BFH Beschluss v. - V B 195/04

Antragsfrist auf Vorsteuervergütung mit EU-Recht vereinbar

Leitsatz

Die Vorschriften des § 69 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993, § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG entsprechen den zwingenden Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG. Die Antragsfrist von sechs Monaten verstößt weder gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gem. Art. 12 EG noch gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nach Art. 17 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Åber die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) erfolgen die dort genannten Mehrwertsteuererstattungen an nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige entsprechend den in der Achten Richtlinie 79/1072/EWG festgelegten Bestimmungen. Daraus ergibt sich zwingend, dass die Verfahrensbestimmungen der Achten Richtlinie 79/1072/EWG mit Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG grundsätzlich vereinbar sind. Dies gilt auch für die Antragsfrist des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG. Die Belastungsneutralität der Umsatzsteuer wird dadurch nicht angetastet.

Gesetze: UStG § 18 Abs. 9; UStDV § 69

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist in Großbritannien ansässig und veranstaltet Seminare.

Im Mai 1995 beantragte sie die Genehmigung eines Formulars für den Antrag auf Vergütung der Umsatzsteuer für nicht im Inland ansässige Unternehmen, das von dem amtlichen Formular abwich. Nach weiterem Schriftverkehr wurde der Klägerin am ein abweichendes Formular genehmigt.

Unter Verwendung dieser Vordrucke beantragte die Klägerin am die Vergütung der Umsatzsteuer für sämtliche Quartale des Jahres 1994.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Bundesamt für Finanzen —BfF—) lehnte die Vergütung wegen Versäumung der Sechsmonatsfrist des § 61 Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (UStDV 1993) ab (Vergütungsbescheide vom ). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährte das BfF nicht.

Die Einsprüche und die nachfolgende Klage hatten keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Beschwerde, die sie auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt.

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO setzt eine klärungsbedürftige und im Revisionsverfahren klärbare Rechtsfrage voraus. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sich ihre Beantwortung ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt oder die Frage bereits durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den Bundesfinanzhof (BFH) erforderlich machen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 182, 430, BStBl II 1997, 443).

2. Die von der Klägerin in der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfragen sind nicht klärungsbedürftig; jedenfalls hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargelegt.

a) Durch die Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass die Antragsfrist des § 69 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993 bzw. des an seine Stelle getretenen § 18 Abs. 9 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) den zwingenden Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 79/1072/EWG - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften —ABlEG— Nr. L 331/11, im Folgenden: Achte Richtlinie 79/1072/EWG) entspricht (vgl. zuletzt , BFH/NV 2005, 1206).

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist durch den BFH nicht zu prüfen, ob die Antragsfrist des § 69 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1993 bzw. § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG mit dem primären Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist nämlich eine nationale Maßnahme in einem Bereich, der auf Gemeinschaftsebene harmonisiert wurde, anhand der Bestimmungen dieser Harmonisierungsmaßnahme und nicht der des Primärrechts zu beurteilen ( —Vanacker und Lesage—, Slg. 1993, I-4947, RandNr. 9; vom Rs. C-324/99 —Daimler Chrysler AG—, Slg. 2001, I-9897, RandNr. 32; ).

c) Im Übrigen verstößt die Antragsfrist von sechs Monaten weder gegen das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gemäß Art. 12 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG, früher Art. 6 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft) noch gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1206).

d) Nach Art. 17 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) erfolgen die dort genannten Mehrwertsteuererstattungen an nicht im Inland, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige entsprechend den in der Achten Richtlinie 79/1072/EWG festgelegten Bestimmungen. Daraus ergibt sich zwingend, dass die Verfahrensbestimmungen der Achten Richtlinie 79/1072/EWG mit Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG grundsätzlich vereinbar sind. Dies gilt auch für die Antragsfrist des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG. Die Belastungsneutralität der Umsatzsteuer wird dadurch nicht angetastet.

e) Nach Art. 234 EG hat ein einzelstattliches Gericht von Amts wegen und in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob eine Vorabentscheidung des EuGH zur Beantwortung entscheidungserheblicher Fragen erforderlich ist (vgl. z.B. —Adam—, EuGHE 2001, I-7467 Rz. 23). Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG nach seinem eindeutigen Inhalt („spätestens”) eine Fristverlängerung ausschließt (z.B. Urteile vom V R 76/98, BFHE 190, 239, BStBl II 2000, 214; vom V R 49/01, BFH/NV 2004, 673). Selbst wenn einige Mitgliedstaaten der EG die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG nicht in ihr innergemeinschaftliches Recht umgesetzt haben oder eine Verlängerung der Halbjahresfrist für möglich halten, folgt daraus nicht, dass die Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG die Mitgliedstaaten nicht bindet oder vom Senat unzutreffend interpretiert worden ist und es deshalb einer erneuten Entscheidung des BFH bedarf.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 2064 Nr. 11
GAAAB-66073