BVerwG Urteil v. - 1 C 22.03

Leitsatz

Zum Widerruf einer von vornherein rechtswidrigen Anerkennung als politisch Verfolgter (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).

Gesetze: AsylVfG § 73 Abs. 1; AuslG § 51 Abs. 1

Instanzenzug: OVG Münster OVG 9 A 776/02 .A vom VG Düsseldorf VG 16 K 4783/00 .A vom

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als politischer Flüchtling nach § 51 Abs. 1 AuslG.

Der 1969 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste im Juni 1995 vom Nordirak aus nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom eine Anerkennung als Asylberechtigter ab, gewährte aber asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG.

Im Hinblick darauf, dass der Kläger mehrfach von Deutschland aus in den Nordirak gereist war, leitete das Bundesamt im Februar 2000 ein Widerrufsverfahren ein und hörte den Kläger hierzu an. Mit dem angefochtenen Bescheid vom widerrief das Bundesamt die Anerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht bestehen. Zur Begründung verwies es u.a. auf den im Juni 1999 erfolgten Erlass des Amnestiedekrets Nr. 110 durch den irakischen Revolutionsrat.

Die hiergegen gerichtete Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid aufgehoben, weil eine zum Widerruf berechtigende nachträgliche erhebliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse nicht eingetreten sei. Der Anerkennungsbescheid vom sei im Hinblick auf eine für den Kläger von vornherein bestehende inländische Fluchtalternative im Nordirak von Anfang an rechtswidrig gewesen. Deshalb habe nicht erst das Amnestiedekret Nr. 110 dem Kläger eine gefahrlose Rückkehr in seinen Heimatstaat ermöglicht.

Mit ihrer Revision, die der erkennende Senat wegen Abweichung der Berufungsentscheidung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugelassen hat, erstrebt die Beklagte die Änderung der Berufungsentscheidung und die Abweisung der Klage.

II.

Der Senat entscheidet mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Revision ist begründet. Die Berufungsentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid zu Unrecht aufgehoben.

Soweit der Bescheid sich auf den Widerruf der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG bezieht, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden. Da der auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Widerruf entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts rechtlich nicht zu beanstanden ist, ist insoweit das klageabweisende erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen.

Soweit der Bescheid das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG betrifft, ist die Sache mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

Rechtsfehlerhaft und in Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf der Anerkennung als politischer Flüchtling nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG im Falle des Klägers nicht vorliegen. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen, also insbesondere dann, wenn die Gefahr politischer Verfolgung im Herkunftsstaat nicht mehr besteht. Dies ist dann der Fall, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich entscheidungserheblich verändert haben. Die Vorschrift ist auch anwendbar, wenn die Asylanerkennung oder die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG von Anfang an rechtswidrig war (vgl. Urteil des früher mit Asylsachen befassten 9. Senats des BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 = Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 37; vgl. allgemein auch Urteil des erkennenden Senats vom - BVerwG 1 C 15.02 - BVerwGE 118, 174 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 10; jeweils m.w.N.).

Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG durch das Bundesamt von vornherein rechtswidrig war, da dem Kläger bereits zum Zeitpunkt der Anerkennung als politischer Flüchtling eine zumutbare inländische Fluchtalternative im Nordirak zur Verfügung gestanden habe. Es hat den Erlass des Amnestiedekrets Nr. 110 durch den revolutionären Kommandorat im Irak im Juni 1999 nicht als nachträgliche erhebliche Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in Betracht gezogen, weil der Kläger schon zum Zeitpunkt seiner Anerkennung gefahrlos in den Nordirak habe zurückkehren können; ihm sei deshalb nicht erst durch das Amnestiedekret die gefahrlose Rückkehr in den Heimatstaat ermöglicht worden. Diese Argumentation steht in Widerspruch zu der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit des Widerrufs auch rechtswidriger Anerkennungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG. Sie liefe im Ergebnis darauf hinaus, dass bei von Anfang an rechtswidrigen Anerkennungen regelmäßig ein Widerruf nach dieser Vorschrift nicht möglich wäre, da eine von vornherein nicht bestehende Verfolgungsgefahr be-griffsnotwendig nicht im Nachhinein entfallen kann. Dass ein derartiger Schluss nicht mit dem Regelungszweck der Widerrufsbestimmung vereinbar ist, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in dem genannten Grundsatzurteil vom (a.a.O. S. 85 f.) ausgeführt. Es hat dabei ausdrücklich auch den - hier einschlägigen - Fall erwähnt, dass eine tatsächlich vorhandene inländische Fluchtalternative bei der Anerkennung nicht beachtet worden ist, aber die zugrunde liegende Verfolgungsgefahr später landesweit eindeutig entfällt. Ein Widerruf ist auch und gerade in diesen Fällen unabhängig davon zulässig, ob bei der Anerkennung eine Verfolgungsgefahr zu Recht oder zu Unrecht angenommen wurde. Hieran ist festzuhalten. Es spricht nämlich nichts dafür, dass der Gesetzgeber zu Unrecht anerkannte Asylbewerber oder Flüchtlinge im Hinblick auf den Widerruf des Status bei späterer erheblicher Veränderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat besser stellen wollte als rechtmäßig anerkannte.

Eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur Klärung der Frage, welche asylrechtliche Bedeutung dem Amnestiedekret im Einzelnen zukommt, ist aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklung der politischen Verhältnisse im Irak entbehrlich. Der Senat kann diese Entwicklung, die in jedem Falle eine zum Widerruf berechtigende und verpflichtende nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG darstellt, selbst abschließend beurteilen. Der Kläger hat bei einer Rückkehr in den Irak inzwischen offenkundig nicht mehr mit politischer Verfolgung zu rechnen. Dies ergibt sich daraus, dass nach den während des Revisionsverfahrens eingetretenen allgemeinkundigen Ereignissen im Irak das Regime von Saddam Hussein durch die amerikanischen und britischen Truppen beseitigt worden ist. Diese Entwicklung kann der Senat nach Anhörung der Beteiligten hierzu im Revisionsverfahren berücksichtigen (vgl. etwa BVerwG 9 C 20.00 - BVerwGE 114, 16 <25 f.> m.w.N. und BVerwG 1 C 23.02 - bezüglich des Irak, nicht veröffentlicht). Andere Gründe, aus denen der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland politischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein könnte, sind auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts und nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht ersichtlich.

Soweit das Verfahren Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG betrifft, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat zu der Feststellung des Bundesamts im Widerrufsbescheid, dass derartige Abschiebungshindernisse nicht vorliegen, - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Dies wird das Berufungsgericht im neuerlichen Berufungsverfahren nachzuholen haben.

Die Kostenentscheidung beruht, soweit sie bereits getroffen werden kann, auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83 b AsylVfG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom , BGBl I 718) nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F. (vgl. § 60 RVG).

Fundstelle(n):
KAAAC-12058