BGH Urteil v. - I ZR 93/21

Irreführende Bewerbung einer Kindermilch mit Aussage "7 x mehr Vitamin D"; Verknüpfung mehrerer Verletzungsformen durch "und/oder" in Klageantrag - 7 x mehr

Leitsatz

7 x mehr

1. Für die Feststellung, welches Verständnis eine mit einem Unterlassungsantrag angegriffene Werbeanzeige und etwaige dort getroffene Werbeaussagen bei dem angesprochenen Verkehr erwecken, ist der Gesamteindruck zu würdigen, den die Werbung vermittelt, und nicht isoliert auf einzelne Elemente derselben abzustellen (st. Rspr.; vgl. nur , juris Rn. 18 - Webshop Awards, mwN).

2. Ein Unterlassungsantrag, in dem mehrere Verletzungsformen durch die Formulierung "und/oder" miteinander verknüpft sind, ist nur dann in vollem Umfang begründet, wenn hinsichtlich aller damit beanstandeter Handlungsformen sowohl in ihrer Kombination als auch für sich genommen ein Unterlassungsanspruch besteht. Sieht ein Gericht nur eine von mehreren miteinander verbundenen Verletzungsformen als irreführend an, rechtfertigt dies nicht eine Abweisung des gesamten Unterlassungsantrags, sondern nur dessen teilweise Abweisung.

Gesetze: § 3a UWG, § 5 Abs 1 UWG, Art 3 UAbs 2 Buchst a EGV 1924/2006, Art 3 UAbs 2 Buchst d EGV 1924/2006, Art 2 Abs 2 EUV 1169/2011, Art 7 Abs 1 EUV 1169/2011

Instanzenzug: Az: 29 U 3902/20vorgehend LG München I Az: 39 O 15946/19 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger ist der Dachverband aller 16 Verbraucherzentralen und weiterer verbraucherorientierter Organisationen in Deutschland. Die Beklagte ist ein Lebensmittelunternehmen. Sie vertreibt unter anderem die Produkte "H.  Kindermilch COMBIOTIK ab 1+ Jahr" und "H.  Kindermilch COMBIOTIK ab 2+Jahr". Diese Produkte bewarb die Beklagte mit einem auf ihrer Webseite abrufbaren Werbespot mit den Angaben "7 x mehr brauchst du als ich, wirst groß, gesund - ganz sicherlich" und "7 x mehr Vitamin D, starke Knochen bis zum Zeh …", wie aus der nachfolgend wiedergegebenen Anlage K1 ersichtlich:

2Beim Anklicken des dort jeweils blau hervorgehobenen Kästchens öffnete sich eine Seite, auf der sich die Erläuterung befand: "Kleinkinder benötigen bis zu 3 x mehr Calcium und sogar 7 x mehr Vitamin D als Erwachsene pro kg Körpergewicht".

3Ebenfalls im Zusammenhang mit diesen Produkten befand sich auf der Webseite der Beklagten unter der Überschrift "Ernährung" die Angabe "Darum benötigt Ihr Kind 7 x mehr Vitamin D als ein Erwachsener - Erfahren Sie mehr über Vitamin D und den Einfluss auf das Immunsystem und den Knochenaufbau", wie aus der nachstehend abgebildeten Anlage K2 zu ersehen:

4Schließlich war - wie in der nachfolgend abgebildeten Anlage K3 wiedergegeben - jeweils auf einer Schmalseite der Produktverpackungen unter anderem die Angabe abgedruckt "In der Zusammensetzung von H.   KindermilchCOMBIOTIK® wird berücksichtigt, dass ein Kleinkind durchschnittlich 3 x mehr Calcium1 und 7 x mehr Vitamin D1 als ein Erwachsener benötigt". Weiter unten befand sich die Angabe "1 Mehrbedarf an Nährstoffen Kleinkinder vs. Erwachsene pro kg KG (EFSA 2013, Männer 80 kg, Kleinkinder 12 kg)".

5Der Kläger mahnte die Beklagte wegen dieser Angaben erfolglos ab. Mit seiner daraufhin erhobenen Klage hat er mit dem Klageantrag zu I beantragt, der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verbieten,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen für die Produkte "H.   Kindermilch COMBIOTIK ab 1+ Jahr" und "H.   Kindermilch COMBIOTIK ab 2+ Jahr" mit den Angaben zu werben bzw. werben zu lassen:

1. "7 x mehr brauchst Du als ich, wirst groß, gesund - ganz sicherlich"

und/oder

"7 x mehr Vitamin D, starke Knochen bis zum Zeh",

sofern dies geschieht wie in Anlage K1 wiedergegeben

und/oder

2. "Darum benötigt Ihr Kind 7 x mehr Vitamin D als ein Erwachsener - Erfahren Sie mehr über Vitamin D und den Einfluss auf das Immunsystem und den Knochenaufbau",

sofern dies geschieht wie in Anlage K2 wiedergegeben;

und/oder

3. "In der Zusammensetzung von H.   Kindermilch COMBIOTIK wird berücksichtigt, dass ein Kleinkind durchschnittlich 3 x mehr Calcium1 und 7 x mehr Vitamin D1 als ein Erwachsener benötigt",

sofern dies geschieht wie in Anlage K3 wiedergegeben.

6Außerdem hat er eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 214 € beantragt (Klageantrag zu II).

7Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Gründe

8A. Das Berufungsgericht hat die Klage insgesamt für unbegründet erachtet.

9Zum Klageantrag zu I 1 hat es sich auf den Standpunkt gestellt, es sei keine falsche, mehrdeutige oder irreführende Angabe gemäß Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel gegeben. Das vom Kläger behauptete Verkehrsverständnis, wonach die von einem Kind benötigte Menge an Vitamin D absolut sieben Mal höher sei als bei einem Erwachsenen und das so konzipierte Produkt deshalb besonders werthaltig sei, lasse sich den "isoliert und nur auf Anlage K1 bezogenen Äußerungen" nicht entnehmen. Eine Verletzung von Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 liege ebenfalls nicht vor, weil nicht suggeriert werde, dass eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung für Kinder nicht die erforderliche Menge an Nährstoffen liefern könne. Auch gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel oder gegen § 5 UWG sei nicht verstoßen worden.

10Im Hinblick auf den Klageantrag zu I 2 hat das Berufungsgericht das Vorliegen einer mehrdeutigen oder irreführenden nährwertbezogenen Angabe im Sinne von Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 ebenfalls verneint. Es fehle bereits an einer nährwertbezogenen Angabe. Da der Kläger nicht dargelegt habe, dass die beanstandeten Äußerungen solche über Lebensmittel seien, scheide auch ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 aus. Eine Irreführung in Sinne von § 5 UWG könne ebenfalls nicht angenommen werden.

11Auch den Klageantrag zu I 3 hat das Berufungsgericht für unbegründet erachtet. Die beanstandete Äußerung, dass in der Zusammensetzung der beworbenen Kindermilch das weiter in der Äußerung Aufgeführte berücksichtigt worden sei, könne bereits deswegen nicht als falsch, mehrdeutig oder irreführend im Sinne von Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 angesehen werden, weil sich weder dem klägerischen Vorbringen noch den Feststellungen des Landgerichts entnehmen lasse, dass und inwieweit die Zusammensetzung des Produkts falsch, mehrdeutig oder irreführend dargestellt worden wäre. Ein Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 sei nicht gegeben, weil die beanstandete Aussage keinerlei Bezug zu einer Ernährung ohne das Produkt erkennen lasse. Auch ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 oder gegen § 5 UWG liege nicht vor.

12B. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

13I. Der Klageantrag zu I 1 kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht abgewiesen werden.

141. Das Berufungsgericht hat angenommen, aufgrund der Verknüpfung der mit dem Klageantrag zu I 1 angegriffenen Aussagen mit "und/oder" könne das vom Landgericht antragsgemäß ausgesprochene Verbot nur dann Bestand haben, wenn jede der beiden Aussagen für sich genommen irreführend im Sinne von Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 sei. Dies sei aber nicht der Fall. Die Auffassung des Landgerichts, wonach der Verkehr die Aussagen dahingehend verstehe, dass ein Kind in der Gesamtmenge sieben Mal mehr Vitamin D brauche als ein Erwachsener, werde nicht geteilt. Die Aussage "7 x mehr brauchst du als ich, wirst groß, gesund - ganz sicherlich" lasse nicht erkennen, wer von was sieben Mal mehr brauche als wer, um ganz sicherlich groß und stark zu werden. Nichts Anderes gelte in Bezug auf die Aussage "7 x mehr Vitamin D, starke Knochen bis zum Zeh". Zwar sei hier die Rede von einem Siebenfachen an Vitamin D; von Kindern einerseits und Erwachsenen andererseits wie auch von einem etwaigen Bedarf an Vitamin D sei in dieser Aussage jedoch nichts enthalten. Auch die Kombination beider Aussagen führe bei der gebotenen Betrachtung allein des Inhalts der Anlage K1 nicht zu dem vom Landgericht angenommenen Verkehrsverständnis. Dass durch "du" und "ich" ein Vergleich zwischen Kindern und Erwachsenen im Allgemeinen hergestellt werde und deshalb ein genereller Bedarfsvergleich angestellt werden solle, könne nicht erkannt werden. Um zu diesem Verständnis zu gelangen, seien weitere Informationen erforderlich.

15Ein Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 ergebe sich auch nicht im Hinblick auf die dort genannten weiteren Tatbestandsalternativen "falscher" oder "mehrdeutiger" Angaben. Eine Verurteilung dürfe nur auf diejenigen Gesichtspunkte gestützt werden, die der Kläger schlüssig vorgetragen habe. Es sei daher nur zu beurteilen, ob das vom Kläger behauptete Verständnis der beanstandeten Aussagen zutreffe, nicht aber, ob ein anderes, nicht vom Kläger behauptetes Verkehrsverständnis vorliege, das dann auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen wäre. Der Kläger habe in Bezug auf die Anlage K1 geltend gemacht, die Werbung sei irreführend, weil nicht deutlich werde, dass ein Kind im Vergleich zu einem Erwachsenen sieben Mal mehr Vitamin D pro Kilogramm Körpergewicht benötige und nicht bezogen auf die Gesamtmenge an Vitamin D; der durchschnittlich informierte Verbraucher verstehe die Angaben dahingehend, dass die vom Kind benötigte Menge an Nährstoffen absolut sieben Mal höher sei als bei einem Erwachsenen und das Produkt deshalb besonders werthaltig sei. Ein derartiges Verständnis lasse sich den "isoliert und nur auf Anlage K1 bezogenen Äußerungen" jedoch nicht entnehmen.

16Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 könne nicht erkannt werden. Da es um ein Nahrungsmittel für Kinder gehe, könne dieser nur dann vorliegen, wenn die Angaben als nährwert- oder gesundheitsbezogene Angaben anzusehen wären und sie suggerieren würden, dass eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung für Kinder nicht die erforderliche Menge an Nährstoffen liefern könne. Dass eine derartige Annahme durch die Angaben hervorgerufen werde, behaupte indes weder der Kläger, noch lasse sich dies den Ausführungen des Landgerichts entnehmen.

17Da eine Irreführung nicht festgestellt werden könne, scheide auch ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 und gegen § 5 UWG aus.

182. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

19a) Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Irreführung im Sinne von Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 nicht verneint werden.

20aa) Nach Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 dürfen nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend sein. Wer eine geschäftliche Handlung vornimmt, die gegen diese Vorschrift verstößt, kann gemäß § 3 Abs. 1, §§ 3a, 8 Abs. 1 UWG auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG dar, deren Missachtung geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen (zu Art. 10 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 der Verordnung [EG] Nr. 1924/2006 vgl. , GRUR 2013, 958 [juris Rn. 22] = WRP 2013, 1179 - Vitalpilze; zu Art. 10 der Verordnung [EG] Nr. 1924/2006 vgl. , GRUR 2016, 1200 [juris Rn. 12] = WRP 2016, 1359 - Repair-Kapseln, jeweils mwN). Es handelt sich um eine spezielle Vorschrift für die Verwendung nährwertbezogener und gesundheitsbezogener Angaben bei Lebensmitteln, durch die die allgemeinen Regelungen über den Täuschungsschutz in der Richtlinie 2000/13/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (jetzt Verordnung [EU] Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel; Art. 7 Abs. 1 der Verordnung [EU] Nr. 1169/2011) und der Richtlinie 84/450/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (jetzt Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung; § 5 Abs. 1 UWG) nicht verdrängt, sondern ergänzt werden (vgl. , GRUR 2015, 403 [juris Rn. 18] = WRP 2015, 444 - Monsterbacke II).

21bb) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Berufungsgericht zugrunde gelegt, dass von einer Irreführung auszugehen ist, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (zu § 5 Abs. 1 UWG vgl. , GRUR 2020, 1226 [juris Rn. 14] = WRP 2020, 1426 - LTE-Geschwindigkeit; Urteil vom - I ZR 203/20, juris Rn. 18 - Webshop Awards, jeweils mwN). Hierfür ist nach Erwägungsgrund 16 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 entscheidend, in welchem Sinne der normal informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher die Angaben über Lebensmittel versteht (vgl. dazu auch , GRUR 2014, 1013 [juris Rn. 24] = WRP 2014, 1184 - Original Bach-Blüten). Die Ermittlung der Verkehrsauffassung unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung dahingehend, ob das Berufungsgericht den Tatsachenstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft hat und die Beurteilung mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen in Einklang steht (st. Rspr.; vgl. , BGHZ 231, 87 [juris Rn. 44] - Influencer II, mwN).

22cc) Das Berufungsgericht hat das für die Feststellung einer Irreführung maßgebliche Verkehrsverständnis von der angegriffenen Werbung fehlerhaft ermittelt, indem es sich ausschließlich mit dem Wortlaut der mit dem Klageantrag zu I 1 beanstandeten Aussagen befasst und die übrigen Merkmale der Werbung nicht berücksichtigt hat.

23(1) Gegenstand des mit der Klage geltend gemachten Unterlassungsantrags ist die konkrete Verletzungsform. Nimmt ein Klageantrag mit einem Vergleichspartikel ("wie geschehen …") oder - wie im Streitfall - mit einem entsprechenden Konditionalsatz ("wenn/sofern dies geschieht wie …") unmittelbar auf die beanstandete Anzeige Bezug, deutet dies darauf hin, dass eine konkrete Werbeanzeige untersagt werden soll, die neben den im Antrag umschriebenen Merkmalen noch eine Reihe weiterer Eigenschaften aufweist (vgl. auch , GRUR 2011, 742 [juris Rn. 17] = WRP 2011, 873 - Leistungspakete im Preisvergleich, mwN). Für die Feststellung, welches Verständnis die im Klageantrag in der geschilderten Weise in Bezug genommene Werbeanzeige und etwaige dort getroffene Werbeaussagen bei dem angesprochenen Verkehr erwecken, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Gesamteindruck der Werbung zu würdigen und nicht lediglich auf einzelne Elemente derselben abzustellen (vgl. , GRUR 2010, 352 [juris Rn. 11] = WRP 2010, 636 - Hier spiegelt sich Erfahrung; Urteil vom - I ZR 104/10, GRUR 2012, 942 [juris Rn. 16] = WRP 2012, 1094 - Neurologisch/Vaskuläres Zentrum; Urteil vom - I ZR 203/20, juris Rn. 18 - Webshop Awards, jeweils mwN).

24(2) Das Berufungsgericht hat unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger nach diesen Maßstäben mit seinem Klageantrag zu I 1 die Aussagen "7 x mehr brauchst du als ich …" und "7 x mehr Vitamin D …" ausweislich der im Antrag verwendeten Formulierung "sofern dies geschieht wie" als Bestandteil einer Werbung in dem Gesamtzusammenhang angegriffen hat, wie er sich aus der Anlage K1 ergibt. Es hat sich bei der Feststellung, wie der Verkehr die vom Kläger angegriffene Werbung wahrnimmt, darauf beschränkt, den Wortlaut der im Klageantrag wiedergegebenen Aussagen zu betrachten und ist auf die weiteren Elemente der Werbung, wie sie aus der Anlage K1 ersichtlich sind, nicht eingegangen.

25Das Berufungsgericht hat sich beispielsweise nicht damit befasst, dass die beiden Werbeaussagen jeweils unmittelbar über einer Abbildung der beiden damit beworbenen Kindermilch-Erzeugnisse platziert sind. Es hat sich daher auch nicht damit auseinandergesetzt, ob sich möglicherweise bereits hieraus der vom Berufungsgericht vermisste Bezug zu den mit "du" und "ich" angesprochenen Personen sowie zu einem angeblich siebenfachen Bedarf an Vitamin D ergibt.

26Ebenfalls nicht berücksichtigt hat das Berufungsgericht, dass sich unter den streitgegenständlichen Aussagen und den Abbildungen des beworbenen Kindermilch-Produkts ausweislich der Anlage K1 die Schriftzeile "Expertengespräch: Warum benötigt ein Kind 7 x mehr Vitamin D als ein Erwachsener?" befindet. Die Revision betont außerdem, dass auf der rechts abgebildeten Verpackung zentral die Angabe "mit viel Vitamin D" aufgedruckt sei und auf beiden Verpackungen ein Symbol, das auf den Bestandteil Vitamin D hinweise.

27Da das Berufungsgericht sich mit diesen Elementen der Werbung nicht befasst hat, konnte es sich auch nicht die Frage stellen, ob der Verkehr - wie die Revision meint - die in der Anlage K1 abgebildete Werbung bei einer Gesamtbetrachtung nur dahingehend verstehen kann, dass die Beklagte suggeriert, Kinder hätten gegenüber Erwachsenen in der Gesamtmenge einen siebenfachen Bedarf an Vitamin D.

28(3) Zwar hat das Berufungsgericht nicht dargelegt, dass und gegebenenfalls warum es auf diese über den Wortlaut der im Klageantrag wiedergegebenen Aussagen hinausgehenden Elemente der Werbung aus seiner Sicht nicht ankommt. Allerdings hat es ausdrücklich auf die vorgenommene "isolierte Betrachtung" der Worte "du" und "ich" hingewiesen und - im Rahmen der Prüfung der weiteren Tatbestandsalternativen des Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 - auf die "isoliert und nur auf Anlage K1 bezogenen Äußerungen" abgestellt, denen sich das vom Kläger behauptete, eine Irreführung begründende Verkehrsverständnis nicht entnehmen lasse. Diese Formulierungen weisen in Zusammenschau mit der Berücksichtigung ausschließlich des Wortlauts der beiden Äußerungen darauf hin, dass das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist, in einem Fall wie dem vorliegenden sei für die Feststellung des Verkehrsverständnisses grundsätzlich allein auf die im Unterlassungsantrag wiedergegebenen Aussagen abzustellen, während alle sonstigen Merkmale der Werbung außer Betracht zu bleiben hätten.

29(4) Sollte das Berufungsgericht der Ansicht sein, die vorgenommene, allein vom Wortlaut ausgehende Ermittlung des Verkehrsverständnisses entspreche den Vorgaben der Senatsentscheidung "Tiegelgröße" (, GRUR 2018, 431 [juris Rn. 16] = WRP 2018, 413), ginge dies fehl. Zwar hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt, dass das Gericht danach eine Verurteilung nur auf diejenigen Irreführungsgesichtspunkte stützen darf, die der Kläger schlüssig vorgetragen hat. Warum es ausgehend davon zu dem Schluss gekommen ist, auf Basis des klägerischen Vorbringens lasse sich nicht beurteilen, ob die angegriffenen Aussagen irreführend, falsch oder mehrdeutig seien, erschließt sich aber nicht. Nach seinem im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegebenen Vorbringen macht der Kläger geltend, die Beklagte erwecke mit den "vorstehenden Angaben" den Eindruck, ein Kind benötige in der Gesamtmenge sieben Mal mehr Vitamin D als ein Erwachsener. Bei den "vorstehenden Angaben" handelt es sich um die zuvor im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegebenen Anlagen K1 bis K3. Auch in seinem Klageantrag zu I 1 nimmt der Kläger ausdrücklich auf die als Anlage K1 vorgelegte konkrete Werbeanzeige (und nicht allein auf die dort getroffenen Aussagen) Bezug. Bereits hieraus ergibt sich hinreichend deutlich, dass der Kläger die in der Anlage K1 wiedergegebene Werbung in ihrer Gesamtheit angreifen möchte und die behauptete Irreführung nicht lediglich auf einzelne Elemente derselben stützt.

30(5) Sollte das Berufungsgericht nicht von der unzutreffenden Annahme ausgegangen sein, wonach es in Fällen wie dem vorliegenden für die Ermittlung des Verkehrsverständnisses grundsätzlich allein auf den Wortlaut der im Unterlassungsantrag aufgeführten Aussagen ankommt, beruht die angegriffene Entscheidung - wie die Revision zutreffend geltend macht - auf einer unvollständigen Würdigung des Tatsachenstoffs, weil das Berufungsgericht unter Außerachtlassung von § 286 Abs. 1 ZPO nicht alle maßgeblichen Umstände in seine Erwägungen einbezogen hat.

31b) Soweit das Berufungsgericht einen Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 verneint hat, weist diese Beurteilung keine Rechtsfehler auf.

32Nach Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. d Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/C2006 dürfen nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben nicht erklären, suggerieren oder auch nur mittelbar zum Ausdruck bringen, dass eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung generell nicht die erforderlichen Mengen an Nährstoffen liefern kann.

33Bereits nach dem Wortlaut der Norm sind Angaben nicht erfasst, die lediglich eine Ernährungssituation darstellen, ohne damit zum Ausdruck zu bringen, dass die Ernährung generell nicht die erforderlichen Mengen an Nährstoffen liefern kann (vgl. Rathke/Hahn in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 180. EL [Stand Juli 2021], VO [EG] 1924/2006 Art. 3 Rn. 22a).

34Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts suggerieren die angegriffenen Aussagen nicht, eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung für Kinder könne nicht die erforderlichen Mengen an Nährstoffen liefern, und lässt sich hierzu auch dem Klagevorbringen und den Ausführungen des Landgerichts nichts entnehmen. Diese auf tatrichterlichem Gebiet liegende Würdigung des Berufungsgerichts ist nicht zu beanstanden.

35Soweit die Revision geltend macht, die Ansicht des Berufungsgerichts beruhe auf der fehlerhaften Annahme, die Verbraucher stellten keinen Zusammenhang zwischen der normalen Ernährung eines Erwachsenen und einem angeblich siebenfachen Nährstoffbedarf bei Kindern her, geht dies an der Begründung des Berufungsgerichts vorbei.

36c) Da die Verneinung einer Irreführung durch das Berufungsgericht wie zuvor (unter Rn. 19 bis 30) dargelegt rechtsfehlerhaft ist, kann das angegriffene Urteil auch insoweit keinen Bestand haben, als das Berufungsgericht mit derselben Begründung einen Verstoß gegen die Irreführungsverbote des Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 und des § 5 Abs. 1 UWG abgelehnt hat.

37II. Die Beurteilung, dem Kläger stehe der mit dem Klageantrag zu I 2 geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu, kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung ebenfalls keinen Bestand haben.

381. Das Berufungsgericht hat hierzu im Wesentlichen ausgeführt, es folge nicht der Ansicht des Landgerichts, wonach die Aussage auf der Webseite ohne Aufklärung über die Bezugsgröße eine mehrdeutige und irreführende Angabe im Sinne von Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 sei. Es lasse sich weder dem Vortrag des Klägers noch den Feststellungen des Landgerichts entnehmen, dass die streitgegenständliche Aussage als nährwertbezogene Angabe anzusehen wäre, die zudem irreführend oder mehrdeutig wäre. Aus dem klägerischen Vortrag ergebe sich nicht, welchen Inhalt der angesprochene Verkehr der beanstandeten Aussage im Hinblick auf den Nährwert des Produkts entnehme. Auch soweit der Kläger behaupte, der Verbraucher verstehe die beanstandete Angabe "Darum benötigt ihr Kind 7 x mehr Vitamin D als ein Erwachsener - Erfahren Sie mehr über Vitamin D und den Einfluss auf das Immunsystem und den Knochenaufbau" dahingehend, dass die vom Kind benötigte Menge an Nährstoffen absolut sieben Mal höher sei als bei einem Erwachsenen und deshalb das so konzipierte Produkt der Beklagten besonders werthaltig sei, lege er nicht dar, welche besonderen Nährwerteigenschaften dem Produkt zugeschrieben würden. Dies sei auch nicht obsolet. Erblicke der angesprochene Verkehr - was naheliegend sei - die besondere Werthaltigkeit darin, dass das beworbene Produkt den (tatsächlichen) Bedarf eines Kindes an Vitamin D decke, sei dieses Verständnis auch nach dem klägerischen Sachvortrag nicht falsch, so dass eine Irreführung oder Mehrdeutigkeit nicht erkannt werden könne.

39Da es an einer Darlegung des Klägers fehle, dass die Äußerungen der Beklagten solche über Lebensmittel seien, scheide auch ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 aus. Es lasse sich dem klägerischen Vorbringen nicht entnehmen, welche konkreten Eigenschaften der Verkehr dem Produkt zumesse. Auch könne keine Diskrepanz zwischen einem derartigen produktbezogenen Verkehrsverständnis einerseits und der Realität andererseits festgestellt werden. Eine Irreführung nach § 5 UWG scheide daher ebenfalls aus.

402. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

41a) Mit der Begründung des Berufungsgerichts, der Kläger habe nicht dargelegt, welche besonderen Nährwerteigenschaften dem Produkt mit der beanstandeten Aussage zugeschrieben würden, kann ein Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 nicht verneint werden.

42aa) Gemäß Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 ist unter einer nährwertbezogenen Angabe jede Angabe zu verstehen, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere positive Nährwerteigenschaften besitzt.

43bb) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht gemeint, aus dem Vorbringen des Klägers ergebe sich nicht, dass dem beworbenen Produkt besondere Nährwerteigenschaften zugeschrieben würden.

44Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger mit der Replik vorgebracht, die Werbung der Beklagten sei irreführend, weil der angesprochene Verbraucher die Angaben dahingehend verstehe, dass die vom Kind benötigte Menge an Vitamin D absolut sieben Mal höher sei als bei einem Erwachsenen, und dass deshalb das so konzipierte Produkt der Beklagten besonders werthaltig sei.

45Indem das Berufungsgericht sich auf den Standpunkt gestellt hat, der Kläger lege hiermit nicht dar, welche besonderen Nährwerteigenschaften dem Kindermilch-Produkt der Beklagten zugeschrieben würden, hat es die Anforderungen an das Klagevorbringen überspannt. Zwar trägt der Kläger nicht vor, wie das Produkt nach der Wahrnehmung der Verbraucher genau konzipiert ist, und dass und gegebenenfalls warum der angeblich suggerierte siebenfache Nährstoffbedarf durch das "so konzipierte" Produkt gedeckt wird. Dies ist unter Zugrundelegung der weiten Begriffsbestimmung des Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 allerdings auch nicht erforderlich, da danach eine nährwertbezogene Angabe bereits dann vorliegt, wenn besondere positive Nährwerteigenschaften nur mittelbar zum Ausdruck gebracht werden. Hierfür reicht es aus, wenn Erklärungen erst durch Assoziationen einen Bezug auf die Eigenschaft eines Lebensmittels erlangen (vgl. OLG Stuttgart, ZLR 2011, 352 [juris Rn. 74]; Holle/Hüttebräuker, HCVO, Art. 2 Rn. 97; Rathke/Hahn in Zipfel/Rathke aaO VO [EG] 1924/2006 Art. 2 Rn. 27). Dies macht der Kläger geltend, indem er - wenn auch sprachlich etwas vage - vorträgt, nach der Wahrnehmung der Verbraucher werde der suggerierte erhöhte Nährstoffbedarf von Kindern durch das "so konzipierte" Produkt gedeckt. Er betont nach den Feststellungen des Berufungsgerichts außerdem, sämtliche streitbefangenen Angaben bezögen sich zumindest mittelbar auf das von der Beklagten beworbene Produkt, da dieses sogar bildlich wiedergegeben werde.

46b) Die Ansicht des Berufungsgerichts, ein Verstoß gegen die Irreführungsverbote aus Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 und aus § 5 Abs. 1 UWG könne auf der Grundlage des Klagevorbringens nicht angenommen werden, ist ebenfalls mit Rechtsfehlern behaftet.

47aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine Verletzung von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011, wonach Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein dürfen, nicht bereits deshalb verneint werden, weil der Kläger nicht dargetan habe, dass die beanstandeten Äußerungen solche über Lebensmittel seien.

48Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 bezeichnet der Begriff "Information über Lebensmittel" jede Information, die ein Lebensmittel betrifft und dem Endverbraucher zur Verfügung gestellt wird.

49Der Kläger hat bereits mit seinem zuvor wiedergegebenen Vortrag, wonach der Verbraucher aufgrund der getroffenen Aussagen erwarte, dass das beworbene Kindermilch-Produkt der Beklagten besonders werthaltig sei, verdeutlicht, dass die Aussagen ein Lebensmittel betreffen. Anders als das Berufungsgericht meint, ist für die Darlegung, dass Informationen über Lebensmittel gegeben sind, kein Vortrag dazu erforderlich, welche konkreten Eigenschaften der angesprochene Verkehr dem Produkt aufgrund der beanstandeten Aussage beimisst.

50bb) Soweit das Berufungsgericht außerdem ausreichenden Vortrag des Klägers zu einer Irreführung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 und § 5 Abs. 1 UWG vermisst hat, hat es die Anforderungen an den Klagevortrag abermals überspannt.

51Der Kläger hat vorgetragen, die eine Irreführung begründende Diskrepanz zwischen dem produktbezogenen Verkehrsverständnis einerseits und der Realität andererseits liege darin, dass dem Verkehr mit der beanstandeten Werbung suggeriert werde, ein Kind benötige in der Gesamtmenge sieben Mal mehr Vitamin D als ein Erwachsener und das "so konzipierte Produkt" der Beklagten sei deshalb besonders werthaltig. Tatsächlich benötige ein Kind jedoch gegenüber einem Erwachsenen sieben Mal mehr Vitamin D pro Kilogramm Körpergewicht. Sämtliche Angaben bezögen sich zumindest mittelbar auf das beworbene Produkt, da dieses sogar bildlich wiedergegeben werde.

52Zwar ist dem Berufungsgericht zuzugeben, dass der Kläger mit seiner Behauptung, der Verkehr gehe aufgrund der Werbung davon aus, das "so konzipierte Produkt" sei besonders werthaltig, nicht erläutert, wie genau das Produkt aus Sicht der Verbraucher konzipiert sein soll, um besonders werthaltig zu sein, welche konkreten Eigenschaften der angesprochene Verkehr dem Produkt also aufgrund der beanstandeten Aussage zumessen solle. Um die genaue Produktzusammensetzung geht es dem Kläger allerdings gar nicht, da er seinen Irreführungsvorwurf nicht darauf stützt, dass dem Verkehr fälschlicherweise suggeriert werde, das beworbene Kindermilch-Produkt sei in der Lage, den Bedarf von Kindern an Vitamin D zu decken. Um dem Berufungsgericht eine Prüfung zu ermöglichen, ob die vom Kläger behauptete Irreführung vorliegt, ist weiteres Vorbringen demnach nicht erforderlich.

53III. Die Abweisung des Klageantrags zu I 3 kann auf Grundlage der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung ebenfalls nicht bestehen bleiben.

541. Das Berufungsgericht hat gemeint, die beanstandete Äußerung, in der Zusammensetzung der beworbenen Kindermilch sei berücksichtigt worden, dass ein Kleinkind durchschnittlich drei Mal mehr Calcium und sieben Mal mehr Vitamin D als ein Erwachsener benötige, könne bereits deswegen nicht als falsch, mehrdeutig oder irreführend im Sinne von Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 angesehen werden, weil sich weder dem Vorbringen des Klägers noch den Feststellungen des Landgerichts entnehmen lasse, dass und inwieweit die Zusammensetzung des Produkts falsch, mehrdeutig oder irreführend dargestellt worden sei. Hierzu wäre erforderlich gewesen, die tatsächliche Zusammensetzung mit derjenigen zu vergleichen, die das Produkt nach der Vorstellung der Verkehrskreise aufgrund der beanstandeten Äußerung habe. Dazu fehle jeder Vortrag, so dass kein Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 erkannt werden könne. Auch Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 sei nicht verletzt, weil die beanstandete Aussage keinerlei Bezug zu einer Ernährung ohne das Produkt erkennen lasse. Ein Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 und § 5 UWG scheitere daran, dass sich dem klägerischen Vorbringen nicht entnehmen lasse, welches konkrete Verständnis der Verkehr von der Zusammensetzung der Produkte habe, geschweige denn, inwieweit dieses von der Realität abweiche.

552. Auch diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand.

56a) Soweit das Berufungsgericht einen Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 verneint hat, hat es wesentlichen Verfahrensstoff unter Verstoß gegen § 286 ZPO unberücksichtigt gelassen.

57aa) Mit dem Klageantrag zu I 3 begehrt der Kläger eine Unterlassung der Aussage, "In der Zusammensetzung von H.   Kindermilch wird berücksichtigt, dass ein Kleinkind durchschnittlich 3 x mehr Calcium und 7 x mehr Vitamin D als ein Erwachsener benötigt", sofern dies geschieht wie in der Anlage K3 wiedergegeben. Aus dem als Anlage K3 vorgelegten Abdruck der Verpackungsschmalseite ist ersichtlich, dass sich hinter den Worten "Calcium" und "Vitamin D" eine hochgestellte Ziffer 1 befindet, die auf derselben Seite wie folgt erläutert wird: "Mehrbedarf an Nährstoffen Kleinkinder vs. Erwachsene pro kg KG (EFSA 2013, Männer 80 kg, Kleinkinder 12 kg)". Nach dem Vorbringen des Klägers, dem sich das Landgericht angeschlossen hat, reicht diese Erläuterung nicht aus, um die durch die Aussage hervorgerufene Irreführung und Mehrdeutigkeit zu beseitigen. Ein Teil der angesprochenen Verkehrskreise werde auch nach der Erklärung keine Berechnungen vornehmen, um zu verstehen, dass ein Kind im Durchschnitt dieselbe Menge eines bestimmten, Vitamin-D-haltigen Lebensmittels wie ein Erwachsener benötige, um seinen Nährstoffbedarf an Vitamin D zu decken, und nicht etwa das Siebenfache dieses Lebensmittels. Dies aber werde durch die plakative Aussage suggeriert, weshalb Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 verletzt sei.

58bb) Der Kläger und - ihm folgend - das Landgericht haben demnach nicht beanstandet, dass die Zusammensetzung des Produkts unzutreffend oder irreführend dargestellt worden sei, sondern eine Irreführung darin gesehen, dass dem Verkehr suggeriert werde, in der Zusammensetzung des Produkts werde berücksichtigt, dass ein Kleinkind in der Gesamtmenge ein Vielfaches an bestimmten Nährstoffen benötige wie ein Erwachsener, was allerdings unzutreffend sei. Mit diesem Aspekt hat sich das Berufungsgericht nicht befasst, sondern gemeint, für die Feststellung einer falschen, mehrdeutigen oder irreführenden Angabe wäre es erforderlich gewesen, die tatsächliche Zusammensetzung des Produkts mit derjenigen zu vergleichen, die es nach der Vorstellung der Verkehrskreise aufgrund der beanstandeten Äußerung haben solle. Damit hat das Berufungsgericht wesentliche Elemente des Parteivorbringens und der Begründung des Landgerichts unberücksichtigt gelassen und den Verfahrensstoff nicht entsprechend § 286 Abs. 1 ZPO ausgeschöpft. Die Verneinung einer Irreführung und damit eines Verstoßes gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 kann daher auf Grundlage der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung keinen Bestand haben.

59b) Entsprechendes gilt, soweit das Berufungsgericht mit ähnlicher Begründung auch eine Verletzung von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 und § 5 Abs. 1 UWG verneint hat.

60c) Die Ansicht des Berufungsgerichts, ein Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 liege nicht vor, hält der rechtlichen Nachprüfung aus den zuvor (unter Rn. 31 bis 35) dargelegten Gründen hingegen stand.

61IV. Das angegriffene Urteil ist auch insoweit aufzuheben, als das Berufungsgericht den mit dem Klageantrag zu II geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten abgelehnt hat. Nach dem für den Streitfall maßgeblichen § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG aF (§ 13 Abs. 3 UWG nF) kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden, soweit die Abmahnung berechtigt ist. Ob und inwieweit dies der Fall ist, wird das Berufungsgericht unter Beachtung der obenstehenden Ausführungen erneut zu prüfen haben.

62C. Für die wiedereröffnete Berufungsinstanz weist der Senat auf Folgendes hin:

63I. Soweit das Berufungsgericht gemeint hat, aus der Verknüpfung der mit dem Unterlassungsantrag zu I 1 beanstandeten Äußerungen mit "und/oder" folge, dass das vom Landgericht ausgesprochene Verbot nur dann Bestand haben könne, wenn jede der beiden dort beanstandeten Äußerungen für sich genommen irreführend sei, ist klarzustellen, dass für den Fall, dass nur eine der beiden Aussagen als irreführend anzusehen wäre, auch eine Teilabweisung in Betracht zu ziehen wäre.

641. Greift eine Klagepartei verschiedene Angaben der beklagten Partei an und nimmt sie verbunden mit "und/oder" in ihren Unterlassungsantrag auf, macht sie durch diese Art der Verbindung in der Regel deutlich, dass sie die einzelnen Angaben nicht nur in ihrer Kombination zur Überprüfung stellt, sondern auch für sich genommen (vgl. Brüning in Harte/Henning, UWG, 5. Aufl., Vorb. zu § 12 Rn. 99; Ahrens/Bacher, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 21 Rn. 19; Spätgens/Danckwerts in Gloy/Loschelder/Danckwerts, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 5. Aufl., § 88 Rn. 34; vgl. auch Schmidt, GRUR-Prax 2014, 71, 72 f.).

652. Der Klageantrag zu I 1, in dem mehrere Verletzungsformen durch die Formulierung "und/oder" miteinander verknüpft sind, ist demgemäß dann in vollem Umfang begründet, wenn hinsichtlich aller beanstandeter Verletzungsformen ein Unterlassungsanspruch besteht. Sollte das Berufungsgericht nur in Bezug auf eine der beiden miteinander verbundenen Verletzungsformen einen Unterlassungsanspruch als gegeben ansehen, würde dies nicht eine Abweisung des gesamten Unterlassungsantrags rechtfertigen, sondern nur dessen teilweise Abweisung (vgl. Ahrens/Bacher aaO Kap. 21 Rn. 20; Brüning in Harte/Henning aaO Vorb. zu § 12 Rn. 99; Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl., § 12 Rn. 1.43).

66II. Sollte das Berufungsgericht auf Grundlage der Hinweise des Senats zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich bei den mit dem Klageantrag zu I 2 angegriffenen Aussagen um nährwertbezogene Angaben im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 handelt, wird es sich erneut mit der Frage zu befassen haben, ob der Kläger die Voraussetzungen für einen Verstoß gegen Art. 3 Unterabs. 2 Buchst a der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 hinreichend dargelegt hat. Dabei wird es nicht nur die Tatbestandsalternative einer irreführenden Angabe zu prüfen haben, sondern auch diejenige einer mehrdeutigen Angabe. Das Vorliegen einer mehrdeutigen Angabe hat das Berufungsgericht verneint, ohne dies allerdings näher zu begründen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:020622UIZR93.21.0

Fundstelle(n):
DB 2022 S. 2406 Nr. 40
NJW 2022 S. 3638 Nr. 50
NJW 2022 S. 8 Nr. 37
ZAAAJ-20829