BVerfG Beschluss v. - 2 BvB 1/01, 2 BvB 2/01, 2 BvB 3/01

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BWahlG § 22 Abs. 2 Nr. 5; BWahlG § 46 Abs. 1 Nr. 5;

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom , das Verfahren einzustellen und dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 Abs. 3 EGV (jetzt: Art. 234 EGV) zur Klärung folgender Fragen vorzulegen:

Folgt im Hinblick auf die Ziele der Gemeinschaft - insbesondere im Hinblick auf den Entschluss der in der Europäischen Union vereinigten Staaten, mit dem Vertrag von Maastricht den Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben - durch eine sinnentsprechende Auslegung des Gemeinschaftsrechts,

- aus dem Bekenntnis zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit (vgl. Präambel zum "Vertrag über die Europäische Union"),

- aus dem Grundsatz, dass das Europäische Parlament aus den Vertretern der Völker besteht (Art. 137 EGV <jetzt: Art. 189 EGV>),

- aus dem Grundsatz, dass die Abgeordneten der Völker im Europäischen Parlament in allgemeiner, unmittelbarer Wahl gewählt werden (Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung Artikel 1),

- aus dem Grundsatz, dass bis zum Inkrafttreten eines einheitlichen Wahlverfahrens sich das Wahlverfahren in jedem Mitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vorschriften bestimmt (Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten der Versammlung Artikel 7 Absatz 2),

- aus dem Grundsatz, dass innerstaatliches Recht nicht einschränkend in gemeinschaftsrechtliche Rechtsinstitute eingreifen kann,

- aus dem Grundsatz, dass politische Parteien auf europäischer Ebene wichtig sind als Faktor der Integration in der Union und dazu beitragen, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger in der Union zum Ausdruck zu bringen (Art. 138a EGV <jetzt: Art. 191 EGV>),

dass eine politische Partei, die nicht nur an den Wahlen zur Bildung des Parlaments in einem Mitgliedstaat, sondern in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht auch an den Wahlen für das Europaparlament teilnimmt, nicht von einem Mitgliedstaat verboten werden kann?

Zur Begründung führt die Antragsgegnerin aus, sie habe sich als politische Partei 1984, 1994 und 1999 an den Wahlen zum Europäischen Parlament beteiligt und dabei 0,8%, 0,2% und 0,2% der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Sie beabsichtige, auch künftig an Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen. Dies würde ihr durch das beantragte Parteiverbot verwehrt.

Aus den in der Vorlagefrage aufgezeigten Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts - insbesondere aus Art. 137 EGV (jetzt: Art. 189 EGV) und Art. 138a EGV (jetzt: Art. 191 EGV) i.V.m. dem Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom (DWA; Beschluss zum Akt vom , ABlEG 1976 Nr. L 278/1; BGBl 1977 II S. 734) - ergebe sich der gemeinschaftsrechtliche Rahmen für die Organisation demokratisch verantwortlicher Politik im EU-Raum. Ein europarechtliches Parteienrecht sei bereits deshalb vorhanden, weil das Vertragswerk die Teilnahme von Parteien an der Bildung des Europäischen Parlaments voraussetze und folglich die entsprechende Tätigkeit der Parteien im Gemeinschaftsrecht die normative Grundlage habe.

Das Verbot einer nationalen Partei beeinträchtige die Möglichkeiten politischer Parteien anderer Mitgliedstaaten und der entsprechend ausgerichteten Fraktionsgemeinschaft im Europäischen Parlament. Dies verletze den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit.

II.

Der Deutsche Bundestag hat zu dem Aussetzungsantrag der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom Stellung genommen.

III.

1. Die Voraussetzungen für die Vorlage auf Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 1 Buchstabe a EGV liegen nicht vor. Fragen der Auslegung von vertraglichem Gemeinschaftsrecht bedürfen keiner Klärung.

Eine Zuständigkeit zur Regelung des Rechts der politischen Parteien hat die Gemeinschaft nach geltendem Vertragsrecht nicht. Das Gemeinschaftsrecht beschränkt sich auf die Regelung des Art. 191 EGV. Diese Vorschrift bestimmt:

"Politische Parteien auf europäischer Ebene sind wichtig als Faktor der Integration in der Union. Sie tragen dazu bei, ein europäisches Bewusstsein herauszubilden und den politischen Willen der Bürger der Union zum Ausdruck zu bringen."

Die Norm erkennt die Funktion der politischen Parteien auf europäischer Ebene im Prozess der europäischen Integration an und ist insoweit die Grundlage für die Bildung von gemeinsamen Fraktionen der als Mitglieder bestimmter nationaler Parteien gewählten Abgeordneten im Europäischen Parlament.

Eine Aussage dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine politische Partei durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union verboten werden kann, enthält das Gemeinschaftsrecht nicht. Die Beteiligung einer Partei auf mitgliedstaatlicher Ebene an einer Wahl zum Europäischen Parlament wirft keine gemeinschaftsrechtlichen Fragen auf. Regelung und Durchführung einer solchen Wahl sind nach Art. 190 EGV i.V.m. Art. 7 Abs. 2 DWA Sache der Mitgliedstaaten. Es fällt folglich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten darüber zu entscheiden, welche Parteien sich an der Wahl beteiligen dürfen. Das folgt auch aus Art. 12 Abs. 2 DWA der das Freiwerden eines Mandats im Europäischen Parlament auf Grund des innerstaatlichen Rechts regelt. Zu den den Staaten bei Beschluss des Direktwahlakts bekannten Gründen für den Verlust des Mandats gehört auch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei. Folglich normiert § 22 Abs. 2 Nr. 5 des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung der Bekanntmachung vom (Europawahlgesetz - EuWG; BGBl I S. 423, ber. S. 555) entsprechend § 46 Abs. 1 Nr. 5 BWahlG, dass ein Abgeordneter die Mitgliedschaft im Europäischen Parlament bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei des Abgeordneten durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG verliert.

Allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechtsschutz begründen entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ebenfalls keine vorlagefähige Frage. Die Anwendbarkeit dieser Grundsätze setzt voraus, dass entweder die Gemeinschaft selbst oder aber ein Mitgliedstaat im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts tätig wird. Eine allgemeine Bindung der Mitgliedstaaten an die konstitutionellen Vorschriften des Unions- und Gemeinschaftsrechts besteht nicht (stRspr; vgl. , Slg. 1991, I-2925; vgl. auch Art. 51 Charta der Grundrechte der EU).

2. Auch eine Vorlage gemäß Art. 234 Abs. 1 Buchstabe b EGV wäre unzulässig. Danach entscheidet der Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die "Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft". Insoweit käme allein der genannte Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Betracht. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine auf der Grundlage vertraglicher Ermächtigung ergangene Handlung der Organe der Gemeinschaft, sondern um einen ratifizierungsbedürftigen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des EG-Vertrags (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom , Rs. 24833/94, Matthews gegen Vereinigtes Königreich Rn. 31 ff.).

3. Eine Vorlage gemäß Art. 68 Abs. 1 EGV kommt nicht in Betracht, weil die zur Entscheidung stehenden Fragen nicht den freien Personenverkehr im Sinne der Art. 61 ff. EGV berühren.

4. Eine Vorlage zum Recht des Vertrags über die Europäische Union gemäß Art. 46 EUV in Verbindung mit Art. 234 EGV wäre ebenfalls nicht zulässig. Insoweit kommt nur Art. 46 Buchstabe d EUV in Betracht. Danach gelten die Bestimmungen des Art. 234 EGV nur für die Vorschriften des Art. 6 Abs. 2 EUV und dies nur in Bezug auf Handlungen der Organe. Bei dem hier in Frage stehenden Verfahren auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG stehen jedoch Handlungen des Europäischen Rates oder der Europäischen Gemeinschaftsorgane nicht in Rede. Soweit der Vertrag über die Europäische Union gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV gegebenenfalls materielle Anforderungen an die mitgliedstaatlichen verfassungsmäßigen Ordnungen auch für die Parteiverbote ergeben sollte, schiede eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof demnach bereits deswegen aus, weil der Gerichtshof für die Auslegung der Vorschrift insoweit nicht zuständig ist.

Fundstelle(n):
DAAAB-86266