BGH Urteil v. - I ZR 100/06

Leitsatz

[1] a) Ein sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf i.S. von § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV liegt auch dann vor, wenn nicht ein Nährstoffdefizit ausgeglichen, sondern auf andere Weise durch die Nährstoffzufuhr ernährungsbedingten Erkrankungen entgegengewirkt werden soll.

b) Allein dem Umstand, dass bestimmte Produkte nur aufgrund einer besonderen Genehmigung von einzelnen Unternehmen hergestellt werden können, kann nicht entnommen werden, dass sie schon deshalb nicht Bestandteil einer normalen Ernährung i.S. von § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV sind.

Gesetze: DiätV § 1 Abs. 4a; Novel-Food-Verordnung Art. 1 Abs. 1; Novel-Food-Verordnung Art. 1 Abs. 2; LFGB § 11 Abs. 1; UWG § 3; UWG § 4; UWG § 8 Abs. 3

Instanzenzug: OLG München, 29 U 3361/05 vom LG München I, 17 HKO 1150/05 vom

Tatbestand

Die Beklagte stellt das Mittel "Erfokol Kapseln" her und vertreibt es als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zur diätetischen Behandlung von Hypercholesterinämie. Eine Kapsel enthält 200 mg pflanzliche Sterole in einem durch physikalische Extraktion erzielten Konzentrat aus Ölen von Mais, Soja und Raps und daneben Vitamin E. Pflanzliche Sterole (auch Phytosterole oder Phytosterine genannt) verhindern die Resorption von Cholesterin im Darm und reduzieren dadurch dessen Konzentration im Blutplasma. Die Sterole und das nicht resorbierte Cholesterin werden über den Darm ausgeschieden.

Der Kläger, der Verband Sozialer Wettbewerb e.V., dem u.a. eine Vielzahl von Unternehmen aus der Arzneimittelbranche angehört, mahnte die Beklagte wegen des seiner Auffassung nach wettbewerbswidrigen Vertriebs und der Werbung für "Erfokol Kapseln" ab und wandte hierfür pauschalierte Kosten in Höhe von 139,20 EUR auf.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Produkt der Beklagten sei keine bilanzierte Diät i.S. von § 1 Abs. 4a DiätV und dürfe daher unter dieser Bezeichnung nicht vertrieben und beworben werden. Außerdem ergebe sich die Verkehrsunfähigkeit der "Erfokol Kapseln" der Beklagten daraus, dass die in ihnen enthaltenen Phytosterole der Zulassung nach der Verordnung (EG) Nr. 258/97 (Novel-Food-Verordnung) bedürften.

Der Kläger hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung -beantragt,

der Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr das Mittel "Erfokol Kapseln" als "Diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (Bilanzierte Diät)" in den Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben.

Ferner hat er die Verurteilung der Beklagte zur Zahlung von 139,20 EUR nebst Zinsen begehrt.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Unterlassung und zur Zahlung der Hälfte der Abmahnpauschale in Höhe von 69,60 EUR verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten insgesamt abgewiesen (OLG München OLG-Rep 2006, 706 = ZLR 2006, 621).

Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein auf Unterlassung und Zahlung der Abmahnpauschale in Höhe von 139,20 EUR gerichtetes Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht hat angenommen, es könne der Beklagten nicht untersagt werden, die "Erfokol Kapseln" als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) in Verkehr zu bringen oder als solches zu bewerben; die Beklagte sei daher auch nicht zur Zahlung der Abmahnpauschale verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Ein Unterlassungsanspruch des Klägers ergebe sich nicht aus § 8 Abs. 3 Nr. 2, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 11 Abs. 1 Satz 1 LFGB, weil "Erfokol Kapseln" ein diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) im Sinne dieser Vorschrift seien und die Werbung der Beklagten mit dieser Bezeichnung daher nicht irreführend sei. "Erfokol Kapseln" seien Lebensmittel und keine Arzneimittel, weil nicht von einer pharmakologischen Wirkung des Produkts ausgegangen werden könne. Das Mittel der Beklagten decke einen zur Reduzierung eines überhöhten Cholesterinspiegels bestehenden und deshalb medizinisch bedingten Bedarf. Die "Erfokol Kapseln" dienten der Ernährung von Patienten, bei denen ein sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf bestehe und für deren diätetische Behandlung weder eine Modifizierung der normalen Ernährung noch andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung ausreichten (vgl. § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV). Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch könne auch nicht darauf gestützt werden, dass das Mittel der Novel-Food-Verordnung unterliege und die danach erforderliche Genehmigung nicht besitze. Gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 finde diese Verordnung Anwendung auf das Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten in der Gemeinschaft, die dort bisher, d.h. bis zum Inkrafttreten der Verordnung am , noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden seien. Produkte der streitgegenständlichen Art seien aber bereits vor diesem Zeitpunkt im Handel in der Europäischen Union erhältlich gewesen. Da die Abmahnung insgesamt unberechtigt gewesen sei, bestehe auch kein Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten gemäß § 12 Abs. 2 UWG.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen können die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung des Inverkehrbringens und Bewerbens des Mittels "Erfokol Kapseln" als diätetisches Lebensmittel für besondere Zwecke (bilanzierte Diät) sowie auf Zahlung der Abmahnpauschale nicht verneint werden.

1.

Die Revision beanstandet mit Erfolg, dass das Berufungsgericht einen Unterlassungsanspruch des Klägers nach § 8 Abs. 3 Nr. 2, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 11 Abs. 1 Satz 1 LFGB wegen irreführender Bezeichnung des Mittels der Beklagten als "diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)" verneint hat.

a)

Das Berufungsgericht hat angenommen, bei dem Mittel der Beklagten handele es sich um ein Lebensmittel, so dass die Bezeichnung des Mittels als bilanzierte Diät nicht bereits deshalb unzulässig sei, weil es sich um ein (nicht zugelassenes) Arzneimittel handele. Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann von einer pharmakologischen Wirkung der "Erfokol Kapseln" der Beklagten nicht ausgegangen werden, so dass das Produkt nicht als Arzneimittel angesehen werden könne. Diese Beurteilung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision auch nicht angegriffen.

b)

Nach Ansicht des Berufungsgerichts verstoßen Vertrieb und Werbung für "Erfokol Kapseln" als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) nicht gegen die Vorschriften der Diätverordnung, so dass die Bezeichnung des Mittels als bilanzierte Diät auch nicht irreführend sei. Die dagegen gerichteten Rügen der Revision verhelfen ihr zum Erfolg.

aa)

Diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diäten) sind gemäß § 1 Abs. 4a Satz 1 DiätV Erzeugnisse, die auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert und für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sind. Sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder ihrer Metaboliten oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen ( § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV). Für bilanzierte Diäten ist nach § 21 Abs. 1 DiätV die Bezeichnung "Diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät)" Verkehrsbezeichnung im Sinne der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung.

bb)

Mit Recht wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, das Mittel der Beklagten erfülle die Voraussetzungen eines diätetischen Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) i.S. von § 1 Abs. 4a DiätV.

(1)

Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht allerdings rechtsfehlerfrei festgestellt, dass das Mittel der Beklagten einem Ernährungszweck i.S. von § 1 DiätV dient.

Diätetische Lebensmittel sind nach § 1 Abs. 1 DiätV Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind. Auch bilanzierte Diäten müssen als diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke einer besonderen Ernährung dienen, und zwar entweder der Ernährung von Patienten, bei denen die Aufnahme oder Verarbeitung gewöhnlicher Lebensmittel oder Nährstoffe aus bestimmten Gründen beeinträchtigt ist ( § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 1 DiätV), oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf ( § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV).

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dient das Mittel der Beklagten der Ernährung, weil es einen Nährstoffbedarf deckt. Mit seiner Hilfe solle ein überhöhter Cholesterinspiegel gesenkt werden, indem die in ihm enthaltenen pflanzlichen Sterole die Resorption von Cholesterin im Darm verhinderten und dadurch dessen Konzentration im Blutplasma verringerten. Die Einwirkung auf die Resorption von in gewöhnlichen Lebensmitteln enthaltenen Nährstoffen wie Cholesterin falle unter § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV. Für die rechtliche Einordnung sei es ohne Bedeutung, dass die pflanzlichen Sterole als Bestandteile des Mittels der Beklagten eine "negative" Wirkung in dem Sinn hätten, dass sie andere, unerwünschte Stoffe (hier: Cholesterin) an deren Wirkung hinderten. Es komme auch nicht darauf an, ob sie erst nach oder bereits vor der Resorption im Darm wirkten. Entscheidend sei vielmehr, dass sie - wie Ballaststoffe - eine ernährungsbezogene Wirkung im Darm entfalteten.

Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben im Ergebnis ohne Erfolg. Entgegen der Auffassung der Revision steht der Annahme, dass das Mittel der Beklagten einem Ernährungszweck i.S. des § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV dient, nicht entgegen, dass die in ihm enthaltenen pflanzlichen Sterole dem Körper weder Energie zuführen noch Vitamine oder Mineralstoffe liefern und zu fast 100% wieder ausgeschieden werden. Ein Mittel dient nicht nur dann der Ernährung, wenn es i.S. von § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 1 DiätV einen Mangel an Nährstoffen beseitigen soll. Wie sich aus § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV ergibt, fällt unter den Ernährungsbegriff der Diätverordnung vielmehr auch ein "sonstiger" medizinisch bedingter Nährstoffbedarf. Die Begriffsbestimmung in § 1 Abs. 4a DiätV, die in Umsetzung von Art. 1 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 1999/21/EG der Kommission vom über diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ABl. Nr. L 91 v. , S. 29) durch die Zehnte Verordnung zur Änderung der Diätverordnung vom (BGBl. I S. 4189) in die Diätverordnung aufgenommen worden ist (vgl. BR-Drucks. 957/01, S. 11 f.), stellt auf den Zweck ab, der mit dem Lebensmittel verfolgt wird, und nicht auf dessen Gehalt an bestimmten Stoffen (vgl. auch Rathke/Gründig in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand der Kommentierung: , C 140 § 1 Rdn. 81a; Delewski, ZLR 2006, 443, 446). Ein sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf liegt auch dann vor, wenn nicht ein Nährstoffdefizit ausgeglichen, sondern auf andere Weise durch die Nährstoffzufuhr ernährungsbedingten Erkrankungen entgegengewirkt werden soll (vgl. Delewski, ZLR 2006, 443, 447 f.; Kügel, DLR 2006, 229, 231 f.; Herrmann, Rechtliche Problemstellungen bei ergänzenden bilanzierten Diäten in arzneitypischer Darreichungsform, 2008, S. 83 f. m.w.N.). Lebensmittel dienen daher i.S. von § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV der Ernährung von Patienten mit einem besonderen, medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, wenn - wie im vorliegenden Fall - durch die Aufnahme der in ihnen enthaltenen Nährstoffe (hier: pflanzliche Sterole) im Hinblick auf die betreffende Krankheit oder Störung (hier: Hypercholesterinämie) eine von den Nährstoffen ausgehende Wirkung erzielt wird (hier: Verhinderung der Resorption von Cholesterin im Darm und damit Reduzierung des Cholesterinspiegels).

Der hier zugrunde gelegte weite Ernährungsbegriff ist auch mit der Richtlinie 1999/21/EG vereinbar. Denn der Richtliniengeber hat bewusst davon abgesehen, detaillierte Vorschriften über die Zusammensetzung diätetischer Lebensmittel für besondere Zwecke festzulegen, weil sich zum einen die wissenschaftlichen Kenntnisse, die ihnen zugrunde liegen, rasch weiterentwickeln und weil zum anderen ein breites Spektrum von diätetischen Lebensmitteln besteht, deren Zusammensetzung nach verschiedenen Faktoren stark variieren kann (vgl. Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie). Die Richtlinie nennt insoweit Faktoren wie Krankheit oder Störung bzw. Beschwerden der Patienten, für die die diätetischen Lebensmittel bestimmt sind, Alter der Patienten und Ort ihrer medizinischen Behandlung, ferner, ob die Lebensmittel als einzige Nahrungsquelle verwendet werden. Auch insoweit soll jedoch keine Festlegung erfolgen. Erwägungsgrund 2 der Richtlinie lässt vielmehr ausdrücklich die Einbeziehung anderer möglicher Faktoren zu ("...und möglicherweise nach anderen Faktoren"). Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs bilanzierter Diäten auf einen eng verstandenen Begriff der besonderen Ernährungserfordernisse von Personen, die an bestimmten Krankheiten, Störungen oder Beschwerden leiden oder aufgrund von ihnen unterernährt sind (vgl. Erwägungsgrund 1 der Richtlinie), ist demnach nicht gewollt (vgl. auch Herrmann aaO S. 87 f.). Da hinsichtlich der Auslegung der Richtlinie unter Berücksichtigung ihrer Erwägungsgründe keine vernünftigen Zweifel bestehen, ist insoweit eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 EG nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257 Tz. 16 - CILFIT; Urt. v. - C-495/03, Slg. 2005, I-8151 Tz. 33).

Unterfallen Nährstoffzusammensetzungen der vorliegenden Art demnach grundsätzlich dem Begriff des diätetischen Lebensmittels für besondere medizinisch Zwecke (bilanzierte Diät) i.S. von § 1 Abs. 4a DiätV, braucht im vorliegenden Zusammenhang der Frage nicht nachgegangen zu werden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen sie auch Stoffe i.S. von § 3 Nr. 1 MPG sein können. Denn das Unterlassungsbegehren des Klägers stellt nur darauf ab, das die Bezeichnung des Produkts der Beklagten als "bilanzierte Diät" irreführend sei.

(2)

Die Voraussetzung nach § 1 Abs. 4a Satz 2 Fall 2 DiätV, dass der Nährstoffbedarf "medizinisch bedingt" sein muss, hat das Berufungsgericht als erfüllt angesehen, weil das Mittel der Beklagten der Reduzierung eines überhöhten Cholesterinspiegels dient. Die Annahme des Berufungsgerichts, es handele sich bei dem Einsatz des Mittels zum Zweck der Reduzierung der Cholesterinaufnahme bei einer Hypercholesterinämie um einen medizinischen Bedarf i.S. von § 1 Abs. 4a DiätV, lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Ein Nährstoffbedarf ist i.S. des § 1 Abs. 4a DiätV medizinisch bedingt, wenn Beschwerden, Krankheiten oder Störungen vorliegen, bei denen ein besonderer Bedarf an bestimmten Nährstoffformulierungen besteht (vgl. § 1 Abs. 4a Satz 3 DiätV). Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass sich bei der Hypercholesterinämie ein solcher Bedarf aus dem bei dieser Erkrankung vorliegenden Beschwerdebild ergibt (vgl. auch Rathke/Gründig aaO § 1 Rdn. 16; Kügel, ZLR 2006, 631, 632 m.w.N.).

(3)

Die Bestimmung des § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV setzt jedoch weiter voraus, dass für die "diätetische Behandlung der Patienten eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen". Die Annahme des Berufungsgerichts, im vorliegenden Fall vermöge eine Modifizierung der normalen Ernährung den Bedarf an pflanzlichen Sterolen nicht zu decken, beruht, wie die Revision mit Recht rügt, auf rechtsfehlerhaften Erwägungen.

Der Kläger hat insoweit vorgetragen, dass sich eine Senkung des Cholesterinspiegels etwa durch die Einnahme von mit pflanzlichen Sterolen angereicherten Lebensmitteln der Marken "Becel proactiv" oder "Benecol" erreichen lasse. Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, diese Produkte dürften wegen ihres Sterol- oder Stanolesterzusatzes nur aufgrund einer besonderen Genehmigung von einzelnen Unternehmen hergestellt werden. Sie könnten dementsprechend von diesen Unternehmen wieder vom Markt genommen werden und stünden dann den Patienten nicht mehr zur Verfügung. Darin unterschieden sie sich von gewöhnlichen Lebensmitteln, die herstellerunabhängig auf dem Markt verfügbar seien, und könnten deshalb nicht als Bestandteil normaler Ernährung i.S. des § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV angesehen werden. Dieser Beurteilung kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden.

Unter einer normalen Ernährung i.S. von § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV ist eine solche Ernährung zu verstehen, die insbesondere hinsichtlich der Art und der Eigenschaften der verzehrten Lebensmittel sowie des Umfangs und der Dauer des Verzehrs im Rahmen der üblichen Ernährungsgewohnheiten des betreffenden Patientenkreises liegt. Eine Modifizierung der normalen Ernährung reicht zur diätetischen Behandlung nicht aus, wenn sich mit ihr die besonderen medizinischen Zwecke nicht oder nicht sicher erreichen lassen, die Modifizierung nicht praktikabel oder für den Patienten unzumutbar ist (vgl. Stellungnahme des Arbeitskreises Lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des BVL, DLR 2006, 236, 238; Kügel, ZLR 2003, 265, 273 f.; Herrmann aaO S. 120 m.w.N.). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich allein dem Umstand, dass bestimmte Produkte nur aufgrund einer besonderen Genehmigung von einzelnen Unternehmen hergestellt werden können, nicht entnehmen, dass sie schon deshalb nicht Bestandteil einer normalen Ernährung i.S. von § 1 Abs. 4a Satz 2 DiätV sind. Zwar kann, wie das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat, im Rahmen der Beurteilung, ob dem Patienten eine entsprechende Modifizierung seiner Ernährung zuzumuten ist, die Verfügbarkeit der betreffenden Produkte Bedeutung erlangen. Ob dem Patienten die Verwendung auch solcher Lebensmittel zugemutet werden kann, die nur von einzelnen Herstellern auf der Grundlage einer besonderen Genehmigung auf den Markt gebracht werden, ist jedoch eine Frage des Einzelfalls (vgl. auch Kügel, ZLR 2006, 631, 636; Herrmann aaO S. 119 f.). Insbesondere wenn die betreffenden Produkte schon seit längerer Zeit vertrieben werden und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Hersteller sie in absehbarer Zeit vom Markt nehmen wollen oder müssen, werden in der Regel unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit keine Bedenken bestehen, den Patienten auf eine entsprechende Modifizierung seiner Ernährung zu verweisen. Solche für die Beurteilung der Zumutbarkeit erforderlichen konkreten Feststellungen zur Verfügbarkeit der Produkte "Becel proactiv" oder "Benecol" hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

2.

Die bislang getroffenen Feststellungen tragen auch nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger könne den geltend gemachten Unterlassungsanspruch ferner nicht darauf stützen, dass das Mittel der Beklagten nicht über die nach der Novel-Food-Verordnung erforderliche Zulassung verfüge.

a)

Der Kläger hat sein Unterlassungsbegehren auch darauf gestützt, dass die in dem Mittel der Beklagten enthaltenen pflanzlichen Sterole der Zulassung nach der Novel-Food-Verordnung bedürften, eine solche Zulassung jedoch nicht erteilt sei, so dass auch aus diesem Grunde Werbung und Vertrieb der "Erfokol Kapseln" als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) zu untersagen seien. Zur Begründung dafür, dass das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit Phytosterin-/Phytostanolzusätzen einer Zulassung durch die Kommission nach Art. 4 der Novel-Food-Verordnung bedarf, hat sich der Kläger auf beispielhafte Genehmigungen der Kommission vom und vom bezogen.

b)

Der Kläger hat damit schlüssig einen Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 4 Nr. 11 UWG dargelegt. Der Vertrieb eines Erzeugnisses, das in den Anwendungsbereich der Novel-Food-Verordnung fällt, ohne die nach dieser Verordnung erforderliche Genehmigung stellt ein gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG unlauteres Wettbewerbsverhalten dar (, GRUR 2008, 625 Tz. 11 = WRP 2008, 924 - Fruchtextrakt; zur Darlegungslast Tz. 18 ff.).

c)

Die Novel-Food-Verordnung findet nach ihrem Art. 1 Abs. 2 auf das Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten in der Gemeinschaft Anwendung, die dort bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und in eine der in Art. 1 Abs. 2 lit. a bis f aufgeführten Gruppen von Erzeugnissen fallen. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass bei der Beurteilung der Frage, ob ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat in der Gemeinschaft bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist, auf die Verhältnisse am abzustellen ist (vgl. u.a., Slg. 2005, I-5141 = WRP 2005, 863 Tz. 87 = ZLR 2005, 435 - HLH Warenvertrieb und Orthica; BGH GRUR 2008, 625 Tz. 15 - Fruchtextrakt).

d)

Das Berufungsgericht hat seiner Beurteilung jedoch einen unzutreffenden Begriff der Neuartigkeit i.S. von Art. 1 Abs. 1 und 2 der Novel-Food-Verordnung zugrunde gelegt. Es hat angenommen, Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten seien im Sinne dieser Bestimmungen in der Gemeinschaft bereits dann in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden, wenn sie bei deren Inkrafttreten (überhaupt) in einem oder mehreren Mitgliedstaaten im Handel gewesen seien, ohne dass weitere quantitative Anforderungen an das Merkmal "nicht in nennenswertem Umfang" zu stellen seien. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften bezieht sich die Voraussetzung, dass das Lebensmittel oder die Lebensmittelzutat bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist, jedoch auf die Verwendung für den Verzehr im Sinne der Aufnahme durch den Menschen. Sie ist erfüllt, wenn das betreffende Lebensmittel oder die betreffende Lebensmittelzutat vor dem Bezugszeitpunkt von Menschen nicht in erheblicher Menge verzehrt worden ist. Bei der Beurteilung, ob ein so geringer menschlicher Verzehr vorliegt, sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass das betreffende Lebensmittel oder die betreffende Zutat vor dem Bezugszeitpunkt auf dem Markt eines Mitgliedstaats oder mehrerer Mitgliedstaaten vertrieben worden ist, (lediglich mit) von Bedeutung (EuGH WRP 2005, 863 Tz. 83-85 - HLH Warenvertrieb und Orthica).

3.

Aus den vorstehend genannten Gründen kann das Berufungsurteil auch keinen Bestand haben, soweit das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Ersatz der Abmahnkosten verneint hat. Die Kostenpauschale ist auch dann in voller Höhe geschuldet, wenn die Abmahnung nur teilweise berechtigt war (vgl. , WRP 1999, 509, 512; Urt. v. - VIII ZR 348/06, GRUR 2008, 1010 Tz. 50 m.w.N.).

III.

Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, soweit das Berufungsgericht die Klage hinsichtlich des Anspruchs auf Unterlassung des Vertriebs und der Werbung für das Mittel der Beklagten als bilanzierte Diät und des Ersatzes der Abmahnkosten abgewiesen hat. Insoweit ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien die erforderlichen Feststellungen dazu treffen kann, ob eine Modifizierung der Ernährung durch Verzehr von Lebensmitteln der Marken "Becel proaktiv" oder "Benecol" zumutbar und zur Erreichung der angestrebten medizinischen Zwecke ausreichend ist und gegebenenfalls ob es sich dabei um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne der Novel-Food-Verordnung handelt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW-RR 2009 S. 531 Nr. 8
ZAAAD-03610

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja