BGH Beschluss v. - VI ZB 26/10

Rechtsanwaltsgebühren: Anwendbarkeit der Bestimmung über die Anrechnung einer Gebühr auf Altfälle

Gesetze: § 15a Abs 2 RVG, § 60 Abs 1 RVG, Vorbem 3 Abs 4 RVG-VV, Nr 2300 RVG-VV, Nr 3100 RVG-VV

Instanzenzug: Az: I-8 W 28/09 Beschlussvorgehend LG Duisburg Az: 4 O 390/06 Kostenfestsetzungsbeschluss

Gründe

I.

1Der Kläger hat die Beklagten wegen der Folgen einer Operation auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Er hat außerdem die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden aus der Operation, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind, begehrt. In der mündlichen Verhandlung am vor dem Landgericht haben sich die Parteien in der Sache verglichen und außerdem vereinbart, dass der Kläger 15 % und die Beklagten als Gesamtschuldner  85 % der Kosten zu tragen haben. Der Rechtspfleger des Landgerichts hat der Berechnung des Erstattungsanspruchs des Klägers lediglich eine 0,65-Verfahrensgebühr unter hälftiger Anrechnung der wegen der vorgerichtlichen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers angefallenen Geschäftsgebühr zugrunde gelegt. Er hat die Beklagten verpflichtet, dem Kläger 909,54 € nebst Zinsen zu erstatten. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren auf den Ansatz einer 1,3-Verfahrensgebühr nebst Zinsen weiter.

2Der Beschluss des Beschwerdegerichts ist dem vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugegangen. Mit Schriftsatz vom hat der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte Bewilligung der Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsbeschwerde des Klägers beantragt. Der Senat hat mit Beschluss vom , zugestellt an den vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am , den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil die Kosten der Prozessführung vier vom Kläger zu erbringende Monatsraten nicht übersteigen (§ 115 Abs. 4 ZPO). Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom Rechtsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung in die Rechtsbeschwerdefrist beantragt. Mit Schriftsatz vom hat er Wiedereinsetzung in die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist beantragt und die Rechtsbeschwerde begründet.

II.

31. Das Beschwerdegericht ist mit dem Landgericht der Auffassung, dass es nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zu einer Kürzung der vom Kläger angesetzten Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG auf den 0,65-fachen Satz kommen müsse. Daran ändere auch § 15a RVG nichts, weil diese Bestimmung im Hinblick auf die Überleitungsvorschrift des § 60 RVG keine Anwendung finde. Nach § 60 Abs. 1 RVG gelte § 15a RVG nur für solche Fälle, in denen der unbedingte Auftrag an den Anwalt nach dem erteilt worden ist, was hier nicht der Fall sei. Der Auffassung des ), dass sich die Anrechnungsvorschrift im Verhältnis zu Dritten grundsätzlich nicht auswirke, weil durch die Einfügung von § 15a Abs. 1 RVG die bereits zuvor bestehende Gesetzeslage lediglich klargestellt und nicht geändert worden sei, könne nicht gefolgt werden.

42. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, §§ 575, 233 ff. ZPO).

5a) Dem Kläger ist Wiedereinsetzung in die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer die Frist wahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste (vgl. Senat, Beschlüsse vom - VI ZB 81/06, FamRZ 2008, 400 Rn. 14; vom - VI ZB 10/99, VersR 2000, 383; vom - VI ZB 49/91, VersR 1992, 897 f.; BGH, Beschlüsse vom - IV ZB 21/05, FamRZ 2005, 2062 f.; vom - VIII ZB 80/03, FamRZ 2004, 699 und vom - III ZA 6/00, AGS 2002, 210). Für die Entscheidung, ob der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist, kommt es ausschließlich darauf an, ob sie sich für bedürftig halten durfte.

6Im Streitfall musste der Kläger mit einer Ablehnung seines Antrags auf Prozesskostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht von vorneherein rechnen, nachdem ihm zum Zwecke des Abschlusses des Vergleichs vom Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom für den Abschluss des Vergleichs Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten bewilligt worden ist. Dem steht nicht entgegen, dass der in der geltend gemachten Bedürftigkeit des Klägers liegende Hinderungsgrund für die Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde auch aufgrund der nach Ablehnung der Prozesskostenhilfe gegebenen Kostentragungszusage des vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten entfallen ist. Der Hinderungsgrund für die Einhaltung der Rechtsbeschwerde- und Rechtsbeschwerdebegründungsfrist ist frühestens mit der Zustellung des Beschlusses des Senats am weggefallen. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Schriftsätzen vom und vom sind mithin in der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellt worden und entsprechen der Form des § 236 ZPO.

7b) Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

8Sie macht zutreffend geltend, dass die in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens im Rahmen der Kostenfestsetzung in der Weise hätte erfolgen müssen, wie sie in § 15a RVG beschrieben ist. Die Vorschrift in § 15a RVG ist durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom (BGBl. I S. 2449) in das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz eingefügt worden und gemäß Art. 10 Satz 2 dieses Gesetzes am in Kraft getreten. Der Senat folgt der Auffassung der übrigen Senate des Bundesgerichtshofs, wonach § 15a RVG auch auf noch nicht abgeschlossene Kostenfestsetzungsverfahren anzuwenden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 15/10, Rn. 9 z.V.b.; vom - V ZB 38/10, AGS 2010, 263 unter III. 1.; vom - IX ZB 82/08, JurBüro 2010, 358, 359; vom - XII ZB 177/09, FamRZ 2010, 806 Rn. 10.; vom - XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375, Rn. 11 ff. m.w.N. zum Streitstand und vom - II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 Rn. 6 ff.). Danach ist für die Zeit vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes davon auszugehen, dass die in Vormerkung 3 Abs. 4 VV RVG angeordnete Anrechnung für die Höhe der gesetzlichen Gebühren im Verhältnis der Prozessparteien untereinander ohne Bedeutung ist und die entsprechend berechtigte Prozesspartei die Erstattung einer ungekürzten Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG beanspruchen kann.

Die Rechtsbeschwerde rügt hiernach zu Recht, dass das Beschwerdegericht die angemeldete Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG gekürzt und nicht mit dem 1,3-fachen Satz in Ansatz gebracht hat. Da in der Sache keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, sondern der Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist, entscheidet der Senat gemäß § 577 Abs. 5 ZPO selbst.

9c) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 100 Abs. 4, 238 Abs. 4 ZPO.

Galke                                       Zoll                                    Wellner

                 Diederichsen                              von Pentz

Fundstelle(n):
LAAAD-55531