BGH Beschluss v. - VIII ZB 105/04

Leitsatz

[1] Zu den Anforderungen an die Unterschriftleistung eines Rechtsanwalts unter die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift.

Gesetze: ZPO § 130 Nr. 6; ZPO § 519 Abs. 4; ZPO § 520 Abs. 5

Instanzenzug: LG Hannover 12 S 36/04 vom AG Hannover 503 C 20086/03 vom

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Beklagte durch Urteil vom zur Zahlung von Verbrauchskosten für Strom und Gas sowie Mahn- und Inkassokosten in Höhe von insgesamt 716,92 € nebst Zinsen verurteilt. Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am zugestellte Urteil haben diese für die Beklagte durch Schriftsatz des Rechtsanwalts G. S. am (einem Montag) Berufung eingelegt und die Berufung durch einen weiteren Schriftsatz von Rechtsanwalt S. am begründet.

Nachdem das Berufungsgericht zunächst der Klägerin eine Frist zur Erwiderung auf die Berufungsbegründung gesetzt und dieser einen Hinweis in der Sache erteilt hatte, hat es auf eine entsprechende Rüge der Klägerin mit Beschluss vom , zugestellt am , die Beklagte darauf hingewiesen, dass dem Berufungsschriftsatz und dem Berufungsbegründungsschriftsatz die gemäß § 130 Nr. 6 ZPO erforderlichen Unterschriften fehlen dürften, und weiter ausgeführt: Eine Unterschrift müsse zumindest einzelne Buchstaben erkennen lassen, weil es sonst an dem Merkmal einer Schrift überhaupt fehle. Die Unterzeichnungen bestünden jedoch lediglich aus einem Strich und einer gewellten weitgehend gleichförmigen Linie und ließen keinen einzigen Buchstaben erkennen. Zudem liege kein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug vor; das Schriftgebilde unter den beiden Berufungsschriftsätzen dürfte von einem Dritten unschwer nachzuahmen sein. Schließlich weiche es eklatant von dem Schriftgebilde unter dem erstinstanzlichen Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom ab.

Die Beklagte hat daraufhin durch Rechtsanwalt S. vorsorglich am erneut Berufung eingelegt, diese zugleich begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat der Prozessbevollmächtigte ausgeführt und anwaltlich versichert, er unterschreibe seit seiner Zulassung als Rechtsanwalt im Februar 2000 alle Schriftsätze ähnlich wie die Berufungsschrift vom und die Begründungsschrift vom , ohne dass seine Unterschriftsleistung bisher durch ein Gericht beanstandet worden sei.

Das Landgericht hat durch Beschluss vom die Berufung der Beklagten verworfen und ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung hat es auf seinen Hinweisbeschluss vom Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Versäumung der Berufungsfrist durch die nicht den Erfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO genügende Unterschrift verschuldet habe und die Beklagte sich dieses Verschulden gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse. Auch wenn die Art der Unterschriftsleistung in der Zeit seit Februar 2000 von keinem Gericht beanstandet worden sei, habe der Anwalt damit seine ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet; die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt den formellen Anforderungen des § 575 ZPO. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), weil die angefochtene Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. , NJW 2004, 367, unter II 1 bb m.w.Nachw.). Dies ist hier geschehen, weil das Berufungsgericht bei seinen Anforderungen an die gemäß §§ 519 Abs. 4, 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO erforderliche Unterschrift des Rechtsanwalts unter der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift eine mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung unvereinbare Strenge an den Tag gelegt hat (s. unter 2).

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Als Unterschrift im Sinne von § 130 Nr. 6 ZPO ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein aus Buchstaben einer üblichen Schrift bestehendes Gebilde zu fordern, das nicht lesbar zu sein braucht. Erforderlich, aber auch genügend ist das Vorliegen eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden Schriftzuges, der individuelle und entsprechend charakteristische Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt, selbst wenn er nur flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt (, FamRZ 1997, 737, unter II m.w.Nachw.). In Anbetracht der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, ist jedenfalls dann, wenn die Autorenschaft gesichert ist, bei den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen ein großzügiger Maßstab anzulegen (, NJW 1997, 3380 unter II 2 a; Beschluss vom - IVa ZB 13/86, NJW 1987, 1333). Denn Sinn und Zweck des Unterschriftserfordernisses ist die äußere Dokumentation der vom Gesetz geforderten eigenverantwortlichen Prüfung des Inhalts der Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift durch den Anwalt (, NJW 2005, 2709, unter III 2 a bb), die gewährleistet ist, wenn feststeht, dass die Unterschrift von dem Anwalt stammt.

b) An der Autorenschaft des Rechtsanwalts G. S. bestanden hier auch beim Berufungsgericht zu keiner Zeit Zweifel. Sie wird zum einen dadurch bestätigt, dass der Schriftzug in beiden Schriftsätzen über den maschinenschriftlichen Zusatz "G. S. , Rechtsanwalt" gesetzt ist, und ergibt sich zum andern daraus, dass die Unterschrift, anders als das Berufungsgericht meint, keine wesentlichen Abweichungen von den Schriftgebilden aufweist, mit denen Rechtsanwalt S. die unstreitig von ihm stammenden erstinstanzlichen Schriftsätze in diesem Verfahren unterzeichnet hat. Bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs ist hier das Erfordernis einer Unterschrift noch erfüllt. Der Senat kann die Prüfung der dafür erforderlichen Merkmale selbständig und ohne Bindung an die Ausführungen des Berufungsgerichts vornehmen (Senatsurteil vom - VIII ZR 58/01, NJW 2001, 2888, unter II 1; Beschluss vom , aaO; Beschluss vom , aaO). Der Schriftzug auf der Berufungs- und der Berufungsbegründungsschrift lässt die Absicht erkennen, eine volle Unterschrift zu leisten und die Schriftstücke nicht lediglich mit einer Paraphe oder Abkürzung abzuzeichnen. Er ist zwar einfach strukturiert und einem starken Abschleifungsprozess unterlegen, aber dennoch so individuell ausgeführt, dass ihm insgesamt der Charakter einer Unterschrift nicht abgesprochen werden kann.

c) Wenn man dies anders sehen wollte, wäre das Berufungsgericht jedenfalls gehalten gewesen, dem Beklagten auf dessen den Anforderungen der §§ 234, 236 ZPO genügenden Antrag hin gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten glaubhaft gemacht hat, dass seine Unterschrift von den Gerichten jahrelang unbeanstandet geblieben ist, durfte er ohne Verschulden annehmen, dass sie den allgemein in der Rechtsprechung anerkannten Anforderungen entsprach, und hatte er unter Berücksichtigung des Anspruchs auf faire Verfahrensgestaltung vor dem Hinweisbeschluss vom keinen Anlass zu der Besorgnis, sie werde von der entscheidenden Kammer als unzureichend angesehen werden (vgl. , NJW 1998, 1853, unter II 2 b; , NJW 1999, 60, unter II 2).

Fundstelle(n):
BB 2005 S. 2775 Nr. 51
DStZ 2006 S. 96 Nr. 3
INF 2006 S. 10 Nr. 1
NJW 2005 S. 3775 Nr. 52
DAAAC-03694

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja