BVerwG Beschluss v. - 2 B 46/21

Erfolglose Nichtzulassungsbeschwerde; Bemessung der Disziplinarmaßnahme

Gesetze: § 244 Abs 1 Nr 1 Buchst a StGB, § 13 Abs 1 S 2 BDG, § 13 Abs 1 S 3 BDG, § 13 Abs 1 S 4 BDG, Art 103 Abs 3 GG, § 86 Abs 1 S 1 VwGO

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 16b D 20.585 Urteilvorgehend Az: M 19B DK 19.2905 Urteil

Gründe

1Die auf sämtliche Zulassungsgründe nach § 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

21. Der 1966 geborene Beklagte steht als Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A8 BBesO) im Dienst der Klägerin. Das Amtsgericht verurteilte den Beklagten mit Urteil vom wegen Diebstahls mit Waffen in zwei tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit versuchtem Diebstahl mit Waffen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten und setzte die Vollstreckung zur Bewährung aus. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen entwendete der Beklagte während seines Dienstes im Servicepoint der Bundespolizei ... in Uniform und mit Dienstwaffe am 23. und Geldbeträge in Höhe von insgesamt 25 € aus der Kaffeekasse und zudem am einen Betrag in Höhe von 20 € aus einem als Diebesfalle bereitgestellten Rucksack. Soweit dem Beklagten ein weiterer Diebstahl durch Entnahme von Bargeld aus der Kaffeekasse im Juni 2016 zur Last gelegt wurde, sprach ihn das Amtsgericht aus tatsächlichen Gründen frei. Auf die Berufung des Beklagten änderte das das erstinstanzliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten; bei der Aussetzung zur Bewährung verblieb es.

3In dem im November 2016 eingeleiteten und zunächst wegen des Strafverfahrens ausgesetzten sachgleichen Disziplinarverfahren hat die Klägerin im Juni 2019 Disziplinarklage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung in das Amt des Polizeimeisters (Besoldungsgruppe A7 BBesO) erkannt. Auf die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt.

4Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Bei Zugrundelegung der bindenden tatsächlichen Feststellungen im Strafverfahren habe der Beklagte schuldhaft die Pflicht zur Beachtung der Gesetze, zu uneigennütziger Amtsausübung und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt. Er habe ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen begangen, durch das er das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Der für die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens maßgebliche Orientierungsrahmen reiche bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. In Ausfüllung dieses Rahmens sei die Dienstentfernung unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beklagten und bei Abwägung aller für und gegen ihn sprechenden Gesichtspunkte geboten. Dabei sei das hohe Eigengewicht der Verfehlung zu berücksichtigen. Der Beklagte habe die Taten während seines Dienstes, am Dienstort, in Uniform und unter Mitführen der Dienstwaffe begangen. Trotz gehäufter Diebstähle in der Bundespolizeiinspektion ... und des deshalb erfolgten dienstlichen Aufrufs des Leiters der Bundespolizeiinspektion habe er sich nicht von der Tatbegehung abhalten lassen. Besonders schwer wiege, dass er bei seinen Diebstählen die Folgen für die Kollegen und den dienstlichen Bereich in Kauf genommen und gezielte Maßnahmen zur Verdeckung der Taten ergriffen habe (Abwischen der Kaffeekasse, Mitführen von Handschuhen beim versuchten Diebstahl). Dieses Vorgehen offenbare eine erhebliche kriminelle Energie. Anerkannte Milderungsgründe oder gleichgewichtige Umstände des Einzelfalls lägen nicht vor. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit des entwendeten Betrages sei nicht gegeben, weil der Beklagte durch die konkrete Tatbegehung zusätzlich belastet werde.

52. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

6Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom - 2 B 84.16 - juris Rn. 9).

7Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung in der Frage

"ob eine Tatbegehung während des Dienstes in Uniform mit Dienstwaffe, deren Tragen obligatorisch und daher bei Nichttragen eine Dienstpflichtverletzung darstellen würde, sowohl im Strafverfahren als auch im Disziplinarverfahren erschwerend berücksichtigt werden darf?".

8Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision nach § 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies gilt bei einem wortwörtlichen Verständnis der Frage (a), aber auch dann, wenn die aufgeworfene Frage der Sache nach zugunsten des Beklagten dahin zu verstehen sein sollte, dass sie sich auf die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens (b) bezieht. Die Grundsatzrüge ist in jedem Fall unbegründet.

9a) Die auf das Disziplinarverfahren bezogene Frage führt ihrem wortwörtlichen Verständnis nach nicht zur Zulassung der Revision nach § 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie im angestrebten Revisionsverfahren nicht rechtsgrundsätzlich geklärt werden könnte. Die so formulierte Frage betrifft die Bemessung der Disziplinarmaßnahme durch das Gericht nach Maßgabe von § 13 BDG. Diese Bemessung ist aber stets eine Frage der Würdigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls (stRspr, zuletzt 2 C 12.19 - NJW 2020, 2907 Rn. 39 und Beschluss vom - 2 B 12.21 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 88 Rn. 8) und entzieht sich damit einer rechtsgrundsätzlichen Klärung.

10b) Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, wenn die von der Beschwerde aufgeworfene Frage der Sache nach auf die Klärung zielt, ob es gegen das Doppelbestrafungsverbot verstößt, dass sich die Schwere des Dienstvergehens in Anlehnung an den Strafrahmen des Qualifikationstatbestandes des § 244 Abs. 1 Nr. 1a) StGB (Diebstahl mit Waffen) bestimmt und der Umstand des Tragens einer Waffe darüber hinaus bei der konkreten Maßnahmebemessung erschwerend berücksichtigt wird. Denn auch die so verstandene Frage lässt sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne des Berufungsurteils beantworten, ohne dass es einer revisionsgerichtlichen Überprüfung bedarf. Selbstverständlich darf in die konkrete Maßnahmebemessung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG auch ein Umstand einbezogen werden, der zuvor - bei der Schwere des Dienstvergehens - über den Strafrahmen schon den Orientierungsrahmen bestimmt hat.

11aa) Die Schwere des Dienstvergehens ist Ausgangspunkt und richtungsweisendes Kriterium für die Bemessung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme nach § 13 BDG, die im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegt ( 1 D 1.12 - BVerwGE 148, 192 Rn. 39 f.). Bei einem strafbaren Verhalten des Beamten dienst als Orientierung für die Schwere des Dienstvergehens der zum Tatzeitpunkt geltende Strafrahmen. Mit der gesetzlichen Strafandrohung hat der Gesetzgeber seine Einschätzung zum Unwert eines Verhaltens eines Beamten verbindlich zum Ausdruck gebracht. Diese gesetzliche Wertung ist Maßstab für die Beurteilung, in welchem Maß der Beamte durch sein strafbares Verhalten eine disziplinarrechtlich bedeutsame Schädigung des Ansehens des öffentlichen Dienstes herbeigeführt hat (stRspr, vgl. 2 C 5.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 22 und - 2 C 13.10 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12 Rn. 25, vom - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 31, vom - 2 C 3.18 - BVerwGE 166, 389 Rn. 28, jeweils m.w.N. und vom - 2 C 12.19 - BVerwGE 168, 254 Rn. 21). Sieht das Strafgesetz für die innerdienstlich unter Ausnutzung der Dienststellung begangene Verfehlung als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor, reicht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme (vgl. 2 C 6.14 - BVerwGE 154, 10 Rn. 20).

12Mit der Festlegung des Orientierungsrahmens wird lediglich die Bandbreite der für das konkrete Dienstvergehen in Betracht kommenden Disziplinarmaßnahme im Sinne von § 5 BDG in einem ersten Schritt bestimmt. Die weiteren Schritte zur Festlegung der Disziplinarmaßnahme, ob der Orientierungsrahmen ausgeschöpft oder innerhalb dieses Rahmens Abstufungen anzunehmen sind, sind Fragen des konkreten Einzelfalls und der dem Disziplinargericht aufgegebenen Würdigung sämtlicher be- und entlastenden Umstände. Dabei sind insbesondere die dem Beamten zur Last fallenden Umstände, die den Unrechtsgehalt der konkret begangenen Straftat kennzeichnen (Umstände der Tatbegehung als objektive sowie subjektive Handlungsmerkmale, Form und Gewicht der Schuld und die Beweggründe des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten) zu berücksichtigen und zu würdigen (stRspr, vgl. etwa 2 C 50.13 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 39 Rn. 19; Beschlüsse vom - 2 B 146.11 - NVwZ-RR 2012, 658 Rn. 10 und vom - 2 B 76.20 - Buchholz 235.1 § 34 BDG Nr. 7 Rn. 18 f.). Folglich bestimmt bei berufsmäßigen Waffenträgern (z.B. Polizisten oder Soldaten) der Umstand des Beisichführens einer Waffe bei der Schwere des Dienstvergehens über den Strafrahmen des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB (vgl. - NStZ 1995, 76) den Orientierungsrahmen; in einem weiteren Schritt darf er in die konkrete Maßnahmebemessung einbezogen werden. Der von der Beschwerde dargestellte Rollenkonflikt des Polizeibeamten zwischen dem Tragen der Dienstwaffe in Erfüllung der Dienstpflicht einerseits und der eintretenden Strafschärfung durch die getragene Dienstwaffe andererseits besteht nicht. Denn Dienstpflicht des Beamten ist, keine Diebstähle - im oder außer Dienst - zu begehen.

13In diesen aus § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG hergeleiteten Grundsätzen für die Maßnahmebemessung liegt - entgegen der Beschwerde - kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot. Art. 103 Abs. 3 GG ist im Verhältnis von Kriminalstrafe und Disziplinarmaßnahme nicht anwendbar (vgl. schon BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvL 1/66 - BVerfGE 21, 391 <400 ff.> und vom - 2 BvR 545/68 - BVerfGE 27, 180 <184 f.>; 2 C 3.19 - Buchholz 237.2 § 75a BlnLBG Nr. 1 Rn. 21).

14bb) Der Verwaltungsgerichtshof hat die dargestellten Grundsätze für die Maßnahmebemessung nach § 13 BDG beachtet. Das Strafgesetzbuch sieht für den vom Verwaltungsgerichtshof angenommenen Diebstahl mit Waffen gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren als Regelstrafrahmen vor. Damit ist der Orientierungsrahmen bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet. Das Berufungsgericht hat den Orientierungsrahmen nach Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls ausgeschöpft und den Beklagten aus dem Dienst entfernt. Soweit in der Beschwerdebegründung die fehlerhafte Gewichtung der bemessungsrelevanten Gesichtspunkte durch das Berufungsgericht gerügt wird, insbesondere die Würdigung der Umstände der Tatbegehung während des Dienstes, am Dienstort, in Uniform und unter Mitführen der Dienstwaffe, betrifft dieser Angriff die fallbezogene Anwendung der Bemessungsgrundsätze auf den festgestellten Sachverhalt. Damit kann die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreicht werden.

153. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz gemäß § 69 BDG i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

16Die Divergenzrüge ist in Bezug auf die von der Beschwerde geltend gemachte Abweichung des Berufungsurteils von dem Urteil des Senats vom - 2 C 6.14 - (BVerwGE 154, 10) und von dem Beschluss des Senats vom - 2 B 48.17 - (juris) unbegründet. Ungeachtet dessen, dass die Beschwerde eine rechtssatzmäßige Divergenz nicht aufzeigt, beruht das Berufungsurteil auch nicht auf einem abstrakten Rechtssatz, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift in den von der Beschwerde angeführten Entscheidungen aufgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f. und vom - 2 B 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 5). Der Verwaltungsgerichtshof hat die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze zur Bemessung der disziplinarrechtlichen Maßnahme gemäß § 13 BDG als Beurteilungsmaßstab übernommen und dabei auf die Entscheidungen des Senats vom - 2 C 6.14 - (BVerwGE 154, 10 Rn. 12 ff.) und vom - 2 B 48.17 - (juris Rn. 10) verwiesen (UA S. 12 f.). Das Berufungsgericht ist auch nicht - wie die Beschwerde meint - rechtssatzmäßig von der Rechtsprechung des Senats zur Maßnahmebestimmung bei sog. Regeleinstufungen im Fall innerdienstlich begangener Zugriffsdelikte ( 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229 Rn. 13 ff., 19) abgewichen. Die Rechtsprechung zur Figur der "Regeleinstufung" hat das 2 C 6.14 - (BVerwGE 154, 10 Rn. 19 a.E.) ausdrücklich aufgegeben.

17Soweit die Beschwerde im Rahmen der Divergenzrüge kritisiert, das Berufungsgericht habe - anders als das Verwaltungsgericht - die Schwere des vom Beklagten begangenen Dienstvergehens unverhältnismäßig aufgewertet und die zugunsten des Beklagten zu berücksichtigenden mildernden Umstände nicht hinreichend gewichtet, richtet sie sich wiederum gegen die Richtigkeit der Anwendung der Grundsätze zur Maßnahmebemessung im Einzelfall, die eine Divergenzrüge nicht zu begründen vermag (stRspr, vgl. 2 B 29.18 - Buchholz 236.0 § 11 BPolBG Nr. 1 Rn. 19 m.w.N.).

184. Die Revision ist schließlich nicht wegen der von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 69 BDG i.V.m. 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

19a) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, das Berufungsgericht habe seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es nicht Beweis darüber erhoben habe, dass der Beklagte die Taten seinem Freund und Kollegen POM H. am offenbart und dabei diesem seinen Entschluss mitgeteilt habe, einen Geständnis- und Entschuldigungsbrief an den Dienstgruppenleiter zu schreiben und bei Dienstantritt zu übergeben; hätte POM H. diesen Sachverhalt bei der Einvernahme als Zeuge bestätigt, hätte das Berufungsgericht von der Höchstmaßnahme absehen müssen.

20Im gerichtlichen Disziplinarverfahren haben die Tatsachengerichte - soweit sie nicht an tatsächliche Feststellungen in strafgerichtlichen Urteilen gebunden sind - nach §§ 3 und 58 Abs. 1 BDG i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO selbst und von Amts wegen diejenigen Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind ( 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 20). Entsprechend § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG auch für die Berufungsinstanz (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 108.04 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1 S. 2 und vom - 2 B 51.17 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 56 Rn. 5).

21Eine Aufklärungsrüge nach §§ 3 und 58 Abs. 1 BDG i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfordert dabei nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zum einen die substanziierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände aus der materiellrechtlichen Sicht des Berufungsgerichts Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese bei Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Zum anderen muss dargelegt werden, dass bereits im Berufungsverfahren, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung, auf die Sachverhaltsaufklärung, deren Unterlassen nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Berufungsgericht die Notwendigkeit der bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist kein Mittel, um Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn er es - wie hier - unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen (stRspr, vgl. 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.> und Beschlüsse vom - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14, vom - 2 B 26.16 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 13 Rn. 7 f. und vom - 2 B 6.20 - NVwZ-RR 2021, 469 Rn. 7 f.).

22Danach bleibt die Aufklärungsrüge gemäß §§ 3 und 58 Abs. 1 BDG i.V.m. § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne Erfolg. Aus der materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts bestand kein Aufklärungsbedarf im Hinblick auf den anerkannten Milderungsgrund der freiwilligen Selbstoffenbarung, auf den das Beschwerdevorbringen zielt. Für den anerkannten Milderungsgrund der freiwilligen Offenbarung des Fehlverhaltens vor der drohenden Entdeckung kommt es auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf den Zeitpunkt der Offenbarungshandlung selbst gegenüber dem Dienstherrn oder im Fall einer strafrechtlichen Verfehlung gegenüber der für die Strafverfolgung zuständigen Stelle an. Ein zuvor gefasster innerer Entschluss sich zu offenbaren, ist unerheblich (vgl. 2 B 44.17 - juris Rn. 14). Dementsprechend ist es auch unbeachtlich, ob sich der Beklagte seinem befreundeten Kollegen in einem Gespräch anvertraut und geäußert hat, sein Fehlverhalten in einem Brief an den Dienstvorgesetzten einräumen und wiedergutmachen zu wollen. Maßgebend ist die Offenbarungshandlung selbst gegenüber dem Dienstherrn und deren Zeitpunkt.

23Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Geständnis- und Entschuldigungsbrief erst nach Aufdeckung der Taten am mit einem zu übersendenden Empfangsbekenntnis an den Leiter des Inspektionsbereichs verschickt worden. Bereits am war dem Beklagten bei Dienstantritt die Einleitung des Disziplinarverfahrens eröffnet worden. Der erst Tage danach beim Dienstherrn eingegangene Geständnis- und Entschuldigungsbrief des Beklagten ist ein Umstand, der - über die in der Rechtsprechung anerkannten Milderungsgründe hinaus - im Rahmen der Bemessungsentscheidung zu berücksichtigen und darauf zu überprüfen ist, ob er in einer Gesamtschau - d.h. zusammen mit weiteren für den Beamten sprechenden Aspekten - zu einer Milderung der Maßnahme führen kann. Dies ist hier geschehen (vgl. UA S. 15).

24b) Das Berufungsgericht hat auch nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz gegen gerichtliche Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten - wie hier - aus Gründen des materiellen Rechts unberücksichtigt lassen (vgl. - BVerfGE 96, 205 <216 f.> m.w.N.; BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 33.20 - Buchholz 303 § 404a ZPO Nr. 2 Rn. 5 m.w.N. und vom - 2 B 21.20 - Buchholz 232.0 § 21 BBG 2009 Nr. 11 Rn. 24).

255. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Gerichtsgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:300322B2B46.21.0

Fundstelle(n):
EAAAI-62334