BGH Urteil v. - IV ZR 99/20

Private Krankenversicherung: Aufrechnung mit rückständigen Prämienforderungen gegen Krankentagegeldansprüche; Rückführung des Krankenversicherungsvertrags aus dem Notlagen- in den Ursprungstarif

Leitsatz

1. Der private Krankenversicherer ist nach § 394 Satz 2 BGB berechtigt, mit rückständigen Prämienforderungen aus einer Krankheitskostenversicherung gegen Krankentagegeldansprüche des Versicherungsnehmers aufzurechnen.

2. Ein Krankenversicherungsvertrag wird auch dann gemäß § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG aus dem Notlagen- in den Ursprungstarif zurückgeführt, wenn die Prämienrückstände durch eine seitens des Versicherers erklärte Aufrechnung getilgt worden sind.

Gesetze: § 394 S 2 BGB, § 193 Abs 9 S 1 VVG

Instanzenzug: Az: 1 S 76/19vorgehend AG Ehingen Az: 2 C 287/18

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung rückständiger Prämien für eine Krankheitskostenversicherung in Anspruch. Der Versicherungsvertrag beinhaltet weiterhin eine Krankentagegeldversicherung sowie eine nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hier nicht streitgegenständliche private Pflegeversicherung.

2Der Beklagte zahlte seit August 2016 keine Beiträge mehr. Mit Schreiben vom rechnete die Klägerin gegen einen Krankentagegeldanspruch des Beklagten in Höhe von 5.600 € mit einem Teilbetrag der offenen Beitragsforderungen in Höhe von 1.587,65 € auf, so dass aus ihrer Sicht kein Beitragsrückstand mehr bestand. Unter dem erklärte die Klägerin die Aufrechnung mit Beitragsrückständen in Höhe von 1.779,65 € gegen einen weiteren Krankentagegeldanspruch des Beklagten in Höhe von 2.560 €. Dabei berechnete sie in der Krankheitskostenversicherung bis April 2017 die volle Monatsprämie in Höhe von 239,59 € und für Mai 2017 den Notlagentarif in Höhe von 51,07 €.

3Mit der Klage hat die Klägerin für Juni 2017 Zahlung des Notlagentarifs und für die Monate Juli bis einschließlich November 2017 Zahlung des vollen Tarifs, insgesamt 1.249,02 € gefordert.

4Der Beklagte hält die Aufrechnungen der Klägerin für unwirksam. Er sei zudem spätestens ab März 2017 nur noch im Notlagentarif versichert, der durch die Aufrechnung der Klägerin vom mangels Zahlung im Sinne von § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG nicht beendet worden sei. Gegen die Klageforderung rechnete er mit einem von ihm geltend gemachten Anspruch auf Erstattung zu viel berechneter Prämien in Höhe von 565,56 € auf.

5Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 1.060,50 € nebst einem Prozent Säumniszuschlag je angefangenem Monat aus 102,14 € seit und aus jeweils 239,59 € seit , , und verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen.

6Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

7Mit der Revision verfolgt er seinen weitergehenden Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

8Die Revision hat keinen Erfolg.

9I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts waren die von der Klägerin erklärten Aufrechnungen mit Beitragsforderungen für die Krankheitskostenversicherung gegen die Krankentagegeldansprüche des Beklagten nach § 394 Satz 2 BGB wirksam. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut dieser Norm, die auf die Krankenkasse als Institution und nicht auf den konkreten Krankenversicherungsvertrag abstelle. Nach wörtlicher Auslegung komme es nicht darauf an, ob Anspruch und Beitrag aufgrund desselben Vertrages geschuldet würden. Anders als § 35 VVG, der eine qualifizierte Konnexität der Forderung zu geschuldeten Beiträgen voraussetze und ausdrücklich auf "die Versicherung" abhebe, stelle § 394 Satz 2 BGB auf den Versicherer mit allen möglichen Vertragstypen nach § 192 VVG ab. Auch die teleologische Betrachtung führe zu keiner Auslegung entgegen dem Wortlaut der Norm. § 394 Satz 2 BGB ziele auf einen allgemeinen Rechtsgedanken ab, der sich schon aus § 242 BGB und aus § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB ergebe: keine Leistung ohne Gegenleistung. Der Forderungsinhaber könne nicht verpflichtet sein, seine Ansprüche aus einem Vertrag erfüllen zu müssen, wenn der andere Teil seine Pflicht zur Beitragszahlung nicht erfülle.

10Nach der Aufrechnung vom habe gemäß § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG das Ruhen der Krankenversicherung geendet und der Beklagte sei ab dem wieder im Normaltarif versichert gewesen. Zwar stelle diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut auf eine Zahlung des Versicherungsnehmers ab. Nach Sinn und Zweck der Norm führe aber jede Erfüllung zur Beendigung des Notlagentarifs.

11Der Beklagte schulde für Juni 2017 den Notlagentarif in Höhe von 51,07 € und ab monatlich einen Beitrag in Höhe von 239,59 €. Hiergegen könne er, wie das Amtsgericht zu seinen Gunsten rechtskräftig festgestellt habe, mit einem Gegenanspruch von 188,52 € aufrechnen. Eine weitere Aufrechnung sei dem Beklagten nicht möglich gewesen, da die zuvor erklärte Aufrechnung der Klägerin seinen Anspruch auf Krankentagegeld zum Erlöschen gebracht habe. Er schulde daher für Juni 2017 keinen Beitrag mehr, für Juli 2017 noch 102,14 € und sodann bis November 2017 monatlich 239,59 €. Dieser Betrag sei nach § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG mit einem Säumniszuschlag von 1 % für jeden angefangenen Monat des Prämienrückstandes zu verzinsen.

12II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

13Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung rückständiger Beiträge für die Krankheitskostenversicherung in der vom Amtsgericht ausgeurteilten Höhe zusteht und die weitergehende Aufrechnung des Beklagten nicht durchgreift.

141. Entgegen der Auffassung der Revision waren die von der Klägerin erklärten Aufrechnungen mit offenen Prämienforderungen aus der Krankheitskostenversicherung gegen die Ansprüche des Beklagten auf Zahlung von Krankentagegeld gemäß § 394 Satz 2 BGB wirksam.

15a) Aus dieser Vorschrift ergibt sich die grundsätzliche Zulässigkeit der Aufrechnung mit einer Prämienforderung des Versicherers. Zwar findet eine Aufrechnung, soweit eine Forderung der Pfändung nicht unterworfen ist, gegen diese nicht statt (§ 394 Satz 1 BGB). Gegen die aus Kranken-, Hilfs- oder Sterbekassen, insbesondere aus Knappschaftskassen und Kassen der Knappschaftsvereine, zu beziehenden Hebungen können aber geschuldete Beiträge aufgerechnet werden (§ 394 Satz 2 BGB). Hieraus wird zu Recht geschlossen, dass der Versicherer berechtigt ist, ausnahmsweise auch gegen eigentlich gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO unpfändbare Forderungen aufzurechnen (Senatsurteil vom - IV ZR 81/18, r+s 2019, 97 Rn. 15 m.w.N.; Erman/Wagner, BGB 16. Aufl. § 394 Rn. 10; BeckOK BGB/Dennhardt, § 394 Rn. 16 [Stand: ]; BeckOGK/Skamel, § 394 Rn. 54 [Stand: ]).

16b) Anders als die Revision meint, ist eine Aufrechnung mit Prämienforderungen aus der Krankheitskostenversicherung gegen Krankentagegeldansprüche des Beklagten selbst dann nicht unzulässig, wenn es sich - wie das Berufungsgericht entgegen der Gehörsrüge der Revision angenommen hat - bei der Krankheitskosten- und der Krankentagegeldversicherung formal um selbständige Verträge handelt (vgl. § 192 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5 VVG), die unter einer einheitlichen Vertragsnummer geführt werden, und, wie die Revision geltend macht, in der Krankentagegeldversicherung keine Rückstände bestanden. § 394 Satz 2 BGB ist so auszulegen, dass er dem privaten Krankenversicherer auch die Aufrechnung mit Prämienforderungen aus der Krankheitskostenversicherung gegen Krankentagegeldansprüche des Versicherungsnehmers ermöglicht.

17aa) Dafür spricht bereits, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, der Wortlaut des § 394 Satz 2 BGB, der nicht auf eine bestimmte Vertragsart, sondern auf "Kranken-, Hilfs- oder Sterbekassen" als Institutionen abstellt. Dabei kann dahinstehen, ob ein privater Krankenversicherer als "Krankenkasse" einzuordnen ist (vgl. zu § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO: Senatsurteil vom - IV ZR 163/13, VersR 2014, 452 Rn. 16; , VersR 2007, 1435 Rn. 12; jeweils m.w.N.; weitere Nachweise bei Mandler, Die Aufrechnung im System der privaten Krankenversicherung 2016 S. 260 Fn. 81) oder unter den Begriff der "Hilfskasse" zu subsumieren ist (so Mandler aaO S. 260 ff. unter Hinweis auf die historische Entwicklung). Jedenfalls können nach der weiten Fassung des § 394 Satz 2 BGB gegen die aus den dort genannten Kassen "zu beziehenden Hebungen" (Leistungen zu Unterstützungszwecken, vgl. zum Begriff Mandler aaO S. 343 ff.) vom Unterstützungsberechtigten "geschuldete Beiträge" aufgerechnet werden. Das Gesetz fordert nicht, dass die zur Aufrechnung gestellte Beitragsforderung den Vertrag betrifft, aus dem der Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers resultiert. Der Wortlaut des § 394 Satz 2 BGB beschränkt sich nur auf die Art der zur Aufrechnung gestellten Forderung, grenzt aber nicht nach deren Entstehungsgrund ab. Es ist daher dem Grunde nach möglich, Beitragsforderungen aus verschiedenen Versicherungsverträgen insoweit mittels Aufrechnung zu befriedigen, als sich dieselben Rechtssubjekte im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses gegenüberstehen (Mandler aaO S. 346).

18bb) Nichts anderes ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des § 394 Satz 2 BGB (vgl. dazu Mandler aaO S. 300 ff.). Eine Beschränkung der Aufrechnung auf ein und dieselbe Leistungsart betreffende Ansprüche hat der Gesetzgeber nicht - auch nicht später - vorgesehen.

19cc) Eine von der Revision befürwortete einschränkende Auslegung des § 394 Satz 2 BGB dahingehend, dass die Aufrechnung geschuldeter Beiträge nur gegen auf demselben Versicherungsvertrag beruhende und somit konnexe Leistungsansprüche zulässig sein soll, ist auch mit dem erkennbaren Regelungszweck der Vorschrift nicht vereinbar. Der Forderungsinhaber kann nach Treu und Glauben nicht damit rechnen, die betreffenden Bezüge ungeschmälert ausgezahlt zu bekommen, ohne seine Pflicht zur Entrichtung der laufenden Beiträge zu erfüllen (MünchKomm-BGB/Schlüter, 8. Aufl. § 394 Rn. 18; BeckOK BGB/Dennhardt, § 394 Rn. 16 [Stand: ]; krit. Mandler aaO S. 313). Auch der weiter durch § 394 Satz 2 BGB bezweckte Schutz der sogenannten Globaläquivalenz, die das System des Ausgleichs der Leistungen im Sinne des Versicherungsprinzips auf kollektiver Ebene aufrecht und funktionsfähig halten soll (so Mandler aaO S. 314 ff.), spricht dafür, der jeweiligen Kasse die Aufrechnung mit sämtlichen vom Berechtigten geschuldeten Beiträgen, nicht aber mit sonstigen Ansprüchen zu ermöglichen (dazu Staudinger/Gursky, BGB § 394 Rn. 68 [2016]).

20Eine darüber hinausgehende qualifizierte Konnexität in dem Sinne, dass die zur Aufrechnung gestellte Beitragsforderung denselben Vertrag betreffen muss wie der Leistungsanspruch des Berechtigten, ist zur Erreichung des Regelungsziels nicht erforderlich. Insoweit unterscheidet sich § 394 Satz 2 BGB von § 35 VVG. Diese auch in der Krankenversicherung anwendbare Vorschrift (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 81/18, r+s 2019, 97 Rn. 16 m.w.N.) setzt eine qualifizierte Konnexität der zur Aufrechnung gestellten Forderung zu den geschuldeten Beiträgen voraus (BeckOK VVG/Klimke, § 35 Rn. 4 [Stand: ]). Diese Einschränkung ist deshalb geboten, weil § 35 VVG zugunsten des Versicherers auf die nach § 387 BGB erforderliche Gegenseitigkeit der Forderung verzichtet (BeckOK VVG/Klimke aaO Rn. 5; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. § 35 Rn. 1). Hingegen macht § 394 Satz 2 BGB keine Ausnahme vom Gegenseitigkeitsverhältnis und stellt nur auf der jeweiligen Kasse geschuldete Beiträge ab.

212. Infolge der wirksamen Aufrechnung der Klägerin vom endete, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, gemäß § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG das Ruhen der Krankenversicherung, so dass der Beklagte ab Juli 2017 wieder zur Zahlung des Normaltarifs verpflichtet war.

22a) Nach dieser Vorschrift wird der Vertrag, wenn alle rückständigen Prämienanteile einschließlich der Säumniszuschläge und der Beitreibungskosten gezahlt sind, ab dem ersten Tag des übernächsten Monats in dem Tarif fortgesetzt, in dem der Versicherungsnehmer vor Eintritt des Ruhens versichert war.

23Ob die Vertragsruhe auch durch eine seitens des Versicherers erklärte Aufrechnung mit rückständigen Prämienforderungen beendet werden kann, ist umstritten. Eine Auffassung entnimmt aus dem Wortlaut der Vorschrift ("gezahlt"), dass zur Annahme einer "Zahlung" eine willensgetragene Zahlung des Versicherungsnehmers erforderlich ist und eine Aufrechnung durch den Krankenversicherer nicht genügt (LG Bonn r+s 2017, 148; AG Medebach, r+s 2018, 27, 28; Muschner in Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl. § 193 Rn. 90). Die Gegenmeinung lässt es zur Rückführung des Versicherungsnehmers aus dem Notlagen- in den Normaltarif ausreichen, wenn die Beitragsrückstände durch eine seitens des Versicherers erklärte Aufrechnung getilgt worden sind (BeckOK VVG/Gramse, § 193 VVG Rn. 62 [Stand: ]; Prölss/Martin/Voit, VVG 31. Aufl. § 193 Rn. 53).

24b) Die zuletzt genannte Ansicht trifft zu. Ein voluntatives Element auf Seiten des Versicherungsnehmers ist für die Rückkehr in den Normaltarif nicht erforderlich.

25aa) Zwar kann der in § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG verwendete Begriff "gezahlt" darauf hindeuten, dass die rückständigen Prämienanteile durch eine Geldleistung ausgeglichen sein müssen. Eine willentliche Zahlung durch den Versicherungsnehmer setzt die Vorschrift aber nach ihrem Wortlaut nicht voraus. Vielmehr spricht die passivische Formulierung "Sind alle rückständigen Prämienanteile … gezahlt, …" dafür, dass es nicht auf eine Zahlung des Versicherungsnehmers ankommt und unerheblich ist, wie die Rückstände ausgeglichen worden sind. Nach dem Wortlaut des § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG wird der Vertrag auch dann im Normaltarif fortgeführt, wenn ein Dritter, etwa der Versicherte im Rahmen einer Versicherung für fremde Rechnung, die Prämienschulden des Versicherungsnehmers bezahlt.

26bb) Ein abweichender Wille des Gesetzgebers ergibt sich nicht aus der Begründung des Gesetzentwurfs, in der ausgeführt wird, in Absatz 9 des § 193 VVG werde "klargestellt, dass der Versicherungsnehmer bzw. der Versicherte, nachdem er sämtliche Rückstände ausgeglichen hat, in seinen alten Tarif zurückkehrt" (BT-Drucks. 17/13079 S. 9). Daraus kann nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber nur einen Ausgleich der Rückstände durch den Versicherungsnehmer selbst zur Beendigung des Notlagentarifs ausreichen lassen und dem Versicherer eine Aufrechnung verwehren wollte. Dagegen spricht schon die an anderer Stelle in der Begründung (aaO S. 7) verwendete Formulierung: "Darüber hinaus sehen die Neuregelungen ein vereinfachtes Rückkehrrecht des Versicherten in seinen Ursprungstarif vor, wenn alle Beitragsschulden beglichen wurden". Nach dieser wiederum im Passiv stehenden Darstellung kommt es nur auf die Begleichung der Beitragsschulden und nicht auf einen entsprechenden Willen des Versicherungsnehmers bzw. Versicherten an.

27cc) Sinn und Zweck des § 193 Abs. 9 Satz 1 VVG und der Gesamtregelung dieser Vorschrift belegen ebenfalls, dass die Rückkehr in den Normaltarif nicht von einer willentlichen Zahlung durch den Versicherungsnehmer abhängt. Ziel der Einführung des Notlagentarifs war es, die Beitragsschuldner vor weiterer Überschuldung zu schützen, gleichzeitig ihre Notfallversorgung zu gewährleisten und das Kollektiv der Versichertengemeinschaft finanziell zu entlasten (Senatsurteil vom - IV ZR 81/18, r+s 2019, 97 Rn. 19 unter Hinweis auf BT-Drucks. 17/13079 S. 6; vgl. auch Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss), BT-Drucks. 17/13947 S. 31). Diese Ziele werden nicht vereitelt, wenn der Versicherer mit rückständigen Prämienforderungen gegen Leistungsansprüche aufrechnet. Vielmehr wird eine weitere Überschuldung des Beitragsschuldners vermieden, wenn Prämienrückstände durch Aufrechnung getilgt werden. Das Ziel einer Notfallversorgung bleibt davon unberührt. Im Übrigen ist gemäß § 193 Abs. 7 Satz 4 VVG ein Wechsel in den oder aus dem Notlagentarif ausgeschlossen. Dem Versicherungsnehmer ist damit eine freie Wahl zwischen Normal- und Notlagentarif verwehrt. Angesichts dieser gesetzlichen Vorgabe spricht nichts dafür, dass die Beendigung des Notlagentarifs und die Rückkehr in den Ursprungstarif vom Willen des Versicherungsnehmers abhängen sollten. Zudem verschließt die gegenteilige Auffassung dem Versicherungsnehmer eine von diesem gewollte Rückkehr in den früheren Tarif, wenn die Prämienrückstände durch Aufrechnung erloschen sind und nicht mehr durch eine Zahlung des Versicherungsnehmers getilgt werden können. Ein derart erzwungener Verbleib im Notlagentarif würde auch den Interessen der Versichertengemeinschaft nicht gerecht.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:290921UIVZR99.20.0

Fundstelle(n):
NJW 2021 S. 3783 Nr. 52
NJW 2021 S. 8 Nr. 44
FAAAH-92924