BGH Beschluss v. - V ZB 85/06

Leitsatz

[1] Die bei der Anwendung von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO gebotene typisierende Betrachtungsweise führt dazu, dass die Notwendigkeit einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zu bejahen ist, wenn eine rechtsunkundige Partei einen an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen Rechtsanwalt mit der Vertretung in einem Prozess beauftragt, der vor einem auswärtigen Gericht geführt wird.

Gesetze: ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1; ZPO § 104

Instanzenzug: AG Stadtroda 2 C 553/04 vom LG Gera 5 T 551/05 vom

Gründe

I.

Durch Prozessvergleich hatte sich die Beklagte verpflichtet, nach Zahlung von 7.669,38 € die Eigentumsumschreibung eines Grundstücks auf die Kläger zu veranlassen. Die Kläger erfüllten den Zahlungsanspruch. Die Beklagte kam ihrer Verpflichtung erst nach Mahnungen nach. Da die Beklagte die beigefügte Kostenrechnung des Anwalts der Kläger nicht ausglich, klagten die Kläger auf Zahlung der von ihnen verauslagten Kosten, hatten damit im ersten Rechtszug aber nur teilweise Erfolg. Im Berufungsrechtszug vor dem Landgericht Gera ließen sie sich durch einen an ihrem Wohnort (B. ) ansässigen Anwalt vertreten. Die Berufung war erfolgreich. Die Kosten des Verfahrens wurden der Beklagten auferlegt.

Im Kostenfestsetzungsverfahren sind Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder in Höhe von insgesamt 290,06 € nicht als erstattungsfähig anerkannt worden. Erinnerung und sofortige Beschwerde sind erfolglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Kläger ihren Festsetzungsantrag weiter, soweit ihm nicht entsprochen worden ist. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

Das Beschwerdegericht steht auf dem Standpunkt, die Beauftragung des in B. ansässigen Prozessbevollmächtigten mit der Prozessvertretung vor dem Landgericht Gera sei nicht notwendig gewesen, weil es im Berufungsrechtszug - für die Kläger erkennbar - nur noch um Rechtsfragen gegangen sei. Bei dieser Sachlage hätte sich ein bei dem Prozessgericht ansässiger Rechtsanwalt allein anhand der Verfahrensakten in den Fall einarbeiten können.

III.

1. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Der angefochtene Beschluss unterliegt der Aufhebung. Die Erstattungsfähigkeit der in Streit befindlichen Kosten hängt davon ab, ob es für die Kläger notwendig war, in zweiter Instanz einen Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung zu beauftragen, der nicht am Ort des Prozessgerichts ansässig ist (§ 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist diese Frage zu bejahen.

Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass es sich im Allgemeinen um notwendige Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung handelt, wenn eine vor einem auswärtigen Gericht klagende oder beklagte Partei einen an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen Rechtsanwalt mit der Vertretung beauftragt (, NJW-RR 2004, 856; Beschl. v. , I ZB 27/03, NJW-RR 2004, 1500 m.w.N.). Die Erstattungsfähigkeit ist lediglich zu verneinen, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts zweifelsfrei feststeht, dass ein Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich ist (vgl. aaO). Davon, dass diese Grundsätze gleichermaßen für die erste wie für die zweite Instanz gelten ( aaO), geht das Beschwerdegericht zutreffend aus, meint aber zu Unrecht, die Notwendigkeit der Einschaltung eines nicht am Ort des Prozessgerichts ansässigen Anwalts sei schon dann zu verneinen, wenn nur noch um Rechtsfragen gestritten werde und dies für die Partei erkennbar sei.

Das Beschwerdegericht übersieht, dass bei der Prüfung, ob eine Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme notwendig ist im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO, eine typisierende Betrachtungsweise geboten ist (, NJW 2003, 901, 902; Beschl. v. , X ZB 30/04, NJW-RR 2005, 1662). Bei dem Kostenfestsetzungsverfahren handelt es sich um ein Massenverfahren, das einer zügigen und möglichst unkomplizierten Abwicklung bedarf. Der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten werden kann, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind ( aaO, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof die Notwendigkeit der Beauftragung eines am Wohn- oder Geschäftssitz einer Partei ansässigen Anwalts grundsätzlich verneint, wenn es sich bei der Partei um einen als Rechtsanwalt zugelassenen Insolvenzverwalter (, NZI 2006, 524 m.w.N.), einen Verband zur Förderung gewerblicher Interessen (, NJW-RR 2004, 856), einen Verbraucherverband (, NJW 2006, 301, 303) oder um ein gewerbliches Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (vgl. , NJW 2003, 2027 f.; Beschl. v. , aaO). In all diesen Konstellationen ist bei typisierender Betrachtung davon auszugehen, dass die Partei in der Regel auch ohne ein persönliches Gespräch für eine sachgerechte Unterrichtung ihres Prozessbevollmächtigten Sorge tragen kann. Das lässt sich für rechtsunkundige Parteien indessen nicht sagen. Das gilt umso mehr, als die Trennlinie zwischen Tatsachenvortrag und Rechtsauffassungen, wobei Letztere wiederum einen Tatsachenkern enthalten können, nur unter Berücksichtigung des wechselseitigen Parteivorbringens im Einzelfall gezogen werden kann und sich das Erfordernis weiteren tatsächlichen Vorbringens zudem auch unter einem neuen rechtlichen Gesichtspunkt ergeben kann, der bislang nicht bedacht worden ist. Mit solchen Erwägungen ist eine nicht häufig mit Rechtsfragen befasste Partei aber regelmäßig überfordert. Vor diesem Hintergrund verbietet sich eine Gleichstellung mit den bislang von dem Bundesgerichtshof anerkannten Ausnahmekonstellationen. Ob eine andere Beurteilung angezeigt ist, wenn das fehlende Erfordernis eines persönlichen Mandantengesprächs auch einer rechtsunkundigen Partei gleichsam ins Auge springen muss, braucht nicht entschieden zu werden. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

b) Nach allem kann der angefochten Beschluss keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil sie entscheidungsreif ist im Sinne von § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO. Da die Notwendigkeit der Einschaltung des B. Anwalts bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht zu verneinen ist, sind auch die geltend gemachten Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder festzusetzen. Das führt zu dem tenorierten Betrag.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 2048 Nr. 28
HAAAC-39396

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja