BAG Urteil v. - 10 AZR 197/04

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom idF vom und (TV 13. ME/Arb) § 2 Abs. 1; Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin vom (TV Lohn/West) § 2 Abs. 7; Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin vom (TV Lohn/West) § 8

Instanzenzug: ArbG Nienburg 2 Ca 162/03 vom LAG Niedersachsen 3 Sa 1487/03 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des 13. Monatseinkommens des Klägers.

Der Kläger ist Mitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Er trat 1990 als Baufachwerker in die Dienste der Beklagten, die Mitglied im Verband Baugewerblicher Unternehmer Niedersachsen e. V. ist.

Der Kläger war eingruppiert in die Berufsgruppe VI. Aus dem Tarifvertrag zur Regelung der Löhne und Ausbildungsvergütungen im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme der fünf neuen Länder und des Landes Berlin vom (im Folgenden: TV Lohn/West) ergab sich hierfür zuletzt ein Gesamttarifstundenlohn des Klägers von 11,98 Euro brutto.

Seit dem ist der Kläger eingruppiert in die Lohngruppe 1 des TV Lohn/West. Für diese Lohngruppe sieht der Tarifvertrag nunmehr einen Gesamttarifstundenlohn von 10,12 Euro brutto vor. Ein Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) für das Jahr 2002 im Land Niedersachsen ist nicht abgeschlossen worden.

Die Beklagte setzte den Kläger im gesamten Jahr 2002 auf Baustellen in Bremen ein. Sie zahlte ihm durchweg einen Stundenlohn von 12,36 Euro brutto.

Gem. §2 Abs. 1 des Tarifvertrages über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe vom idF vom und (im Folgenden: TV 13. ME/Arb) haben gewerbliche Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis am 30. November des laufenden Kalenderjahres (Stichtag) mindestens zwölf Monate (Bezugszeitraum) ununterbrochen besteht, Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen in Höhe eines Vielfachen ihres in der Lohntabelle ausgewiesenen Gesamttarifstundenlohns. Mit den Lohnzahlungen für die Abrechnungszeiträume November 2002 und April 2003 zahlte die Beklagte an den Kläger in Teilbeträgen von jeweils 450,34 Euro brutto auf der Grundlage dieses Tarifvertrages unter Berücksichtigung von unstreitigen krankheitsbedingten Fehltagen das 89-fache des Stundenlohns von 10,12 Euro brutto.

Mit Schreiben vom machte der Kläger die Berechnung des 13. Monatseinkommens auf der Basis eines Gesamttarifstundenlohns von 12,36 Euro brutto erfolglos geltend.

Mit der am bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger zuletzt noch die Berechnung des 13. Monatseinkommens auf der Basis eines Gesamttarifstundenlohns von 11,98 Euro brutto und die sich daraus ergebenden Differenzbeträge verlangt.

Der Kläger hat geltend gemacht, der bisherige Gesamttarifstundenlohn von 11,98 Euro brutto in der Berufsgruppe VI gemäß dem TV Lohn/West werde durch den Tarifvertrag zur Einführung neuer Lohnstrukturen für die gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes vom (im Folgenden: TV Lohnstrukturen) zu seinen Gunsten besitzstandsgeschützt und sei daher auch der Berechnung des 13. Monatseinkommens zugrunde zu legen.

Der Kläger meint, maßgeblich sei auf den Begriff "Gesamttarifstundenlohn" im TV 13. ME/Arb abzustellen. Es sei nicht richtig, dass der Begriff "Gesamttarifstundenlohn" in § 2 Abs. 1 TV 13. ME/Arb durch den Passus "in der Lohntabelle ausgewiesen" konkretisiert werde. Aus dem Fehlen einer Lohntabelle im Lande Niedersachsen müsste ansonsten gefolgert werden, dass überhaupt kein Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen bestehe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 165,54 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 82,77 Euro brutto seit dem und auf 82,77 Euro brutto seit dem zu zahlen.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, aus dem Fehlen einer dem Tarifvertrag zur Einführung neuer Gehaltsstrukturen für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes vom (im Folgenden: TV Gehaltsstrukturen) entsprechenden Regelung ergebe sich, dass bei der Berechnung des 13. Monatseinkommens für die gewerblichen Arbeitnehmer ausschließlich der neue Gesamttarifstundenlohn der Lohngruppe 1 zugrunde zu legen sei, nämlich 10,12 Euro brutto.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

Gründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat nach dem TV 13. ME/Arb keinen Anspruch auf den geltend gemachten Differenzbetrag.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Worte "in der Lohntabelle ausgewiesenen" in § 2 Abs. 1 TV 13. ME/Arb hätten keine eigenständige Bedeutung. Vielmehr ergebe die Auslegung des Tarifvertrages, dass der Berechnung der für die betreffenden Arbeitnehmer maßgebliche Gesamttarifstundenlohn zugrunde zu legen sei. Aus § 2 Abs. 6 und Abs. 7 TV Lohn/West sei zu entnehmen, dass der Lohnanspruch nicht deshalb entfalle, weil entgegen § 8 dieses Tarifvertrages für Niedersachsen kein Bezirkslohntarifvertrag (Lohntabelle) abgeschlossen worden sei. Die sich aus dem TV Lohn/West ergebenden Löhne seien deshalb auch der Berechnung des 13. Monatseinkommens zugrunde zu legen, wobei allerdings § 3 Abs. 1 TV Lohnstrukturen als lex specialis den maßgeblichen Gesamttarifstundenlohn festlege. Diese Tarifnorm bezwecke, den Besitzstand der betroffenen Arbeitnehmer umfassend und dauerhaft zu schützen. Wenn die Tarifvertragsparteien das 13. Monatseinkommen hiervon hätten ausnehmen wollen, hätte dieser Wille im Wortlaut des Tarifvertrages seinen Niederschlag finden müssen. Für das Auslegungsergebnis spreche zudem, dass gem. § 3 Abs. 1 TV Gehaltsstrukturen sogar der nicht an Tariferhöhungen teilnehmende Ausgleichsbetrag bei der Berechnung des 13. Monatseinkommens mit einfließe.

II. Dem folgt der Senat nicht. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts errechnet sich das dem Kläger zustehende 13. Monatseinkommen nicht nach dem Gesamttarifstundenlohn iSv. § 3 Abs. 1 TV Lohnstrukturen, sondern nach dem Gesamttarifstundenlohn der Lohngruppe 1 gem. § 2 Abs. 7 TV Lohn/West.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die auch das Landesarbeitsgericht nicht in Frage stellt, folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt ( - AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11 mwN; zuletzt - 10 AZR 497/03 -).

2. Dem Landesarbeitsgericht kann nicht darin gefolgt werden, dass den Worten "in der Lohntabelle ausgewiesenen" in § 2 Abs. 1 TV 13. ME/Arb keine eigenständige Bedeutung zukommt. Nach dem systematischen Zusammenhang bezieht sich diese nähere Kennzeichnung des maßgeblichen Gesamttarifstundenlohns auf § 8 TV Lohn/West. Diese Tarifnorm definiert Lohntabellen als Bezirkslohntarifverträge der Landes- bzw. Bezirksorganisationen der Tarifvertragsparteien, die sie für ihr Gebiet nach Maßgabe dieses Tarifvertrages, dh. des TV Lohn/West, zu erstellen verpflichtet sind.

a) Dem Landesarbeitsgericht ist allerdings darin beizupflichten, dass eine Verletzung der Verpflichtung der Landes- bzw. Bezirksorganisationen aus § 8 TV Lohn/West den Lohnanspruch der gewerblichen Arbeitnehmer nicht entfallen lässt. Gemäß § 2 Abs. 7 TV Lohn/West gilt mit Wirkung ab für in die Lohngruppe 1 eingruppierte Arbeitnehmer ein Gesamttarifstundenlohn von 10,12 Euro, soweit sich aus den Bezirkslohntarifverträgen nicht etwas anderes ergibt.

b) Für den Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen gilt nichts anderes. Da für Niedersachsen kein Bezirkslohntarifvertrag abgeschlossen wurde, ist der für die Berechnung des 13. Monatseinkommens am Stichtag 30. November maßgebliche Gesamttarifstundenlohn der Lohngruppe 1 unmittelbar der in § 2 Abs. 7 TV Lohn/West enthaltenen Tabelle zu entnehmen. Danach hat die Beklagte den Anspruch des Klägers auf ein 13. Monatseinkommen voll erfüllt.

3. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts kann für die Berechnung des 13. Monatseinkommens nicht auf den Gesamttarifstundenlohn iSv. § 3 Abs. 1 TV Lohnstrukturen zurückgegriffen werden. Zwar haben die Tarifvertragsparteien die sich aus dieser Bestimmung ergebenden Löhne zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung wird jedoch nicht als "Lohntabelle" bezeichnet. Als "Lohntabellen" werden in § 8 TV Lohn/West eben nur die nach Maßgabe dieses Tarifvertrages zu erstellenden Lohntarifverträge definiert, ohne dass im TV 13. ME/Arb oder im TV Lohn/West auch auf den TV Lohnstrukturen verwiesen wird. Wenn § 2 Abs. 1 TV 13. ME/Arb wegen des maßgeblichen Gesamttarifstundenlohns auf die Lohntabelle abstellt, so bezieht er sich folglich nur auf den TV Lohn/West. Ein etwaiger weitergehender Wille der Tarifvertragsparteien dahin, ggf. auch den Gesamttarifstundenlohn gem. § 3 Abs. 1 TV Lohnstrukturen für die Berechnung des 13. Monatseinkommens heranzuziehen, hat weder im Tarifvertrag 13. ME/Arb noch im TV Lohn/West noch im TV Lohnstrukturen einen Niederschlag gefunden.

4. Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Vergleich mit den Tarifregelungen für Angestellte und Poliere. Dass gem. § 3 Abs. 1 TV Gehaltstrukturen der ggf. zu zahlende Ausgleich in die Berechnungsgrundlage für das 13. Monatseinkommen eingeht, belegt nur, dass den Tarifvertragsparteien die Problematik bekannt war. Aus dieser Regelung kann jedoch nicht geschlossen werden, die Tarifvertragsparteien hätten Entsprechendes für den gem. § 3 Abs. 1 TV Lohnstrukturen garantierten Gesamttarifstundenlohn gewollt, dort als selbstverständlich angesehen und deshalb nicht ausdrücklich geregelt. Es kann ebenso gut sein, dass die Tarifvertragsparteien eine Heranziehung des den gewerblichen Arbeitnehmern in § 3 Abs. 1 TV Lohnstrukturen garantierten Gesamttarifstundenlohns für die Berechnung des 13. Monatseinkommens gerade nicht wollten und deshalb eine § 3 Abs. 1 Satz 4 TV Gehaltsstrukturen entsprechende Regelung unterließen. Möglicherweise sahen sie die Interessen der gewerblichen Arbeitnehmer dadurch als ausreichend gewahrt an, dass deren zur Besitzstandswahrung garantierter Gesamttarifstundenlohn gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 TV Lohnstrukturen an künftigen tariflichen Lohnerhöhungen teilnimmt, während eine Teilnahme des Ausgleichsbetrages für Angestellte und Poliere an tariflichen Gehaltserhöhungen gem. § 3 Abs. 1 Satz 3 TV Gehaltsstrukturen ausdrücklich ausgeschlossen ist. Anhaltspunkte aus der Entstehungsgeschichte der genannten Tarifverträge für das Gegenteil sind weder ersichtlich, noch vom Kläger geltend gemacht worden.

III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




Fundstelle(n):
GAAAB-93487

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