BSG Beschluss v. - B 5 R 296/20 B

Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Divergenz - Klagerücknahmefiktion

Gesetze: § 102 Abs 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 162 SGG

Instanzenzug: SG Magdeburg Az: S 5 R 497/18 WA Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Az: L 1 R 172/19 Urteil

Gründe

1I. Die Klägerin begehrt in der Hauptsache die Feststellung von rentenrechtlichen Zeiten (Bezug von Arbeitslosengeld II vom bis ). Das SG Magdeburg hat mit Gerichtsbescheid vom die Beendigung des Rechtsstreits durch Klagerücknahme festgestellt. Das LSG hat die Voraussetzungen einer Klagerücknahmefiktion bestätigt und die Berufung zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und mit Schriftsätzen vom und begründet. Sie macht als Zulassungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie eine Divergenz geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).

2II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Keiner der im Gesetz abschließend aufgeführten Gründe für die Zulassung einer Revision wird nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

31. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist in der Beschwerdebegründung nicht formgerecht dargelegt.

4Eine Rechtssache hat nur dann iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr, zB - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Daran fehlt es hier.

6Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin damit eine aus sich heraus verständliche abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert. Die Bezeichnung einer solchen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl dazu - juris RdNr 5 mwN). Jedenfalls enthält die Beschwerdebegründung keinen hinreichenden Vortrag zur (abstrakten) Klärungsbedürftigkeit. Dazu muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und ggf des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl - juris RdNr 9). Zur Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs 2 SGG existieren bereits höchstrichterliche Entscheidungen (vgl ua - BSGE 123, 62 = SozR 4-1500 § 102 Nr 3, RdNr 19 ff mwN; - juris RdNr 8). Eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen einer Klagerücknahmefiktion unter Auswertung dieser Rechtsprechung enthält die Beschwerdebegründung jedoch nicht.

7Zudem fehlt es an hinreichenden Ausführungen zur (konkreten) Klärungsfähigkeit. Der Senat vermag anhand der Beschwerdebegründung nicht zu beurteilen, ob die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage zur Subsidiarität einer Klagerücknahmefiktion entscheidungserheblich ist. Aus der Beschwerdebegründung geht hervor, dass das SG zuvor andere Maßnahmen ergriffen und den Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Jahr 2017 mehrfach um Erteilung eines Einverständnisses zur Beiziehung von zwei Gerichtsakten ersucht hat. Erst im darauffolgenden Jahr 2018 verfügte das SG eine Erledigung des Rechtsstreits durch Klagerücknahmefiktion. Auch dazu verhält sich die Beschwerdebegründung nicht.

82. Den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) hat die Klägerin ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet.

9Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl - juris RdNr 4 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

10Die Klägerin benennt als abstrakten Rechtssatz des LSG, "dass eine konkrete Handlungsanweisung auch aus einem außerhalb der Betreibensaufforderung ergangenen Schreiben eines Gerichts entnommen werden darf, welches seinerseits nicht zugestellt wurde und bei dem streitig ist, ob es zugegangen ist." Dagegen komme nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Rücknahmefiktion nur in eng begrenzten Ausnahmefällen vor. Erforderlich sei eine "Gesamtwürdigung von Betreibensaufforderung und Verhalten des Klägers". An solcher fehle es hier.

11Dieser Beschwerdebegründung lässt sich schon nicht entnehmen, dass das LSG einen eigenen abstrakten Rechtssatz aufgestellt und selbst rechtliche Maßstäbe entwickelt hat, die von denjenigen des BVerfG abweichen. Weitere Ausführungen wären schon deshalb erforderlich gewesen, weil sämtliche von der Klägerin aufgeführten Beschlüsse des BVerfG in den Entscheidungsgründen des LSG Urteils zitiert wurden (BVerfG Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 1972/92 -, vom - 2 BvR 2662/95 - und vom - 1 BvR 2254/11). Soweit die Klägerin die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht rügt, ist dies als bloße Subsumtionsrüge nicht ausreichend (vgl dazu - juris RdNr 19 mwN). Nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr, zB - juris RdNr 4 mwN). Auf die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung kann die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl nur - juris RdNr 11).

12Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

133. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:110321BB5R29620B0

Fundstelle(n):
WAAAH-94359