BFH Beschluss v. - XI B 49/08

Rüge eines Verfahrensmangels wegen überlanger Verfahrensdauer; Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. von § 119 Nr. 6 FGO; Umsatzsteuerjahresbescheid als einheitlicher Streitgegenstand

Gesetze: FGO § 105 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, FGO § 119 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) zuzulassen.

a) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung gestützt, setzt eine Zulassung voraus, dass der Beschwerdeführer eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellt, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll (vgl. , BFH/NV 2000, 1148). Erforderlich ist gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus welchen Gründen im Einzelnen die Klärung der Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im Allgemeininteresse liegt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2008, 213).

b) Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) führt vorliegend aus: „Es ist von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, dass ein Finanzgericht unter den hier gegebenen verfahrensrechtlichen Bedingungen…an die Feststellungen, die sich aus dem Urteilstenor des präjudiziellen Urteils mit Wirkung für beide Beigeladenen ergeben, bereits nach dem im Prozessrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben gebunden ist ...” Diese Ausführungen genügen nicht zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung. Die Klägerin hat damit keine Frage, sondern eine Aussage formuliert. Diese ist zudem konkret auf den Streitfall bezogen und nicht abstrakt gehalten. Schließlich fehlt jeglicher Vortrag, weshalb die angestrebte Revisionsentscheidung im Allgemeininteresse liegt. Die Frage wäre zudem in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, weil das Finanzgericht (FG) seine Entscheidung alternativ begründet hat.

2. Auch die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) wurden nicht ordnungsgemäß dargelegt bzw. liegen nicht vor.

a) Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (vgl. , BFH/NV 2008, 595). Der Verfahrensmangel ist gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Begründung der Beschwerde darzulegen. Diese Darlegung verlangt eine genaue Angabe der Tatsachen, die den gerügten Mangel ergeben, unter gleichzeitigem schlüssigem Vortrag, inwiefern das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre. Hat das FG seine Entscheidung auf mehrere, jeweils selbständig tragende Begründungen gestützt, kann das Urteil nur dann auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen, wenn dieser beide Begründungen betrifft (vgl. , BFH/NV 2005, 224).

b) Die Klägerin rügt im Wesentlichen die Verletzung des Anspruchs auf ein rechtsstaatliches und faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 1 des Grundgesetzes -–GG—), Verstöße gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO), die Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO), die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 2 FGO), Nichtbeachtung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 FGO), Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) sowie das Fehlen von tatbestandlichen Feststellungen (§ 105 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 FGO) und Entscheidungsgründen (§ 119 Nr. 6, § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO).

Diese Rügen sind nicht in der gebotenen Weise erhoben worden. Die Klägerin vermengt in ihrer 87 Seiten umfassenden Beschwerdebegründung Ausführungen zur Prozessgeschichte dieses und zehn weiterer Verfahren, zur Biographie des ehemaligen Geschäftsführers der Klägerin, zu persönlichen Eindrücken ihrer Prozessbevollmächtigten von den an den Verfahren beteiligten Richtern, zum materiellen Recht sowie diverse Rügen. Soweit die Klägerin auf den Seiten 55 bis 79 ihrer Beschwerdebegründung ausdrücklich Verfahrensrügen formuliert, erfüllen selbst diese nicht die Anforderungen an die Darlegung von Verfahrensmängeln.

Das FG hat sein Urteil in mehrere Sachverhaltskomplexe untergliedert (Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit Versendungen von Wafern an Verarbeitungsbetriebe in Fernost —A—, Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit dem sog. .-Geschäft —B—, Vorsteuerabzug wegen weiterer Wafer-Lieferungen —C—). Hinsichtlich des ersten und zweiten Sachverhaltskomplexes hat das FG ein Recht auf Vorsteuerabzug verneint, da die Klägerin weder zum Vorsteuerabzug berechtigende Eingangslieferungen bezogen (FG-Urteil S. 15) noch entgeltliche Ausfuhrlieferungen ausgeführt hat (FG-Urteil S. 24).

Die Ausführungen der Klägerin lassen teilweise nicht hinreichend deutlich erkennen, auf welchen dieser Sachverhaltskomplexe sie sich beziehen. Soweit die Klägerin erkennbar Verfahrensmängel hinsichtlich der Sachverhaltskomplexe A und B rügt, hat sie nicht im Einzelnen dargelegt, dass die behaupteten Verfahrensfehler beide Begründungen des FG für die Versagung des Vorsteuerabzugs betreffen. Zudem fehlt jeweils ein schlüssiger Vortrag dazu, inwiefern das Urteil auf den gerügten Verfahrensmängeln beruhen kann. Die bloße Behauptung, dass der gerügte Verfahrensfehler entscheidungserheblich sei, genügt insoweit nicht.

Dies gilt insbesondere auch für die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs, soweit sie sich auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte bezieht. Denn eine schlüssige Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs erfordert eine substantiierte Darlegung, was die Klägerin bei einer ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können (vgl. , BFH/NV 2003, 192, unter II. e).

c) Der gerügte Verfahrensmangel einer überlangen Verfahrensdauer ist ebenfalls nicht schlüssig dargelegt. Es fehlt schon an Ausführungen, inwieweit das FG-Urteil anders ausgefallen wäre, wenn das FG zu einem früheren Zeitpunkt entschieden hätte (vgl. , BFH/NV 2008, 1501, unter III. A. 12., m.w.N.).

d) Soweit die Klägerin sinngemäß rügt, dass vom FG ausgesprochene Rechtsfolgen nicht durch ausreichende tatbestandliche Feststellungen gedeckt seien, ist dieser Einwand materiell-rechtlicher Natur, der nicht die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers rechtfertigt (vgl. , BFH/NV 2007, 1681, m.w.N.).

e) Mit der Behauptung, das angefochtene Urteil sei teilweise nicht mit Gründen versehen, hat die Klägerin ebenfalls keinen Verfahrensmangel i.S. von § 119 Nr. 6 FGO hinreichend schlüssig bezeichnet.

Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. von § 119 Nr. 6 FGO liegt deshalb nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. , BFH/NV 2003, 604). Die Vorschrift greift nicht, wenn geltend gemacht wird, der Tatbestand des angefochtenen Urteils sei unvollständig oder unrichtig. Sind die tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidung im Urteil nicht ausreichend dargestellt, so handelt es sich regelmäßig nur um einen materiellen Fehler (vgl. , BFH/NV 2001, 1585).

Das angefochtene Urteil lässt indes erkennen, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für das FG maßgebend gewesen sind.

f) Auch soweit die Klägerin die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG angreift, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision. Denn die Tatsachen- und Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Rahmen von Verfahrensrügen entzogen (vgl. , BFH/NV 2008, 830).

g) Ein Verfahrensfehler liegt nicht deshalb vor, weil das FG hinsichtlich einzelner Voranmeldungszeiträume eine Teilerledigung abgelehnt hat. Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide Januar bis Oktober 1986 durch den Umsatzsteuerjahresbescheid 1986 ersetzt worden sind (vgl. , BFH/NV 2006, 2112). Bei diesem handelt es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 6). Eine Teilerledigung kommt daher nicht in Betracht.

h) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das FG schließlich ihren Klageantrag zu Recht als Anfechtungsklage ausgelegt. Für die Einordnung und Würdigung einer Klageart kommt es nicht auf die Bezeichnung, sondern auf den Inhalt des Klagebegehrens, d.h. auf den Charakter des begehrten Urteilsspruchs an, der ggf. im Wege der Auslegung zu ermitteln ist (vgl. , BFH/NV 1997, 249, m.w.N.). Vorliegend begehrte die Klägerin, die Umsatzsteuer 1986 auf ./. 7 761 099 € festzusetzen. Erforderlich hierfür war eine Änderung des Umsatzsteuerbescheids 1986. Statthafte Klageart war somit eine Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 Alternative 1 FGO). Eine Auslegung des Klagebegehrens als Verpflichtungsklage war daher nicht geboten, zumal diese unzulässig gewesen wäre.

3. Soweit die Klägerin die Verletzung von Normen des Umsatzsteuergesetzes rügt, macht sie damit keinen Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO geltend.

Fundstelle(n):
LAAAD-18984