BGH Beschluss v. - V ZB 21/08

Leitsatz

[1] Ein Gebot, das objektiv nicht geeignet ist, den von § 85a ZVG intendierten Schuldnerschutz zu verkürzen, wird nicht dadurch rechtsmissbräuchlich, dass auf der Grundlage rechtsirriger Vorstellungen der Gläubigerin von einer Verkürzung des Schuldnerschutzes auszugehen wäre.

Gesetze: ZVG § 85a

Instanzenzug: AG Bergheim, 32 K 128/05 vom LG Köln, 6 T 385/07 vom

Gründe

I.

Auf Antrag der Beteiligten zu 1 (Gläubigerin) ist die Zwangsversteigerung des im Rubrum näher bezeichneten Grundstücks wegen einer Grundschuld in Höhe von 245.420,10 € nebst 18 % Zinsen seit dem und einer einmaligen Nebenleistung von 5 % sowie "dinglichen Rechtsverfolgungskosten" in Höhe von 427,96 € angeordnet worden. Den Verkehrswert hat das Vollstreckungsgericht auf 570.000 € festgesetzt. In dem ersten Versteigerungstermin am hat nur die Gläubigerin selbst ein Gebot in Höhe von 200.000 € abgegeben. Der Zuschlag ist mit der Begründung versagt worden, das Gebot habe die 5/10 Grenze des § 85a Abs. 1 ZVG nicht erreicht. Rechtsmittel gegen diese Entscheidung sind nicht eingelegt worden.

Nachdem die Beteiligte zu 3 (Ersteherin) in dem zweiten Termin am Meistbietende geblieben war, ist ihr der Zuschlag zunächst erteilt worden. Der dagegen eingelegten Zuschlagsbeschwerde des Schuldners hat das Vollstreckungsgericht abgeholfen und dies darauf gestützt, die 5/10 Grenze des § 85a ZVG habe auch in dem zweiten Termin gegolten, weil der Gläubigerin auf ihr Gebot in dem ersten Termin der Zuschlag hätte erteilt werden müssen (§ 85a Abs. 3 ZVG). Auf die gegen den Abhilfebeschluss eingelegten sofortigen Beschwerden der Gläubigerin und der Ersteherin hat das Landgericht erneut den Zuschlag erteilt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Schuldner wieder die Versagung des Zuschlags erreichen.

II.

Das Beschwerdegericht geht davon aus, die 5/10 Grenze des § 85a Abs. 1 ZVG gelte in dem zweiten Termin nur dann weiter, wenn in dem ersten Termin kein wirksames Angebot abgegeben worden sei. So liege es hier nicht. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Gläubigerin in dem ersten Termin könne nicht festgestellt werden. Es habe kein Eigengebot der Terminsvertreterin vorgelegen. Vielmehr sei das Gebot namens der Gläubigerin abgegeben worden. Eine Vermutung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens bestehe in solchen Fällen nicht. Auch wenn man unterstelle, dass der Zuschlag in dem ersten Termin wegen § 85a Abs. 3 i.V.m. § 114a ZVG hätte erteilt werden müssen, läge ein Rechtsmissbrauch nicht vor, weil nicht anzunehmen sei, dass die Gläubigerin auf eine rechtsfehlerhafte Zurückweisung des Gebots spekuliert habe.

III.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die 5/10 Grenze des § 85a Abs. 1 ZVG in dem zweiten Termin nicht mehr galt.

1. Das Beschwerdegericht war rechtlich nicht gehindert, die Wirksamkeit des in dem ersten Termin abgegebenen Gebots zu prüfen (Senat, BGHZ, 172, 218, 236 f.). Dem steht nicht entgegen, dass die auf § 85a ZVG gestützte Zuschlagsversagung nicht angefochten worden ist. Der Eintritt der formellen Rechtskraft hat zur Folge, dass die Bindung des Bieters an sein Meistgebot erloschen (§ 86 i.V.m. § 72 Abs. 3 ZVG) und dass auf dieser Grundlage die Bestimmung eines neuen Versteigerungstermins von Amts wegen nicht zu beanstanden ist (vgl. Senat, Beschl. v. , V ZB 118/06, NJW 2007, 3360). Selbst bei Annahme materieller Rechtskraftwirkung stünde darüber hinaus nur die Versagung des Zuschlags als solche fest, nicht aber erwüchsen die die Entscheidung tragenden Begründungselemente in Rechtskraft (vgl. Senat, BGHZ 172, 218, 237).

2. Der Wegfall der 5/10 Grenze nach § 85a Abs. 1 u. 2 ZVG setzt voraus, dass in dem ersten Versteigerungstermin ein wirksames Gebot abgegeben wurde (dazu grundlegend Senat, BGHZ 172, 218, 220 ff. m.w.N.). So verhält es sich hier. Das Gebot war nicht rechtsmissbräuchlich. Dabei ist mit der Rechtsbeschwerde davon auszugehen, dass der Gläubigerin in dem ersten Termin der Zuschlag hätte erteilt werden müssen, weil ihr Gebot zusammen mit dem Betrag, mit dem sie bei der auf den Zuschlag folgenden Erlösverteilung ausgefallen wäre, die Hälfte des festgesetzten Grundstückswertes überschritten hätte (§ 85a Abs. 3 i.V.m. § 114a ZVG). Auf dieser Grundlage war das Gebot der Gläubigerin jedoch schon objektiv nicht geeignet, den von § 85a Abs. 1 ZVG intendierten Schuldnerschutz zu verkürzen. Hätte die Gläubigerin in dem ersten Termin ein über 5/10 liegendes Gebot abgegeben und wäre ihr gleichwohl der Zuschlag (rechtsfehlerhaft) versagt worden, hätte dies nicht dazu geführt, dass diese Grenze auch in dem zweiten Termin zu beachten gewesen wäre. Nichts anderes kann gelten, wenn das Gebot zwar diese Grenze nicht erreicht, es aber so hoch ist, dass die Anrechnung nach § 85a Abs. 3 ZVG zur Erteilung des Zuschlags hätte führen müssen. Auch dann liegt ein zuschlagsfähiges Gebot vor, weil infolge der Befriedigungswirkung nach § 114a ZVG (dazu Senat, BGHZ 172, 218, 234; Beschl. v. , V ZB 9/05, NJW-RR 2005, 1359, 1361) auch in diesem Falle von einem Verwertungserlös auszugehen ist, der die Hälfte des Grundstückswerts übersteigt.

Auf die Willensrichtung der - in dem Termin durch eine Rechtsanwältin vertretenen - Gläubigerin, die die Wirkung des § 85a Abs. 3 ZVG offenbar übersehen hatte, kommt es in Konstellationen der vorliegenden Art nicht an. Ein Gebot, das objektiv nicht geeignet ist, den Schuldnerschutz zu verkürzen, wird nicht dadurch rechtsmissbräuchlich, dass auf der Grundlage rechtsirriger Vorstellungen der Gläubigerin von einer Verkürzung des Schuldnerschutzes auszugehen wäre. Ob sich daran etwas ändert, wenn weitere Umstände hinzutreten, bedarf hier keiner Entscheidung. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Gläubigerin darauf spekuliert hat, das Vollstreckungsgericht werde die Vorschrift des § 85a Abs. 3 ZVG übersehen. Auch die Rechtsbeschwerde verweist auf kein Vorbringen, das eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte.

IV.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Dass der Schuldner die Gerichtskosten des von ihm erfolglos betriebenen Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen hat, folgt aus Nr. 2243 KV-GKG. Ein Ausspruch über die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten scheidet aus, weil sich die Beteiligten bei der Zuschlagsbeschwerde und einem sich daran anschließenden Rechtsbeschwerdeverfahrens in der Regel nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüber stehen. Das steht einer Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO grundsätzlich entgegen (vgl. dazu insbesondere Senat, BGHZ 170, 378, 381 m.w.N.).

Fundstelle(n):
NJW-RR 2009 S. 25 Nr. 1
WM 2008 S. 2264 Nr. 48
SAAAC-95664

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja