BGH Beschluss v. - XIII ZB 98/19

Überstellungshaftsache: Rechtsbeschwerde gegen die unterbliebene Beteiligung des Verfahrensbevollmächtigten an einem Anhörungstermin

Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 427 FamFG, Art 28 Abs 2 EUV 604/2013, § 295 ZPO

Instanzenzug: Az: 8 T 24/19vorgehend Az: 46 XIV 56/19 B

Gründe

1Der Betroffene, ein liberianischer Staatsangehöriger, reiste am ohne gültige Einreisedokumente mit einem Fernreisezug aus den Niederlanden nach Deutschland. Er hatte bereits am in Italien einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge leitete am das Überstellungsverfahren nach Italien gemäß Art. 29 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) ein und ordnete die Abschiebung des Betroffenen an, nachdem der Betroffene bereits am auf der Grundlage einer bis zum geltenden einstweiligen Anordnung zur Sicherung seiner Überstellung in Haft genommen worden war. Am ordnete das Amtsgericht gegen den in die dortige Justizvollzugsanstalt verbrachten Betroffenen Überstellungshaft bis einschließlich an. Die für den vorgesehene Überstellung nach Italien scheiterte am Widerstand des Betroffenen.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am die Überstellungshaft bis zum verlängert. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Betroffene festgestellt wissen, dass ihn die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts für den Zeitraum der bis zu seiner Überstellung am vollzogenen Haft in seinen Rechten verletzt haben.

3I. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

41. Das Beschwerdegericht hält die Verlängerung der nach Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO angeordneten Haft für rechtmäßig. Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren hat es abgesehen, da davon zusätzliche Erkenntnisse nicht zu erwarten seien.

52. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

6a) Im Ergebnis zu Recht hat das Beschwerdegericht die Haftanordnung nicht beanstandet. Die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht war zwar nicht ordnungsgemäß, weil das Amtsgericht gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen hat. Jedoch hat der Betroffene diesen Verstoß im Beschwerdeverfahren nicht gerügt und er ist daher mit dieser Rüge im Rechtsbeschwerdeverfahren ausgeschlossen.

7aa) Das Amtsgericht hat gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen.

8(1) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8; vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7, und vom - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG oder entsprechender Fortdauer einer bereits erlassenen einstweiligen Anordnung ein neuer Termin zu bestimmen (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5; vom - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f., und vom - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7; vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7, und vom - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8).

9(2) Dem ist das Amtsgericht nicht gerecht geworden. Der Rechtsanwalt des Betroffenen, der am mit Telefax zu einem Anhörungstermin am geladen wurde, hat noch am selben Tag eine Verlegung des Anhörungstermins mit der Begründung beantragt, dass er an diesem Tag einen auswärtigen Termin in Frankfurt wahrzunehmen habe. Wegen der Verhinderung des Prozessbevollmächtigten hätte das Amtsgericht einen neuen Termin bestimmen müssen. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war eine Verlegung nicht deshalb ausgeschlossen, weil die am angeordnete Haft bis zum befristet war. Das Amtsgericht hätte vielmehr im Wege einer einstweiligen Anordnung eine weitere kurze Haft nach § 427 FamFG bestimmen können und müssen, um dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen die nach Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG gebotene Beteiligung noch in der ersten Instanz zu ermöglichen.

10bb) Der Betroffene war jedoch gehalten, den Verfahrensmangel bereits im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zu rügen.

11(1) Eine Verfahrensverletzung kann gemäß § 72 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 556 ZPO im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Rechtsbeschwerdeführer sein Rügerecht in der Vorinstanz nach der Vorschrift des § 295 ZPO verloren hat (Bahrenfuss/Joachim, FamFG, 3. Aufl. § 420 Rn. 13; vgl. , juris Rn. 11; vgl. auch Beschluss vom - V ZB 28/17, InfAuslR 2018, 184 Rn. 25). Das wiederum ist der Fall, wenn er es versäumt hat, die Verletzung von Verfahrensvorschriften zu rügen, auf deren Befolgung ein Beteiligter wirksam verzichten kann. Zu diesen Verfahrensvorschriften gehört das Recht eines Beteiligten auf die Teilnahme seines Verfahrensbevollmächtigten in der persönlichen Anhörung nach § 420 FamFG. Der in dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnde Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen zwar, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen, und billigt ihm das Recht zu, diesen Bevollmächtigten zu der Anhörung hinzuzuziehen (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8 und vom - V ZB 140/15, NVwZ 2016, 1430 Rn. 6; siehe auch BVerfG, StV 1994, 552 f.; NJW 1993, 2301 f. - jeweils zur mündlichen Anhörung des Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren). Eine Verletzung dieses Anspruchs führt auch ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft (, juris Rn. 13 und vom - XIII ZB 123/19, AnwBl. 2021, 241 Rn. 14). Die Beteiligung eines Verfahrensbevollmächtigten gehört aber nicht zu den zwingenden Verfahrensvorschriften, die unabhängig davon einzuhalten sind, ob der Betroffene dies wünscht, wie beispielsweise die persönliche Anhörung nach § 420 FamFG oder im Betreuungsrecht die Bestellung eines Verfahrenspflegers (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 127/12, Asylmagazin 2014, 57 Rn. 9 und vom - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rn. 26), und auf die deshalb nicht wirksam verzichtet werden kann. Vielmehr kann der Betroffene auf die Teilnahme seines Verfahrensbevollmächtigten verzichten (vgl. , juris Rn. 7).

12(2) Im Streitfall war der Betroffene deshalb gehalten, den in der unterbliebenen Teilnahme seines Verfahrensbevollmächtigten liegenden Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bereits im Beschwerdeverfahren zu rügen. Dies wäre schon zu dem Zweck geboten gewesen, dem Amtsgericht Gelegenheit zu geben, die versäumte Teilnahme seines Verfahrensbevollmächtigten im Abhilfeverfahren umgehend nachzuholen. Es war ihm auch zumutbar (vgl. BVerfG, NStZ 1984, 370, 371).

13cc) Da das nicht geschehen ist, ist der Betroffene mit seiner Rüge ausgeschlossen.

14b) Auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts hat den Betroffenen nicht in seinen Rechten verletzt.

15aa) Der Betroffene rügt ohne Erfolg, in der Beschwerdeinstanz nicht erneut angehört worden zu sein. Die persönliche Anhörung ist nach § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG im Beschwerdeverfahren grundsätzlich vorgeschrieben (, juris Rn. 9 mwN). Hiervon darf das Beschwerdegericht nur absehen, wenn eine ordnungsgemäße persönliche Anhörung in erster Instanz stattgefunden hat und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind (, juris Rn. 9 mwN). Da der Betroffene den Verstoß des Amtsgerichts gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht gerügt hat, und zusätzliche Erkenntnisse unabhängig hiervon durch die erneute persönliche Anhörung nicht zu erwarten waren, war das Beschwerdegericht nicht gehalten, den Betroffenen erneut anzuhören.

16bb) Das Beschwerdegericht hätte die Haft allerdings nicht über den hinaus aufrechterhalten dürfen. Nach § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ist die Inhaftnahme auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Die Abschiebung war im Fall des Betroffenen für den vorgesehen. Unter Berücksichtigung eines zeitlichen Puffers für allfällige Verzögerungen (vgl. dazu , juris Rn. 13; und Beschluss vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 16) hätte die Haft daher höchstens bis zum aufrechterhalten werden dürfen. Da der Betroffene am abgeschoben wurde, fehlt für die Feststellung, dass die darüber hinausgehende Haft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, jedoch das Rechtsschutzbedürfnis (Beschluss vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 17).

173. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:200721BXIIIZB98.19.0

Fundstelle(n):
WAAAI-05524