BGH Urteil v. - XII ZR 137/07

Leitsatz

[1] a) Nach Beendigung des Mietverhältnisses ist der Vermieter gegenüber dem die Mieträume weiter nutzenden Mieter zur Gebrauchsüberlassung und damit auch zur Fortsetzung vertraglich übernommener Versorgungsleistungen (hier: Belieferung mit Heizenergie) grundsätzlich nicht mehr verpflichtet.

b) Auch aus Treu und Glauben folgt eine nachvertragliche Verpflichtung des Vermieters von Gewerberäumen zur Fortsetzung von Versorgungsleistungen jedenfalls dann nicht, wenn der Mieter sich mit Mietzinsen und Nutzungsentschädigung im Zahlungsverzug befindet und dem Vermieter mangels eines Entgelts für seine Leistungen ein stetig wachsender Schaden droht.

c) Die Einstellung oder Unterbrechung der Versorgung mit Heizenergie durch den Vermieter ist keine Besitzstörung gemäß §§ 858, 862 BGB hinsichtlich der Mieträume.

Gesetze: BGB § 242; BGB § 535; BGB § 858; BGB § 862

Instanzenzug: LG Berlin, 25 O 563/05 vom KG Berlin, 8 U 49/07 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Befugnis des Beklagten, als Vermieter die Versorgung der vom Kläger gemieteten Gewerberäume mit Heizwärme zu unterbrechen.

Die Parteien schlossen am einen bis zum befristeten Mietvertrag ("Nutzungsvertrag") über Gewerberäume in dem vom Beklagten unterhaltenen "Kunsthaus" in B. zum Betrieb einer Gaststätte. Sie vereinbarten eine Staffelmiete, ausgehend von 6.000 DM bei Beginn des Mietverhältnisses, zuzüglich Nebenkostenvorauszahlungen. Seit September 2001 erbrachte der Kläger keine Nebenkostenvorauszahlungen mehr und berief sich auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen nicht erteilter Nebenkostenabrechnung. Im August 2002 stellte der Kläger auch die Zahlung des Grundmietzinses ein. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zahlte er jedenfalls seit Januar 2007 keine Miete mehr.

Warmwasser und Heizleistung bezog der Kläger nicht direkt vom Versorgungsunternehmen, sondern vom Beklagten. Der Beklagte stellte die Warmwasserversorgung nach der Stilllegung des Kessels im Keller im Jahr 2001 ein.

Der Beklagte drohte dem Kläger im Jahr 2003 die Unterbrechung der Versorgung mit Heizwärme an. Auf Antrag des Klägers wurde diese Maßnahme durch einstweilige Verfügung des Landgerichts untersagt. Die einstweilige Verfügung wurde schließlich aufgehoben, weil nach Fristsetzung zur Klageerhebung eine vom Kläger eingereichte Hauptsacheklage mangels Vorschusszahlung nicht zugestellt worden war. Mit Schreiben vom kündigte der Beklagte erneut eine Versorgungssperre an.

Der Beklagte erklärte mehrfach die Kündigung des Mietvertrages wegen Zahlungsverzugs, zuletzt durch Schriftsatz vom . Zwischen den Parteien schwebt ein Räumungsverfahren.

Der Kläger begehrt mit der Klage, dem Beklagten die angedrohte Versorgungssperre zu untersagen. Das Landgericht hat der Klage im Hinblick auf die Heizungsversorgung stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten, mit welcher er sein Klagebegehren weiterverfolgt.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in NZM 2007, 923 veröffentlicht ist, ist der Auffassung, dass die - angekündigte - Einstellung der Versorgung des Klägers mit Heizwärme keine verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 Abs. 1 BGB darstelle. Es könne dahinstehen, ob ein Geschäftsraumvermieter während des unbeendeten Mietverhältnisses nach § 320 Abs. 1 BGB berechtigt sei, die von ihm vertraglich geschuldete Belieferung des Mieters mit Heizwärme dann einzustellen, wenn der Mieter mit der Mietzahlung oder der Zahlung der entsprechenden Vorschüsse im Verzug sei. Denn das Mietverhältnis sei spätestens durch die fristlose Kündigung vom wirksam beendet worden. Der Beklagte sei demnach nicht mehr verpflichtet, den vertragsmäßigen Gebrauch der Mietsache zu gewähren. In der Einstellung von Versorgungsleistungen sei keine Besitzstörung des Mieters zu sehen. Eine dem entsprechende Unterscheidung werde auch bei der Nutzungsentschädigung vorgenommen, wenn nach Beendigung des Mietvertrags auftretende Mängel nicht zu einer Minderung der zu zahlenden Nutzungsentschädigung führten.

II.

Das hält einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

1.

Der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich nicht aus der Pflicht zur Gebrauchsüberlassung nach § 535 Abs. 1 BGB aufgrund des von den Parteien geschlossenen Mietvertrags.

Aufgrund der Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass das Mietverhältnis der Parteien spätestens durch die Kündigung vom beendet worden ist. Die fristlose Kündigung war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB begründet. Zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung bestand ein Mietrückstand von acht Monaten. Das Berufungsgericht hat es offengelassen, ob eine Kündigung nach den Bestimmungen des Mietvertrages allein aufgrund des Mietzinsrückstandes oder nur bei einem bestehenden Zahlungsverzug berechtigt war. Denn das vom Kläger geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht wegen fehlender Nebenkostenabrechnungen hätte jedenfalls nicht zu einem Wegfall des Verzuges führen können, weil die ausstehenden Nebenkostenabrechnungen in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den einbehaltenen Mietzinsen stünden.

Dem gegenüber rügt die Revision, dass der Kläger berechtigt gewesen sei, Vorauszahlungen auf die Nebenkosten zurückzuhalten, und das Berufungsgericht "- ohne die Zusammenhänge hier wirklich aufzuklären - einfach den Vortrag der Beklagten zugrunde gelegt" habe. Es habe die zugrunde liegenden tatsächlichen Fragen nicht hinreichend aufgeklärt.

Diese Rüge verfängt abgesehen von ihrer Unbestimmtheit schon deswegen nicht, weil der Mietrückstand in der Berufungsinstanz unstreitig gewesen ist und das Berufungsgericht sogar die - streitige - Berechtigung des Klägers zur Zurückbehaltung des Mietzinses wegen vom Beklagten nicht erstellter Nebenkostenabrechnungen unterstellt hat. Selbst dann ist nach Auffassung des Berufungsgerichts eine Zurückbehaltung in dem hier vorliegenden Umfang jedenfalls unverhältnismäßig.

Dem ist zuzustimmen. Der Kläger stellte die Nebenkostenvorauszahlungen nach kaum mehr als einjähriger Nutzungsdauer im September 2001 ein. Die Kündigung, auf die das Berufungsgericht abgestellt hat, datiert vom August 2007. Selbst wenn - was hier offen bleiben kann - der Mieter wegen nicht erteilter Nebenkostenabrechnungen neben der Zurückbehaltung der Vorauszahlungen grundsätzlich auch zur Zurückbehaltung des Grundmietzinses berechtigt wäre (zu der Streitfrage Staudinger/Weitemeyer BGB [2006] § 556 Rdn. 138), wäre die Zurückbehaltung im vorliegenden Fall unberechtigt. In Anbetracht des geringen Umfangs der vom Kläger geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen gegenüber dem Mietzinsrückstand verhielt der Kläger sich mit der Zurückbehaltung auch des Grundmietzinses jedenfalls rechtsmissbräuchlich (vgl. MünchKomm/Emmerich BGB 5. Aufl. § 320 Rdn. 48). Wegen der offensichtlichen Diskrepanz zwischen den geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen und dem vom Berufungsgericht festgestellten Rückstand mit der Grundmiete kommt schließlich auch der Ausnahmefall eines nach § 286 Abs. 4 BGB den Verzug ausschließenden Rechtsirrtums (vgl. Palandt/Weidenkaff BGB 68. Aufl. § 543 Rdn. 26; Palandt/Grüneberg a.a.O. § 286 Rdn. 34, jeweils m.w.N.) nicht in Betracht.

2.

Auch aufgrund nachvertraglicher Pflichten ist der Beklagte nicht gehalten, die Versorgung des Klägers mit Heizenergie aufrechtzuerhalten.

Grundsätzlich endet mit der Mietvertragsbeendigung auch die Pflicht des Vermieters zur Gebrauchsüberlassung gemäß § 535 Abs. 1 BGB. Allerdings können nach Treu und Glauben einzelne Verpflichtungen des Vermieters noch nach der Vertragsbeendigung bestehen, wozu auch die Pflicht zur Erbringung von Versorgungsleistungen gehören kann (vgl. Schmidt-Futterer/Gather Mietrecht 9. Aufl. § 546 a BGB Rdn. 47 ff.; MünchKomm/Bieber BGB 5. Aufl. § 546 a Rdn. 28 ff.; allgemein MünchKomm/Ernst a.a.O. § 280 Rdn. 109 ff.). Solche nachvertraglichen Pflichten können sich im Einzelfall aus der Eigenart des - beendeten - Mietvertrages (z.B. Wohnraummiete) oder den besonderen Belangen des Mieters (z.B. Gesundheitsgefährdung oder etwa durch eine Versorgungssperre drohender, besonders hoher Schaden) ergeben. Eine über die Vertragsbeendigung hinausgehende Versorgungsverpflichtung würde allerdings allein den Interessen des Mieters dienen (vgl. insoweit Staudinger/Rolfs BGB [2006] § 546 a Rdn. 6). Die trotz beendeten Vertrages aus Treu und Glauben nach § 242 BGB herzuleitende Verpflichtung lässt sich daher nur rechtfertigen, wenn sie auf der anderen Seite den berechtigten Interessen des Vermieters nicht in einer Weise zuwiderläuft, die ihm die weitere Leistung unzumutbar macht. Ist dem Vermieter die Weiterbelieferung nicht zumutbar, so kommt es anders als bei bestehendem Mietvertrag auf den Umfang und die Grenzen eines Zurückbehaltungsrechts nicht an, weil der Vermieter in diesem Fall schon nicht mehr zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet ist.

Nach diesen Grundsätzen kann der Vermieter etwa zur Fortsetzung von Versorgungsleistungen verpflichtet sein, wenn dem Mieter eine Räumungsfrist nach §§ 721, 765 a, 794 a ZPO gewährt worden ist und dem Vermieter wegen der regelmäßig entrichteten Nutzungsentschädigung kein Schaden entsteht. Das Problem stellt sich nicht, wenn der Mieter Versorgungsleistungen aufgrund eigener Vertragsbeziehung zum Versorgungsunternehmen bezieht. Dann droht dem Vermieter durch die weitere Versorgung der Mieträume mit Wasser, Strom und Heizenergie kein Schaden, sodass er nicht berechtigt ist, die Versorgungseinrichtungen zu sperren, um wegen anderer Forderungen Druck auf den Mieter auszuüben.

Anders liegt es dagegen jedenfalls dann, wenn bereits die Beendigung des Mietverhältnisses auf dem Zahlungsverzug des Mieters beruht und der Vermieter die Versorgungsleistungen mangels Vorauszahlungen des Mieters auf eigene Kosten erbringen müsste. Der Vermieter liefe dann Gefahr, die von ihm verauslagten Kosten für die Versorgung nicht erstattet zu erhalten und dadurch einen - weiteren - Schaden zu erleiden. Weil ihm unter diesen Umständen die Fortsetzung der Leistungen nicht zuzumuten ist, ist der Vermieter jedenfalls bei der Geschäftsraummiete regelmäßig nicht mehr verpflichtet, dem Mieter weitere Versorgungsleistungen zu erbringen. Den Vermieter trifft dann nur noch die Abwicklungspflicht, dem Mieter die Unterbrechung der Versorgungsleistungen so frühzeitig anzukündigen, dass dieser sich darauf einstellen kann.

Im vorliegenden Fall besteht nach den genannten Kriterien keine über die Vertragsbeendigung andauernde Leistungspflicht des Beklagten. Der Mietrückstand belief sich zum Zeitpunkt der Kündigung auf acht Monate. Dem Beklagten droht daher ein erheblicher Schaden, der sich bei fortbestehender Versorgungspflicht stetig vergrößern würde und der ihm die Weiterbelieferung des Klägers unzumutbar macht. Da die vom Beklagten wiederholt ausgesprochenen Androhungen einer Einstellung der Leistungen keine Wirkung gezeigt haben, musste der Beklagte diese auch nicht mehr übergangsweise erbringen. Jedenfalls zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht war der Beklagte nicht mehr verpflichtet, den Kläger mit Heizenergie zu versorgen.

3.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch lässt sich auch nicht auf eine - drohende - Besitzstörung entsprechend § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB stützen. Die Einstellung oder Unterbrechung der Versorgung des Mieters mit Heizenergie ist keine Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 Abs. 1 BGB.

a)

Die Frage, ob die Versorgungssperre durch den Vermieter eine Besitzstörung darstellt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die überwiegende Auffassung geht davon aus, dass die Unterbrechung der Versorgungsleistungen verbotene Eigenmacht sei und den auf Beseitigung und Unterlassung gerichteten Besitzschutz nach §§ 858, 862 BGB auslöse (OLG Köln NZM 2005, 67 ; OLG Saarbrücken OLGR 2005, 218; OLG Celle NZM 2005, 741 ; OLG Koblenz OLGR 2001, 2; Staudinger/Bund BGB [2007] § 858 Rdn. 53 m.w.N.; Bub/Treier/Kraemer Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 3. Aufl. III. B Rdn. 1220; Gaier ZWE 2004, 109, 113; grundsätzlich auch KG - 8. Zivilsenat - KGR 2005, 945 = ZMR 2005, 951 für den Fall des unbeendeten Mietverhältnisses; ebenso Palandt/Bassenge BGB 68. Aufl. § 862 Rdn. 4). Einwendungen des Vermieters gegen seine Lieferpflicht sind nach dieser Auffassung petitorische Einwendungen, die gegenüber Besitzschutzansprüchen nach § 863 BGB ausgeschlossen sind (Gaier ZWE 2004, 109, 113).

Dem gegenüber stimmen andere Teile der Rechtsprechung und Literatur der vom Berufungsgericht im vorliegenden Fall (so bereits KG - 8. Zivilsenat - Grundeigentum 2004, 622) vertretenen Meinung zu, die Unterbrechung der Versorgung betreffe nur den aus dem Vertrag herzuleitenden Mietgebrauch und sei daher keine verbotene Eigenmacht (KG - 12. Zivilsenat - NZM 2005, 65; LG Berlin Grundeigentum 2009, 518; AG Bergheim ZMR 2005, 53 ; AG Hohenschönhausen Grundeigentum 2007, 1127; Bub/Treier/v. Martius Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 3. Aufl. III. A Rdn. 1152; Ulrici ZMR 2003, 895, 896; Mummenhoff DWW 2005, 312, 315; Scholz NZM 2008, 387, 388 f.; Krause Grundeigentum 2009, 484).

Andere Stimmen in der Literatur gehen schließlich davon aus, dass die Unterbrechung von Versorgungsleistungen zwar grundsätzlich eine verbotene Eigenmacht sei. Eine Einschränkung sei jedoch für die Fälle zu machen, in denen der Vermieter es unterlasse, eine Vorleistung zu erbringen, für die er selbst im Außenverhältnis (z.B. zum Energieversorgungsbetrieb) hafte, wenn er nach vertraglichen Grundsätzen hierzu nicht mehr verpflichtet sei (Münch-Komm/Joost BGB 5. Aufl. § 858 Rdn. 6; Soergel/Stadler BGB 13. Aufl. § 858 Rdn. 8; ähnlich Streyl WuM 2006, 234, 236 f.).

b)

Der Senat hält es übereinstimmend mit dem Berufungsgericht für zutreffend, dass in der Unterbrechung der Versorgungsleistungen keine Besitzstörung liegt. Die zur Nutzung des Mietobjekts erforderlichen Energielieferungen sind nicht Bestandteil des Besitzes und können daher auch nicht Gegenstand des Besitzschutzes nach §§ 858 ff. BGB sein.

aa)

Der Besitz umfasst - unabhängig von Sinn und Zweck des Besitzschutzes (dazu Staudinger/Bund BGB [2007] Vorbem. §§ 854 ff. Rdn. 13 ff.; Soergel/Stadler BGB 13. Aufl. vor § 854 Rdn. 2) - lediglich den Bestand der tatsächlichen Sachherrschaft. Der Besitz wird nach § 854 Abs. 1 BGB durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt erworben und durch die Aufgabe oder den Verlust derselben beendigt (§ 856 Abs. 1 BGB). Der Besitz besteht als Voraussetzung des Besitzschutzes demnach in dem dauernden Zustand der tatsächlichen Gewalt (Planck/Brodmann BGB 5. Aufl. § 854 Anm. 2), welche mit der Einwirkungsmacht auf die Sache und der Ausschlussmacht zwei Komponenten enthält (vgl. Staudinger/Bund BGB [2007] § 854 Rdn. 4, 5). Einzelne Modifikationen nach der Verkehrsanschauung (s. Soergel/Stadler BGB 13. Aufl. vor § 854 Rdn. 1, 4, 5) oder die Besonderheiten des Eigenbesitzes nach § 872 BGB (hierzu und zur Entstehung des Besitzrechts des BGBs. Ernst Eigenbesitz und Mobiliarerwerb S. 3 ff.) sind hier nicht von Bedeutung.

Eine verbotene Eigenmacht nach §§ 858, 862 BGB setzt daher voraus, dass in die tatsächliche Sachherrschaft eingegriffen worden ist. Ein Eingriff liegt nur vor, wenn der Besitzer in dem Bestand seiner tatsächlichen Sachherrschaft beeinträchtigt wird. Beim Besitz von Räumen liegt ein Eingriff etwa dann vor, wenn der Zugang des Besitzers zu den Räumen erschwert oder vereitelt wird oder wenn in anderer Form in einer den Besitzer behindernden Weise auf die Mieträume eingewirkt wird (vgl. auch - VersR 1971, 765).

Das ist bei der Einstellung oder Unterbrechung von Versorgungsleistungen nicht der Fall. Der Zufluss von Versorgungsleistungen kann zwar Voraussetzung für den vertragsgemäßen Gebrauch sein, der nach Beendigung des Vertrages nicht mehr geschuldet wird. Er ist hingegen nicht Bestandteil der tatsächlichen Sachherrschaft als solcher. Die Einstellung der Versorgungsleistungen beeinträchtigt weder den Zugriff des Besitzers auf die Mieträume, noch schränkt sie die sich aus dem bloßen Besitz ergebende Nutzungsmöglichkeit ein (Ulrici ZMR 2003, 895, 896). Versorgungsleistungen führen vielmehr dazu, dass die im Besitz liegende Gebrauchsmöglichkeit erweitert wird. Die Gewährleistung der Versorgungsleistungen kann sich demnach allein aus dem ihnen zugrunde liegenden Vertragsverhältnis ergeben. Der Besitzschutz nach §§ 858 ff. BGB gewährt dagegen nur Abwehrrechte und keine Leistungsansprüche.

Die Unterbrechung von Versorgungsleistungen steht daher auch nicht auf einer Stufe mit psychisch beeinträchtigenden Einwirkungen, wie etwa durch Lärm oder Lichtwerbung (so aber Hinz NZM 2005, 841, 846; Streyl WuM 2006, 234, 236; ähnlich Scheidacker NZM 2005, 81, 86). Die genannten Einwirkungen behindern den Besitzer an der Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft und unterscheiden sich von der Versorgungssperre, die in der Einstellung von Leistungen besteht.

bb)

Eine kontinuierliche Belieferung mit Versorgungsgütern kann sich demnach - mit dem Berufungsgericht - nicht aus dem Besitzschutz, sondern erst aus der vertraglich vereinbarten Nutzung ergeben. Die vertragliche Nutzung des Mieters reicht weiter als die sich aus dem bloßen Besitz ergebende Nutzungsmöglichkeit, indem sie über die Störungsfreiheit hinaus eine bestimmte Verwendung der Sache gewährleistet. Aber selbst dann ist der Vermieter überhaupt nur betroffen, wenn er die Versorgung vertraglich übernommen hat. Das scheidet bereits aus, wenn der Mieter die Energie aufgrund eines von ihm abgeschlossenen Vertrages unmittelbar vom Versorgungsbetrieb bezieht. Vergleichbar damit begründet auch ein nach der Überlassung der Mietsache entstandener Mangel lediglich vertragliche Ansprüche, nicht aber einen Anspruch wegen Besitzstörung, selbst wenn der Mangel den Gebrauch der Sache behindert oder ausschließt.

Der Besitz ist demnach zwar notwendige Bedingung der Sachnutzung, indem er den Zugriff auf die Sache ermöglicht. Er ist aber keine hinreichende Bedingung der Sachnutzung, weil die tatsächliche Sachherrschaft als solche noch keine bestimmte Nutzung des Objekts beinhaltet. Die gegenteilige Sichtweise beruht auf der Vorstellung, dass der stetige Zufluss von Strom, Wasser und Heizenergie schon Bestandteil der tatsächlichen Sachherrschaft über die gemieteten Räume sei. Dass das nicht zutreffen kann, wird noch deutlicher an dem Fall, dass der vom Vermieter bereitzustellende Heizungsbetrieb nicht mit dauernden Leistungen eines Versorgungsunternehmens, sondern etwa durch eine Ölheizung mit Tank bewerkstelligt wird. Rechnete man die fortgesetzte Versorgung dem Besitz zu, so würde sich der Besitzschutz - einschließlich der Besitzwehr nach § 859 Abs. 1 BGB - sogar darauf richten, dass der Vermieter Heizöl erwerben müsste, um damit die Versorgung des Mieters fortsetzen zu können. Eine solche Verpflichtung kann sich aus dem Besitzschutz nicht ergeben.

Demnach kann es (entgegen MünchKomm/Joost BGB 5. Aufl. § 858 Rdn. 6; Soergel/Stadler BGB 13. Aufl. § 858 Rdn. 8) für den Besitzschutz nicht darauf ankommen, ob der Vermieter vorleistungspflichtig ist, und auch nicht darauf, ob der Mietvertrag beendet ist oder nicht. Eine danach unterscheidende Betrachtungsweise bezieht vielmehr vertragliche Gesichtspunkte ein, welche bei der Begründung des allein auf den tatsächlichen Gegebenheiten beruhenden Besitzschutzanspruchs und auch bei dagegen gerichteten Einwendungen (§ 863 BGB) ohne Bedeutung sind (Scholz NZM 2008, 387, 388). Ob der Besitzschutz eingreift, kann des weiteren nicht davon abhängig sein, ob der Mieter bereit und in der Lage ist, die Versorgungsleistungen im Rahmen der Nutzungsentschädigung zu bezahlen (so aber Bub/Treier/Kraemer Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 3. Aufl. III. B Rdn. 1220). Diese Gesichtspunkte können vielmehr allein im Rahmen einer nachvertraglichen Verpflichtung des Vermieters (s. oben II. 2) Berücksichtigung finden.

Die Frage, ob eine Besitzstörung aus einem pflichtwidrigen Unterlassen des Vermieters hergeleitet werden kann (so MünchKomm/Joost BGB 5. Aufl. § 858 Rdn. 6; Gaier ZWE 2004, 109, 113; Streyl WuM 2006, 234, 236 f.; ders. DWW 2009, 82, 87 f.; vgl. dazu grundsätzlich Staudinger/Gursky BGB [2006] § 1004 Rdn. 93; Ulrici ZMR 2003, 895, 896) führt jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation nicht weiter, weil sich eine Pflichtwidrigkeit des Unterlassens allein aus vertraglichen Pflichten des Vermieters ergeben könnte. Der Anspruch auf die Fortsetzung der Versorgungsleistungen hätte sich daher nur unmittelbar aus dem Mietvertrag oder aus entsprechenden nachvertraglichen Pflichten ergeben können.

cc)

Demnach kann auch nicht argumentiert werden, die Einstellung von Versorgungsleistungen führe zu einer "kalten Räumung" oder einer unzulässigen Selbstvollstreckung (so Erman/A. Lorenz BGB 12. Aufl. § 858 Rdn. 3 m.w.N.; ähnlich Gaier ZWE 2004, 109, 114). Die Einstellung der Leistungen greift anders als die unzulässige Selbstvollstreckung (etwa durch das Auswechseln von Türschlössern) nicht in den Besitz des Mieters ein. Ob die Versorgungssperre gerechtfertigt ist oder ein Anspruch auf Weiterbelieferung besteht, bestimmt sich allein nach vertraglichen Kriterien.

dd)

Da der Besitzschutz nach §§ 858 ff. BGB nur Abwehrrechte und keine Leistungsansprüche gewährt, macht es auch keinen Unterschied, ob die Störung durch den (Miet-)Vertragspartner oder durch einen Dritten erfolgt (a. A. Derleder NZM 2000, 1098, 1100 f.). Dass Maßnahmen des Vermieters besitzrechtlich nicht anders zu behandeln sind als Eingriffe Dritter, zeigt ein Vergleich mit der Liefersperre, die von einem Versorgungsunternehmen verhängt wurde. Die von Versorgungsbetrieben verhängte Liefersperre (etwa nach § 24 Abs. 2 Niederspannungsanschlussverordnung - NAV - Strom oder § 24 Abs. 2 Niederdruckanschlussverordnung - NDAV - Gas) wird nach der herrschenden Meinung zu Recht nicht als Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht betrachtet (vgl. BGHZ 115, 99; LG Frankfurt a. M. WuM 1998, 495; LG Frankfurt/Oder NJW-RR 2002, 803; Staudinger/Emmerich BGB [2006] § 535 Rdn. 82; Staudinger/Bund BGB [2007] § 858 Rdn. 53; Palandt/Bassenge BGB 68. Aufl. § 862 Rdn. 4; Hempel NZM 1998, 689; ders. WuM 1998, 646; a. A. LG Bonn WuM 1980, 231 ). Für eine unterschiedliche besitzrechtliche Betrachtung der Liefersperre des Versorgungsunternehmens und der Liefersperre eines Vermieters besteht kein Grund (Herrlein NZM 2006, 527, 528; MünchKomm/Schilling BGB 4. Aufl. § 535 Rdn. 153; a. A. OLG Köln NZM 2005, 67 ; OLG Saarbrücken OLGR 2005, 889).

Auch die Sperrung von Versorgungsleitungen durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft löst als solche keine Besitzschutzansprüche aus (vgl. - NJW 2005, 2622, 2623 - Gemeinschaft von Erbbauberechtigten; OLG Frankfurt a. M. OLGR 2006, 1060), auch wenn sie den Mieter eines Wohnungseigentümers betrifft (Staudinger/Bund BGB [2007] § 858 Rdn. 53; Palandt/Bassenge BGB 68. Aufl. § 862 Rdn. 4; Gaier ZWE 2004, 109, 111; ausführlich Scholz NZM 2008, 387; a. A. OLG Köln NJW-RR 2001, 301 ).

ee)

Für den auf Fortsetzung der Versorgungsleistungen gerichteten Anspruch kommt es schließlich auch nicht darauf an, ob der Mieter im Einzelfall an den Versorgungsleitungen oder Absperrvorrichtungen (Mit-)Besitz innehat (zur Besitzlage s. Hempel NZM 1998, 689 - Wasserversorgung) und die konkrete Form der Versorgungssperre durch den Vermieter mit einer Besitzstörung verbunden ist. Denn selbst bei bestehendem Mitbesitz des Mieters ist maßgeblich auf die Einstellung der Leistungen abzustellen (vgl. Gaier ZWE 2004, 109, 113). Es macht daher auch keinen Unterschied, ob der Vermieter die Absperrung selbst vornimmt oder ob er - weil er etwa keine Vorauszahlungen des Mieters erhält - seine Zahlungen an das Versorgungsunternehmen einstellt und die Sperrung sodann von diesem veranlasst wird (Streyl WuM 2006, 234, 236; vgl. LG Münster WuM 2007, 274). Der Besitzschutz eröffnet in diesem Fall zwar Ansprüche gegen die konkrete Form der Besitzstörung, nicht aber - auch nicht im Wege des Beseitigungsanspruchs - einen Anspruch auf Fortsetzung von Versorgungsleistungen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 21/2009 S. 1570
WM 2009 S. 1383 Nr. 29
CAAAD-22693

1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein