erzeugnis die gesamte oder nahezu die gesamte Flüssigkeit entzogen ist.

Infolge dieses Verfahrens muss der Restflüssigkeitsgehalt in dem Gemüse unbedeutend sein, z. B., wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, unter 10 % liegen.

Für ihr Vorbringen, dass die Einreihung als "frischer" oder "gekühlter" Knoblauch in die Unterposition 0703 20 00 ausgeschlossen sei, wenn die Knoblauchknollen in gewissem Maß getrocknet seien, und dass selbst teilgetrockneter Knoblauch in die Unterposition 0712 90 90 einzureihen sei, führt X das Urteil des Gerichtshofs vom , Riemer (120/75, Slg. 1976, 1003), an.

In jenem Urteil Riemer hat sich der Gerichtshof jedoch mit dem Unterschied zwischen "frischen" und "gefrorenen" Beeren befasst. Es betrifft daher Erzeugnisse, die zu einem anderen Kapitel gehören und einer anderen Behandlung als der Trocknung unterzogen wurden.

Außerdem hat der Gerichtshof in jenem Urteil festgestellt, dass Beeren, die eingefroren werden, schon durch diesen Vorgang in ihren Eigenschaften nicht mehr rückgängig zu machende Veränderungen, insbesondere der Gewebestruktur, erfahren, so dass sie sich, auch nachdem sie ganz oder teilweise wieder aufgetaut sind, nicht mehr im natürlichen Zustand befinden (vgl. Urteil Riemer, Randnr. 4).

Entsprechend muss, damit die Knoblauchknollen in die Position 0712 eingereiht werden können, das Verfahren zur Trocknung des Knoblauchs zu substanziellen und nicht mehr rückgängig zu machenden Veränderungen führen, so dass sich das Erzeugnis nicht mehr im natürlichen Zustand befindet.

Das Entziehen des Wassers muss deshalb die objektiven Eigenschaften und Merkmale des Erzeugnisses in solcher Weise substanziell verändern, dass diese Veränderung die Einreihung in eine andere Tarifposition als die Position 0703 nach sich zieht, zu der Gemüse in frischem oder gekühltem Zustand gehört.

Folglich ist teilgetrockneter Knoblauch, der die Eigenschaften und Merkmale von frischem Knoblauch bewahrt, in die Tarifposition 0703 und nicht in die Position 0712 einzureihen.

Außerdem weist der Umstand, dass der teilgetrocknete Knoblauch gekühlt eingeführt wird, darauf hin, dass die Trocknung dem Erzeugnis nicht die gesamte oder nahezu die gesamte Flüssigkeit entzogen hat, da die Entwässerung, wie von der Kommission in ihren Erklärungen ausgeführt, eine Konservierungsmethode ist, die es ermöglicht, dass die entwässerten Erzeugnisse nicht mehr bei einer Temperatur von unter 0° C aufbewahrt werden müssen.

Die Regierung des Vereinigten Königreichs bringt in ihren Erklärungen vor, dass Knoblauch in Form von ganzen Knollen oder von Zehen im Gegensatz zu Knoblauchpulver oder sonst zerkleinertem Knoblauch nicht hinreichend getrocknet werden könne.

Dazu ist darauf hinzuweisen, dass es in den Erläuterungen zum HS in Bezug auf die genannte Position 0712 heißt: "Zu dieser Position gehört auch Gemüse, das gemahlen oder sonst zerkleinert worden ist, um hauptsächlich zum Würzen von Speisen oder zum Herstellen von Suppen verwendet zu werden; das ist häufig bei ... Knoblauch der Fall."

Daraus folgt, dass in die Position 0712 eingereihter Knoblauch normalerweise Pulverform aufweist oder sonst zerkleinert ist. Der Wortlaut von Position 0712 der KN - "Gemüse, getrocknet, auch in Stücke oder Scheiben geschnitten, als Pulver oder sonst zerkleinert, jedoch nicht weiter zubereitet" - schließt jedoch nicht ausdrücklich aus, dass ganze Knoblauchknollen oder Knoblauchzehen, falls hinreichend getrocknet, ebenfalls zu dieser Position gehören können, auch wenn solche Erzeugnisse im Handel nicht sehr verbreitet sind.

In ihren Erklärungen hat die Kommission als zusätzliches Kriterium für die Einreihung der Knoblauchknollen die Konservierungsdauer vorgeschlagen, da nur völlig getrockneter Knoblauch für lange Zeit haltbar gemacht werden könne, während frischer oder gekühlter Knoblauch zwangsläufig eine kürzere Haltbarkeitsdauer habe.

Insoweit kann zwar, um den Knoblauch im Gegensatz zu frischem oder gekühltem Knoblauch als Trockengemüse in die Position 0712 einzureihen, eine lange Haltbarkeitsdauer als zusätzliches Indiz für seinen Entfeuchtungsgrad dienen.

Es ist aber auch festzustellen, dass die Positionen 0703 und 0712 der KN keine Bezugnahme auf die Haltbarkeit als Einreihungskriterium enthalten, so dass daraus abzuleiten ist, dass die Haltbarkeitsdauer selbst keinen Einfluss auf die zolltarifliche Einreihung dieses Erzeugnisses hat (vgl. entsprechend Urteil vom , Weber, 40/88, Slg. 1989, 1395, Randnr. 16).

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Kombinierte Nomenklatur im Anhang I der Verordnung Nr. 2658/87 dahin auszulegen ist, dass Knoblauch, der einem intensiven Trocknungsverfahren mit spezieller Behandlung unterzogen wurde, an dessen Ende dem Erzeugnis die gesamte oder nahezu die gesamte Flüssigkeit entzogen ist, in die Tarifunterposition 0712 90 90 der KN einzureihen ist, teilgetrockneter Knoblauch, der die Eigenschaften und Merkmale von frischem Knoblauch bewahrt, aber zur Tarifunterposition 0703 20 00 der KN gehört.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Die Kombinierte Nomenklatur im Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1810/2004 der Kommission vom geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Knoblauch, der einem intensiven Trocknungsverfahren mit spezieller Behandlung unterzogen wurde, an dessen Ende dem Erzeugnis die gesamte oder nahezu die gesamte Flüssigkeit entzogen ist, in die Tarifunterposition 0712 90 90 der Kombinierten Nomenklatur einzureihen ist, teilgetrockneter Knoblauch, der die Eigenschaften und Merkmale von frischem Knoblauch bewahrt, aber zur Tarifunterposition 0703 20 00 der Kombinierten Nomenklatur gehört.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
UAAAD-55580