BAG Urteil v. - 2 AZR 654/08

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: KSchG § 23; BetrVG § 77; TVG § 4

Instanzenzug: LAG Frankfurt/Main, 8 Sa 2179/06 vom ArbG Frankfurt/Main, 8 Ca 1949/06 vom Veröffentlichungen: Für die Amtliche Sammlung: Nein

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.

Der Kläger ist 1947 geboren und griechischer Staatsangehöriger. Er wurde von der Beklagten, der Nationalbank von Griechenland, 1977 in Griechenland angestellt und dort zunächst in verschiedenen Zweigstellen beschäftigt. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag aus dieser Zeit gibt es nicht. Ab dem wurde er für die Beklagte in verschiedenen Filialen in Deutschland tätig. Seine monatliche Gesamtvergütung betrug nach Feststellung des Landesarbeitsgerichts 8.983,83 Euro, nach den Angaben des Klägers etwa 11.000,00 Euro.

Bei der Beklagten besteht eine "Arbeitsordnung". Sie wurde als "betriebliche Vereinbarung" von der Beklagten mit dem "Verein der Angestellten der Nationalbank von Griechenland" abgeschlossen, einer Gewerkschaft, deren Mitglied der Kläger ist. Die Arbeitsordnung enthält in ihrer Fassung vom ua. Bestimmungen, die eine Kündigung durch die Beklagte nur bei wichtigem Grund vorsehen.

Die Beklagte, die in Griechenland mehrere Tausend Mitarbeiter beschäftigt, hatte ihre Filiale in S, deren Leiter der Kläger war und in der etwa acht bis zehn Mitarbeiter beschäftigt waren, im Jahr 2000 geschlossen. Nach einem erfolglosen Versuch, den Kläger nach Athen zu versetzen, beschäftigte sie ihn in der allein verbliebenen Niederlassung in F, wo etwa zehn Arbeitnehmer tätig waren. Die Beklagte beschloss am , auch die Niederlassung in F zu schließen und ihre Tätigkeit in Deutschland endgültig einzustellen. Dies geschah zum auch tatsächlich. Zuvor wurden ein Interessenausgleich und ein Sozialplan abgeschlossen. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger wegen der Einstellung des Geschäftsbetriebs. Durch Urteil vom erklärte das Arbeitsgericht Frankfurt am Main die Kündigung für unwirksam. Die Beklagte habe dem Kläger eine Weiterbeschäftigung in Griechenland anbieten müssen. Zum waren alle anderen in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer der Beklagten - bis auf zwei - ausgeschieden.

Mit Schreiben vom erklärte die Beklagte, sie versetze den Kläger in eine Niederlassung in Athen/Griechenland auf die Position eines stellvertretenden Direktors mit einer monatlichen Vergütung von 3.504,56 Euro brutto. Mit demselben Schreiben kündigte sie vorsorglich das Arbeitsverhältnis der Parteien zum . Zugleich unterbreitete sie dem Kläger mehrere Angebote zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in Griechenland, die der Kläger sämtlich - ohne Vorbehalt - ablehnte.

Der Kläger hat mit der Klage ua. geltend gemacht, die Versetzung sei unwirksam und die ausgesprochene Änderungskündigung sozialwidrig. Die Änderungsangebote seien unangemessen und auch deshalb unwirksam, weil gem. Art. 33 der Arbeitsordnung sein Arbeitsverhältnis nur außerordentlich kündbar sei. Ein wichtiger Grund liege nicht vor.

Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, dass seine Versetzung von F nach Athen in die Zweigstelle Pl. vom unwirksam ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die insgesamt vier Kündigungen der Beklagten vom nicht zum beendet worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Versetzung sei ebenso wirksam wie die Kündigung. Das Kündigungsschutzgesetz sei nicht anwendbar. Bei Ausspruch der Kündigung seien nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt gewesen. Art. 33 der Arbeitsordnung komme nicht zur Anwendung, da das Arbeitsverhältnis der Parteien deutschem Recht unterliege.

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Kündigungsschutzantrag abgewiesen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die vollständige Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf der Kündigungsfrist aufgelöst.

I. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist international zuständig. Das Arbeitsverhältnis unterliegt zudem deutschem Recht. Darüber streiten die Parteien nicht mehr.

II. Die Kündigung ist nicht sozialwidrig iSd. §§ 1, 2 KSchG. Der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes findet keine Anwendung auf die Kündigung. Die Beklagte beschäftigte im Inland nicht mehr als fünf Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Die von der Beklagten in Griechenland beschäftigten Arbeitnehmer sind nicht mitzuzählen. Maßgeblich ist die Zahl der bei Ausspruch der Kündigung in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer.

1. Der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes ist nach § 23 Abs. 1 KSchG nur auf in Deutschland gelegene Betriebe anzuwenden, deren Beschäftigtenzahl den erforderlichen Wert erreicht. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats ( - 2 AZR 883/07 - Rn. 13 ff., AP KSchG 1969 § 23 Nr. 45; - 2 AZR 902/06 - Rn. 21 ff., BAGE 125, 274). Die hiergegen neuerlich erhobenen Bedenken (vgl. Straube DB 2009, 1406) verkennen, dass der Senat die Anwendbarkeit deutschen Kündigungsrechts in den umstrittenen Fällen nicht verneint. Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ist gerade Voraussetzung für die vom Senat vorgenommene Prüfung, ob ein Betrieb die nach § 23 KSchG maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt. Die Auffassung des Senats steht im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben ( -). Die im Urteil vom (- 2 AZR 902/06 - aaO.) angesprochenen Ausnahmekonstellationen - Überschreitung der notwendigen Beschäftigtenzahl in Deutschland bei Steuerung dieser Beschäftigten durch einen im Ausland gelegenen Betrieb - liegen ersichtlich nicht vor.

2. Die Beklagte beschäftigte nicht mehr als fünf Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG. Für die Berechnung der nach § 23 Abs. 1 KSchG maßgeblichen Beschäftigtenzahl bedarf es - ausgehend vom Kündigungszeitpunkt - grundsätzlich eines Rückblicks auf die bisherige personelle Situation und einer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung (Senat - 2 AZR 237/03 - zu II 1 a der Gründe, BAGE 109, 215; - 2 AZR 356/90 - zu II 2 der Gründe, AP KSchG 1969 § 23 Nr. 11 = EzA KSchG § 23 Nr. 11).

a) Es kommt auf die Beschäftigungslage an, die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist. Dies bedeutet, dass etwa der bloße Entschluss des Arbeitgebers, seinen Betrieb künftig auf Dauer mit nicht mehr als fünf bzw. zehn Arbeitnehmern fortzusetzen, für sich genommen nicht zur Unterschreitung des Schwellenwerts führt. Im Rahmen des § 23 Abs. 1 KSchG kann, wie die Revision zu Recht ausführt, kein anderer Maßstab gelten als bei den Regelungen der §§ 17 ff. KSchG und §§ 111 ff. BetrVG. Dort ist anerkannt, dass es zur Berechnung des maßgeblichen Schwellenwerts eines Rückblicks auf die bisherige Beschäftigtenzahl bedarf (Senat - 2 AZR 624/88 - zu III 3 der Gründe, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 6 = EzA KSchG § 17 Nr. 4; - zu I 1 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 58 = EzA BetrVG 2001 § 111 Nr. 2). Dabei ist - auch zur Verhinderung von Missbräuchen und zur Vermeidung willkürlicher Ergebnisse - entscheidend, ob ein Personalabbau auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruht ( - Rn. 18 ff. mwN, BAGE 117, 296). Maßgebender Anknüpfungspunkt ist die unternehmerische Entscheidung, aus der sich ergibt, wie viele Arbeitnehmer voraussichtlich insgesamt entlassen werden. Eine einheitliche Planungsentscheidung kann auch eine stufenweise Durchführung vorsehen. Dabei kann ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen mehreren Entlassungswellen ein wesentliches Indiz für eine von Anfang an einheitliche Planung sein. Eine spätere Entlassungswelle kann aber auch das Ergebnis einer neuen Planung sein ( - Rn. 19, aaO.). Für § 23 KSchG ist dementsprechend die Beschäftigtenzahl im Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung maßgeblich, die der Kündigung zugrunde liegt.

b) Die Anwendung dieser Grundsätze führt nicht zur Berücksichtigung der Beschäftigtenzahl, die zur Zeit des Stilllegungsbeschlusses maßgeblich war. Grundlage der Kündigung war nicht dieser Beschluss, sondern eine neue, eigenständige Entscheidung der Beklagten aus der Zeit nach dem .

aa) Der vorige Beschluss hatte zu einem Interessenausgleich und einem Sozialplan geführt. Nahezu alle Arbeitsverhältnisse waren beendet worden. Auch dem Kläger war eine Beendigungskündigung ausgesprochen worden, die er jedoch mit Erfolg angegriffen hat.

bb) Bei Ausspruch der hier im Streit stehenden Kündigung hatte die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit bereits vollständig eingestellt. Die im Februar 2006 ausgesprochene Änderungskündigung beruhte nicht mehr auf dem ursprünglichen Stilllegungskonzept, das keine Weiterbeschäftigung des Klägers vorsah. Die Beklagte hat die nach Einstellung ihrer Geschäftstätigkeit in Deutschland vorgefundene Lage neu bewerten müssen und bewertet. Sie hat dem Umstand Rechnung getragen, dass es für den Kläger in Deutschland keine Einsatzmöglichkeit mehr gab, ihr aber vom deutlich gemacht worden war, sie müsse eine ihr mögliche Weiterbeschäftigung in Griechenland prüfen. Dem ist sie nachgekommen und hat dem Kläger mehrere Änderungsvorschläge unterbreitet.

cc) Der Umstand, dass der Stilllegungsbeschluss ein Glied in der Kausalkette war, die zur Kündigung führte, kann nicht, worauf die Auffassung der Revision hinausliefe, eine "Verewigung" des Kündigungsschutzes bewirken. Arbeitnehmer in der Situation des Klägers sind dabei ausreichend vor Missbrauch geschützt. Nach den og. Grundsätzen ist es dem Arbeitgeber nicht möglich, bestimmte - etwa missliebige - Mitarbeiter von Kündigungswellen zunächst auszunehmen, um sie sodann - wenn der Schwellenwert unterschritten ist - ohne Kündigungsschutz zu entlassen.

III. Die Kündigung ist nicht nach Art. 33 der Arbeitsordnung unwirksam. Diese Vorschrift findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung.

1. Die Parteien haben die Geltung der Arbeitsordnung nicht einzelvertraglich vereinbart.

a) Ihre Vereinbarung vom , in der der Kläger seiner weitgehenden Gleichstellung mit deutschen Beschäftigten der Beklagten zustimmte, enthält keine Abrede über die Geltung der Arbeitsordnung. Dass eine ausdrückliche Vereinbarung dieses Inhalts nicht getroffen wurde, hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, ohne dass der Kläger dem in der Revisionsbegründung entgegengetreten wäre. Soweit der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe Teile seines Vorbringens nicht berücksichtigt, ergibt sich aus dem von ihm als übergangen angesehenen Vorbringen keine Vereinbarung des von ihm in Anspruch genommenen Inhalts.

b) Ein Rundschreiben der Beklagten vom enthält lediglich die Unterrichtung über eine Änderung der Arbeitsordnung, die der Kläger zur Kenntnis nahm. Dass darin ein Vertragsangebot gelegen hätte, macht auch die Revision nicht geltend.

c) Die übrigen vom Kläger in diesem Zusammenhang benannten Schreiben der Beklagten enthalten einseitige Erklärungen ihres Gouverneurs oder stellvertretenden Gouverneurs, die sich zwar auf die Arbeitsordnung beziehen, von denen der Kläger selbst jedoch nicht behauptet, dass er ihnen - auch nur stillschweigend - zugestimmt hätte. Es ging in den Schreiben darum, die nach griechischem Arbeitsrecht bestehenden Voraussetzungen für eine Beschäftigung des Klägers in Griechenland zu schaffen, die dieser jedoch ablehnte.

2. Die Arbeitsordnung gilt nicht nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Diese Vorschrift bezieht sich ausdrücklich nur auf Betriebsvereinbarungen iSd. § 77 Abs. 1 BetrVG. Eine solche ist die Arbeitsordnung nicht.

3. Die Arbeitsordnung gilt auch nicht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Die Vorschrift regelt die Geltung von Tarifverträgen. Tarifverträge iSd. Tarifvertragsgesetzes sind nur solche, die nach deutschem Recht abgeschlossen wurden. Dass die Arbeitsordnung ein derartiger Tarifvertrag wäre, macht auch der Kläger nicht geltend.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BB 2010 S. 244 Nr. 5
DB 2010 S. 230 Nr. 4
OAAAD-35445