BGH Urteil v. - VI ZR 430/02

Leitsatz

[1] a) § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ist grundsätzlich auch in Fällen einfacher Streitgenossenschaft anwendbar.

b) Die Rücknahme der Berufung gegen den einzigen Streitgenossen mit Wohnsitz im Ausland hat jedenfalls dann keinen Einfluß auf die Berufungszuständigkeit des Oberlandesgerichts, wenn sie erst nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgt.

Gesetze: GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b

Instanzenzug: LG Kleve vom AG Geldern

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom , an dem der frühere Beklagte zu 1) mit Wohnsitz in den Niederlanden mit dem von ihm gefahrenen niederländischen Lkw beteiligt war. Im ersten Rechtszug hat sie den Beklagten zu 1) und den Beklagten zu 2), einen eingetragenen Verein deutschen Rechts als Haftpflichtversicherer gemäß §§ 4, 2 Abs. 1 lit. b AuslPflVG (Gesetz über die Haftpflichtversicherung für ausländische Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger vom - BGBl. I, 667 - in Verbindung mit Art. 6 Drittes Gesetz zur Durchführung versicherungsrechtlicher Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaft vom - BGBl. I, 1630) in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Klägerin hat zunächst hinsichtlich beider Beklagten Berufung zum Landgericht eingelegt. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist hat sie ihre Berufung gegen den Beklagten zu 1) zurückgenommen. Der Beklagte zu 2) hat die funktionelle Zuständigkeit des Landgerichts gerügt und die Auffassung vertreten, daß das Oberlandesgericht für die Berufung zuständig sei.

Das Landgericht hat die Klägerin ihres Rechtsmittels gegen den Beklagten zu 1) für verlustig erklärt, die Berufung der Klägerin gegen den Beklagten zu 2) als unzulässig verworfen und die Revision zugelassen.

Gründe

I.

Das Landgericht führt zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus, da der Beklagte zu 1) bei Eintritt der Rechtshängigkeit seinen Wohnsitz in den Niederlanden gehabt habe, sei gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für die Berufung gegeben gewesen. Die spätere Rücknahme der gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Berufung begründe keine Zuständigkeit des Landgerichts.

II.

Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler seine Zuständigkeit für die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts verneint.

Seit dem weist § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG i.d.F. des Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom (BGBl. I, 1887 ff.) den Oberlandesgerichten die Zuständigkeit für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Berufung und der Beschwerde gegen amtsgerichtliche Entscheidungen in Sachen mit Auslandsberührung zu. Entscheidend ist hierbei nach dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung, ob es sich um eine Streitigkeit über Ansprüche von einer oder gegen eine Person handelt, die im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit erster Instanz ihren allgemeinen Gerichtsstand außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes hatte. Maßgeblich ist hiernach der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit, also regelmäßig der Zustellung der Klageschrift an diese Partei (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO).

Diese Regelung, die aufgrund einer Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses neu gefaßt worden ist, trägt dem Umstand Rechnung, daß infolge der Internationalisierung des Rechts und des zunehmenden grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtsprechung besteht (vgl. - zur Veröffentlichung bestimmt; BT-Drs. 14/6036 S.118 f.; Hannich/Meyer-Seitz/Engers, ZPO-Reform, S. 518). Durch die Zentralisierung der Berufung und der Beschwerde in Streitigkeiten mit internationalem Bezug beim Oberlandesgericht soll die Möglichkeit divergierender Entscheidungen in derartigen Sachen mit tendenziell internationalem Bezug verringert und die bei internationalen Sachverhalten besonders wichtige Rechtssicherheit gestärkt werden (vgl. MünchKomm-ZPO/Aktualisierungsband-Wolf § 119 GVG Rn. 4; Hannich/Meyer-Seitz/Schwartze, ZPO-Reform 2002, § 119 GVG Rn. 4). Entsprechend diesem Zweck des Gesetzes, jedenfalls für solche Streitigkeiten eine einheitliche Rechtsprechung durch Konzentration der Berufungen bei den gegenüber der Zahl der Landgerichte wenigen Oberlandesgerichten zu erreichen, muß diese Regelung grundsätzlich auch bei Streitgenossenschaft Anwendung finden. Wollte man demgegenüber die funktionelle Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nur hinsichtlich der "ausländischen" Partei bejahen, könnte dies dazu führen, daß es zu einer Aufspaltung der Berufungszuständigkeit und damit zu einer Trennung des Prozesses in dieser Instanz käme. Dieses Ergebnis ist denkbar unpraktikabel und wird deshalb im Schrifttum abgelehnt (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 119 GVG Rn.14; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 61. Aufl., § 119 Rn. 9; bejahend dagegen MünchKomm-ZPO/Aktualisierungsband-Wolf, aaO; Heidemann NJW 2002, 494). Der Senat vermag sich dieser Auffassung schon deshalb nicht anzuschließen, weil sie sowohl der Vereinfachungstendenz des Gesetzes als auch seinem Zweck, die Rechtssicherheit zu verstärken, widerspricht.

Nach diesen Grundsätzen war hier das Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Berufung gegen das Urteil des zu seinem Gerichtsbezirk gehörenden Amtsgerichts berufen.

Daran änderte sich - entgegen der Auffassung der Revision - nichts dadurch, daß die Klägerin ihre Berufung gegen den Beklagten zu 1) zurückgenommen hat. Der Beklagte zu 1) war zwar die Partei, die bei Klageerhebung ihren Wohnsitz im Ausland hatte (§ 13 ZPO, seit in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, 59, 60 EuGVVO - Verordnung [EG] Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen - ABl. EG L 12 vom ). Die funktionelle Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für das Berufungsverfahren wird jedoch nach Sinn und Zweck des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG grundsätzlich einheitlich durch den allgemeinen Gerichtsstand der Partei, die den Auslandsbezug herstellt, bestimmt. Spätere Veränderungen können jedenfalls dann keinen Einfluß auf diese Zuständigkeit nehmen, wenn diese Partei erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist aus dem Rechtsstreit ausscheidet.

Hiernach hat das Landgericht ohne Rechtsfehler die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für die Berufung bejaht und die eigene Berufungszuständigkeit verneint.

2. Die Revision rügt auch ohne Erfolg, das Landgericht habe den Rechtsstreit an das zuständige Oberlandesgericht verweisen müssen. Dem kann nicht gefolgt werden.

a) Eine Verweisung des Rechtsstreits über die Berufung der Klägerin in entsprechender Anwendung des § 281 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Landgericht ohne Rechtsfehler nicht ausgesprochen. Diese Bestimmung gilt nicht für die funktionelle Zuständigkeit (vgl. - NJW-RR 1997, 55). Ob eine entsprechende Anwendung der Bestimmung hier möglich wäre, bedarf keiner Entscheidung, denn die Klägerin hatte eine Verweisung nicht beantragt, sondern zu dem Verweisungsantrag des Beklagten zu 2) keine Erklärung abgegeben. Ein solcher Antrag wäre hier ohne Erfolg gewesen, weil - wie dargelegt - die Berufung beim Oberlandesgericht eingelegt werden mußte und die Berufungsfrist im Zeitpunkt der denkbaren Antragstellung bereits abgelaufen war.

b) Diese Erwägungen gelten auch für die Rüge der Revision, das Landgericht habe von Amts wegen in entsprechender Anwendung des § 17 a Abs. 2 GVG verweisen müssen. Zudem ist für eine analoge Anwendung dieser Bestimmung hier kein Raum. Der gegenteiligen Ansicht (vgl. MünchKomm-ZPO/ Aktualisierungsband-Wolf, aaO, Rn. 7, 11), der die Revision folgt, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das Verhältnis zwischen dem Landgericht und dem Oberlandesgericht in Berufungssachen ist nicht durch unterschiedliche Verfahren wie im Verhältnis zwischen einem ordentlichen Gericht und einem Wohnungseigentumsgericht (vgl. - NJW 1995, 2851) oder zwischen der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit und dem Landwirtschaftsgericht in den nichtstreitigen Landwirtschaftssachen (vgl. - WM 1996, 1198) geprägt. Vielmehr gehören Landgericht und Oberlandesgericht als Berufungsgericht zum Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Auch geht es nicht um die Verweisung in eine andere Verfahrensart wie etwa bei der Verweisung eines Verfahrens von den Gerichten für Notarsachen an die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit (vgl. - NJW 1992, 2423, 2426). Insoweit besteht keine Lücke in der gesetzlichen Regelung, die eine entsprechende Anwendung des § 17 a Abs. 2 GVG gestatten würde.

c) Auch der "Meistbegünstigungsgrundsatz" konnte das Landgericht nicht zu einer Verweisung an das Oberlandesgericht von Amts wegen verpflichten. Dieser Grundsatz findet bei Fehlern der Rechtspflegeorgane Anwendung, welche die Wahl des gegebenen Rechtsbehelfs erschweren oder unmöglich machen, aber der Partei nicht zuzurechnen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 101/02 - NJW 2002, 2106; vom - VIII ZB 27/02 - WM 2003, 353, zum Abdruck in BGHZ vorgesehen; - NJW-RR 2002, 1651 und vom - VIII ZR 146/02 - NJW-RR 2003, 489). Hier ist die Einlegung der Berufung zum Landgericht jedoch ersichtlich nicht durch das Gericht beeinflußt worden. Für eine Anwendung des Grundsatzes der Meistbegünstigung ist deshalb kein Raum.

3. Nach allem ist die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
MAAAC-03049

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: ja