BGH Urteil v. - IV ZR 16/03

Leitsatz

[1] Zur Beweislast im Rahmen des § 61 VVG, wenn sich der Versicherungsnehmer auf Unzurechnungsfähigkeit im Sinne von § 827 Satz 1 BGB beruft.

Gesetze: BGB § 827; VVG § 61

Instanzenzug: LG Saarbrücken

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten aus einer Fahrzeugvollversicherung Entschädigung für den bei einem Verkehrsunfall entstandenen Sachschaden an ihrem PKW Mitsubishi Pajero.

Am überquerte der Geschäftsführer der Klägerin in T. mit dem Fahrzeug zwei aufeinander folgende Kreuzungen, obwohl die jeweiligen Lichtzeichenanlagen für ihn Rotlicht zeigten. Beim Überqueren der zweiten Kreuzung kollidierte er mit einem von rechts kommenden PKW, dessen Fahrer bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren war. Durch den Unfall entstand am Fahrzeug der Klägerin unter Anrechnung einer Selbstbeteiligung von 1.000 DM ein verbleibender Sachschaden von 10.800 DM.

Die Beklagte hat die Erstattung dieses Betrages verweigert, weil der Geschäftsführer der Klägerin den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt habe.

Die Klägerin behauptet, ihr Geschäftsführer sei zur Zeit des Unfalls schuldunfähig gewesen. Er habe seinerzeit unter einer vor dem Unfall noch unerkannten Schlafapnoe (Atemstörung während des Schlafes) gelitten, in deren Folge er bei der Unglücksfahrt kurzzeitig das Bewußtsein verloren habe.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 61 VVG angenommen, weil der Versicherungsfall vom Geschäftsführer der Klägerin grob fahrlässig verursacht worden sei.

Es hat sich zunächst in tatrichterlicher Würdigung nicht davon zu überzeugen vermocht, daß der Geschäftsführer der Klägerin zum Unfallzeitpunkt sein Kraftfahrzeug im Zustand der Bewußtlosigkeit - also in einem durch Schlafapnoe verursachten "Sekundenschlaf" - geführt hat. Zweifel daran hat vor allem der Umstand geweckt, daß er sich gegenüber einem Polizeibeamten am Unfallort nicht auf eine solche Bewußtseinsstörung berufen hatte, sondern lediglich darauf, von der Sonne geblendet worden zu sein.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts wirkt sich diese Beweislage zu Lasten der Klägerin aus, denn sie trage in entsprechender Anwendung des § 827 Satz 1 BGB und der dieser Vorschrift innewohnenden Beweislastregelung die Beweislast dafür, daß die Verantwortlichkeit ihres Geschäftsführers durch die behauptete Bewußtseinsstörung ausgeschlossen gewesen sei. Das gelte unbeschadet dessen, daß der Versicherer bei Anwendung des § 61 VVG andererseits grundsätzlich auch die Beweislast für die subjektiven Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit trage. Zwar sei im Rahmen der dafür erforderlichen Würdigung aller Umstände des Einzelfalls auch eine erhebliche Verminderung der Einsichts- oder Hemmungsfähigkeit zu berücksichtigen. Um eine solche Einschränkung der Schuldfähigkeit gehe es hier aber nicht. Da sich der Sekundenschlaf nach Vortrag der Klägerin bei ihrem Geschäftsführer ohne jede Vorankündigung (Erscheinungen starker Übermüdung oder sonstige bemerkbare Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens) eingestellt habe und Zwischenstadien der geistigen Beeinträchtigung mithin nicht behauptet seien, sei allein entscheidend, ob er bei dem Unfall bewußtlos gewesen sei oder nicht.

Daß ein solches atypisches Risiko des Ausschlusses der Verantwortlichkeit eingetreten sei, habe entsprechend § 827 BGB allein der Versicherungsnehmer zu beweisen. Nur so würden die berechtigten Interessen des Versicherers gewahrt, der regelmäßig kaum in der Lage sei, eine plötzlich eintretende Bewußtseinsstörung des Fahrers zu widerlegen.

Im weiteren hat das Berufungsgericht dargelegt, daß der Geschäftsführer der Klägerin die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt objektiv grob fahrlässig mißachtet habe und daß für den subjektiven Schuldvorwurf keine Gründe ersichtlich seien, die das Verhalten im Rahmen der gebotenen umfassenden Würdigung der Fallumstände in einem milderen Licht erscheinen ließen.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in allen Punkten stand.

1. Die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu, daß sich eine Bewußtseinsstörung des Geschäftsführers der Klägerin für den Unfallzeitpunkt nicht sicher nachweisen lasse, werden von der Revision nicht angegriffen. Sie enthalten auch keinen Rechtsfehler.

2. Die Revision meint, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts müsse der Versicherer - beweise der Versicherungsnehmer seine oder seines Repräsentanten Schuldunfähigkeit nicht - den möglichen Ausschluß der Schuldunfähigkeit zum Nachweis der groben Fahrlässigkeit widerlegen. Das ist nicht richtig.

a) Der Bundesgerichtshof hat schon mehrfach ausgesprochen, daß die Beweislastregelung aus § 827 Satz 1 BGB, wonach die Beweislast für behauptete Unzurechnungsfähigkeit den Täter trifft (BGHZ 98, 135, 136 ff.; 102, 227, 230), auch im Rahmen von § 61 VVG zu Lasten des Versicherungsnehmers Anwendung findet (BGHZ 111, 372, 374; IVa ZR 128/83 - NJW 1985, 2648 = VersR 1985, 440 und Urteil vom - IVa ZR 274/87 - NJW 1989, 1612 = VersR 1989, 469 unter 4; vgl. auch Knappmann, NVersZ 1998, 13, 14). Gelingt es - wie hier - dem Versicherungsnehmer nicht, den völligen Ausschluß der Verantwortlichkeit für den Zeitpunkt der Herbeiführung des Versicherungsfalls zu beweisen, so hat das Gericht im weiteren davon auszugehen, daß eine solche Unzurechnungsfähigkeit nicht vorlag.

b) Das steht nicht im Widerspruch dazu, daß der Versicherer im Rahmen des § 61 VVG dennoch auch die subjektiven Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit darlegen und beweisen muß ( und aaO; Urteil vom - IV ZR 163/97 - VersR 1998, 1011 unter I 2 b; Urteil vom - IV ZR 118/97 - VersR 1998, 1231 unter II 2 a). Denn die Annahme grober Fahrlässigkeit setzt auf der subjektiven Seite voraus, daß die im Verkehr erforderliche Sorgfalt durch ein auch subjektiv unentschuldbares Verhalten in hohem Maße außer Acht gelassen worden ist, weshalb ein in subjektiver Hinsicht gesteigertes Fehlverhalten aufgrund der Würdigung aller Tatumstände festgestellt werden muß ( aaO m.w.N.; Knappmann, aaO S. 16, 17).

c) Hat - wie hier - der Versicherungsnehmer eine völlige Unzurechnungsfähigkeit nicht bewiesen, so kann der Tatrichter - wie es das Berufungsgericht getan hat - grundsätzlich aus dem Grad der objektiven Pflichtverletzung Rückschlüsse auf die innere Tatseite ziehen (BGHZ 119, 147, 151 m.w.N.; Römer, VersR 1992, 1187, 1191). Er muß allerdings im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung ( aaO; Urteil vom - IV ZR 173/01 - VersR 2003, 364 unter II 3 c m.w.N.) danach fragen, ob die Gründe, auf die der Versicherungsnehmer die (unbewiesene) Behauptung der völligen Unzurechnungsfähigkeit gestützt hat, Anhaltspunkte dafür geben, daß zumindest eine erhebliche Beeinträchtigung des Bewußtseins (unterhalb der Schwelle völliger Unzurechnungsfähigkeit) im Sinne einer erheblichen Verminderung der Einsichts- oder Hemmungsfähigkeit vorgelegen haben kann, die den Vorwurf grober Fahrlässigkeit gegebenenfalls abmildert (vgl. dazu Knappmann, aaO; Lang, NZV 1990, 169, 173). Beruft sich ein Versicherungsnehmer beispielsweise auf eine Krankheit, die das Gedächtnis- und Konzentrationsvermögen im allgemeinen beeinträchtigt, so ist dies im Rahmen der Prüfung grober Fahrlässigkeit im Sinne von § 61 VVG gerade dann zu berücksichtigen, wenn nicht erwiesen ist, daß die Krankheit im Zeitpunkt der Herbeiführung des Versicherungsfalls zur völligen Unzurechnungsfähigkeit geführt hatte, weil daneben auch eine eingeschränkte Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers in Betracht kommen kann (vgl. dazu IVa ZR 39/88 - VersR 1989, 840 unter 2). Liegen solche Anhaltspunkte vor, trifft den Versicherer die volle Beweislast dafür, daß der Versicherungsfall dennoch grob fahrlässig herbeigeführt worden ist, die genannten, Zweifel begründenden Umstände also nicht wirksam geworden sind ( und vom aaO).

d) So liegen die Dinge hier aber nicht. Das Berufungsgericht hat vielmehr zutreffend dargelegt, weshalb die von der Klägerin geltend gemachten Ausfallerscheinungen ihres Geschäftsführers aufgrund ihrer Besonderheit keinen weiteren Anlaß gegeben haben, nach einer nur eingeschränkten Verantwortlichkeit für den Unfallzeitpunkt zu fragen. Da der Sekundenschlaf nach dem Klägervortrag als Folge der seinerzeit noch unentdeckten Schlafapnoe plötzlich und ohne jede Vorankündigung, insbesondere ohne jede sonstige Beeinträchtigung des Leistungsvermögens, eingetreten sein soll, bestand - nachdem sich dies für den Unfallzeitpunkt nicht hat beweisen lassen - kein Anlaß zur Prüfung, ob sich die Schlafapnoe-Erkrankung anderweitig schuldmindernd auf den Unfall ausgewirkt hat. Insoweit unterscheidet sich der Fall von sonstigen Fällen des Einnickens von Kraftfahrern infolge von Übermüdung (vgl. z.B. - VersR 1974, 593 und BGHSt 23, 156).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
AAAAB-99062

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja