BVerwG Beschluss v. - 2 VR 3/20

Anforderungen an Abbruch eines beamtenrechtlichen Auswahlverfahrens

Gesetze: Art 33 Abs 2 GG

Gründe

I

1Die Antragstellerin beansprucht die Fortsetzung eines vom Bundesnachrichtendienst (BND) abgebrochenen Auswahlverfahrens für die förderliche Besetzung eines Dienstpostens.

2Die Antragstellerin steht als Regierungsamtfrau (Besoldungsgruppe A 11 BBesO) im Dienst der Antragsgegnerin und wird seit 1994 beim BND beschäftigt. Bei der letzten Regelbeurteilung wurde die Antragstellerin mit der Note "7" bewertet. Am schrieb der BND bei der Abteilung ... den mit der Besoldungsgruppe A 12 BBesO bewerteten Dienstposten ... förderlich aus. Aus haushaltswirtschaftlichen Gründen waren nur Beamtinnen und Beamte der Besoldungsgruppe A 11 BBesO zugelassen. In der Ausschreibung sind als zwingende Vorgaben die Laufbahnbefähigung des gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienstes und eine "mindestens dreijährige Berufserfahrung im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen" genannt.

3Die Bewerbung der Antragstellerin wurde mit der Begründung zurückgewiesen, sie erfülle nicht die in der Ausschreibung genannten zwingenden Anforderungen. Sie könne lediglich 25 anstatt der geforderten 36 Monate Berufserfahrung im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen nachweisen. Auch eine weitere Bewerberin wurde aus diesen Gründen abgelehnt, ein dritter Bewerber mit der Begründung, er habe im aktuellen Regelbeurteilungszeitraum bereits eine Förderung erhalten. Die vierte - und letzte - Bewerberin erfüllte nach Auffassung des BND die zwingenden Anforderungen und wurde angesichts ihrer quotierten Note "8 - Übertrifft die Anforderungen durch ganz überwiegend herausragende Leistungen" ausgewählt. Diese ausgewählte Kandidatin zog jedoch ihre Bewerbung nach einem "Kennenlerngespräch" wieder zurück.

4Mit der Begründung, mangels weiterer Bewerber sei eine Auswahlentscheidung oder die Nachbesetzung des Dienstpostens nicht möglich, wurde die Ausschreibung mit Vermerk vom aus personalwirtschaftlichen Gründen geschlossen. Mit Schreiben vom wurde die Antragstellerin vom BND über die Schließung der Ausschreibung aus personalwirtschaftlichen Gründen informiert. Zur Begründung verwies der BND darauf, dass die Antragstellerin lediglich 25 Monate Berufserfahrung im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen nachweisen könne, sodass ihre Bewerbung nicht weiter im Auswahlverfahren habe betrachtet werden können.

5Zur Begründung ihres am eingegangenen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Fortsetzung des Auswahlverfahrens trägt die Antragstellerin vor: Die Begründung des BND, die Ausschreibung sei aus personalwirtschaftlichen Gründen geschlossen worden, könne mangels Sachvortrags nicht überprüft werden. Unrichtig sei jedenfalls die Annahme des BND, die Antragstellerin erfülle nicht die in der Ausschreibung zwingend genannte Voraussetzung einer mindestens dreijährigen Berufserfahrung im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen. Für die Tätigkeit beim BND auf dem Dienstposten der Besoldungsgruppe A 11 BBesO "Sachbearbeiter im V.", die die Antragstellerin von Anfang 1994 bis Ende Oktober 1999 für insgesamt 47 Monate ausgeübt habe, verlange der Dienst ausweislich der Stellenausschreibung "vertiefte Fachkenntnisse im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen". Dabei habe die Antragstellerin in 95 v.H. der täglichen Gesamtarbeitszeit neben den gesetzlichen Vorgaben zum Vergabewesen auch Richtlinien und Vorgaben zum Haushalts-, Kassen- und Vergabewesen anzuwenden gehabt. Wenn der BND selbst für eine Tätigkeit eines Sachbearbeiters im V. diese vertieften Fachkenntnisse verlange, müsse er die dort angewandten Fachkenntnisse auch als Berufserfahrung anerkennen. Dementsprechend seien die Anforderungen von der Antragstellerin übererfüllt, zum einen 25 Monate in der Z. selbst und 47 Monate im V. Zudem habe die Antragstellerin im Rahmen ihrer vierjährigen Ausbildung im dualen System sowohl praktische als auch theoretische Erfahrungen in diesem Bereich erworben. Der streitgegenständliche Dienstposten wie auch das Referat "V." hätten der gleichen Abteilung des BND angehört.

6Die Antragstellerin beantragt,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das durch Mitteilung vom abgebrochene Auswahlverfahren ... zur Nachbesetzung des Dienstpostens ... mit der Antragstellerin als Bewerberin fortzusetzen.

7Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

8Der Antrag sei unbegründet, weil das Auswahlverfahren rechtmäßig abgebrochen worden sei. Das Auswahlverfahren habe abgebrochen werden können, weil nach dem Rückzug der ausgewählten Bewerberin keiner der anderen Bewerber, auch nicht die Antragstellerin, die zwingenden Vorgaben des am konkreten Dienstposten orientierten Anforderungsprofils erfüllt habe. Die Forderung nach einer mindestens dreijährigen Berufserfahrung im Bereich Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen sei nach Art. 33 Abs. 2 GG zulässig. Hierdurch werde sichergestellt, dass die dem Dienstposten zugewiesenen Aufgaben nahtlos und reibungslos erfüllt werden. Dem Inhaber des Dienstpostens obliege die ordnungsgemäße Abwicklung des gesamten baren und unbaren Zahlungsverkehrs und der Haushaltsbuchführung der Z. Die dafür erforderlichen Kenntnisse bringe nicht jeder Absolvent der Laufbahn für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst mit. Die Kenntnisse und Fähigkeiten müssten aber bereits zu Beginn der Tätigkeit auf dem Dienstposten vorhanden sein. Da es im Interesse der bestmöglichen Erfüllung der Aufgaben des Dienstpostens auf die praktische Erfahrung des Inhabers des Dienstpostens in diesem Bereich ankomme, seien die allgemeinen Kenntnisse nicht ausreichend, die ein Absolvent durch das Durchlaufen der Ausbildung erwerbe. Die Antragstellerin verfüge im maßgeblichen Bereich aber lediglich über eine Berufserfahrung von 25 Monaten. Ihre Tätigkeit im Bereich des V. des BND sei insoweit nicht zu berücksichtigen. Dort gehe es nicht zentral um die Aspekte der Planung, des Vollzugs und der Steuerung des Haushalts. Die formalen Anforderungen an den Abbruch des Verfahrens, wie die Dokumentation der Gründe für den Abbruch und die Information der Antragstellerin, seien erfüllt. Werde die Rechtswidrigkeit des Anforderungsprofils unterstellt, hätte das Auswahlverfahren ebenfalls abgebrochen und mit einer zulässigen Ausschreibung neu in Gang gesetzt werden müssen.

9Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die vom BND übersandten Verwaltungsvorgänge verwiesen.

II

10Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, über den der Senat gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO in erster und letzter Instanz entscheidet, ist zulässig. Die Monatsfrist für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Zugang der Mitteilung über den Abbruch des Verfahrens ist eingehalten (vgl. zur Herleitung der Monatsfrist: 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 24).

11Der Antrag ist aber unbegründet. Zwar folgt der erforderliche Anordnungsgrund aus dem Umstand, dass im Interesse der Rechtssicherheit umgehend zu klären ist, ob die betreffende Stelle doch in dem vom Dienstherrn abgebrochenen Auswahlverfahren zu vergeben ist oder ein weiteres Verfahren eingeleitet werden darf ( 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 22 ff.). Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Antragstellerin die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs auf Fortsetzung des abgebrochenen Auswahlverfahrens nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

12Wegen seines Organisationsermessens kann der Dienstherr ein eingeleitetes Bewerbungs- und Auswahlverfahren aus sachlichen Gründen jederzeit beenden ( - RiA 2012, 29 Rn. 24; 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 16 ff.). Liegt kein solcher Grund für den Abbruch vor, so darf von Verfassungs wegen keine Neuausschreibung erfolgen. Durch eine Auswahlentscheidung in einem neuen Auswahlverfahren werden die Bewerber des ursprünglichen Auswahlverfahrens in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt ( - NVwZ 2012, 366 Rn. 22 f.).

13Ein sachlicher Grund für den Abbruch eines Auswahlverfahrens ist u.a. gegeben, wenn der Dienstherr den unverändert bleibenden Dienstposten weiterhin vergeben will, aber den Ausgang des ersten Auswahlverfahrens als unbefriedigend empfindet oder das bisherige Verfahren nach seiner Einschätzung an nicht behebbaren Mängeln mit der Folge leidet, dass eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht werdende Auswahlentscheidung allein in einem weiteren Auswahlverfahren denkbar erscheint. Insoweit geht es nicht um das dem Art. 33 Abs. 2 GG vorgelagerte Organisationsermessen des Dienstherrn, sondern bereits um das Auswahlverfahren, für das die aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerbungsverfahrensansprüche maßgebend sind. Der vom Dienstherrn für den Abbruch vorgebrachte Grund muss danach den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG genügen ( - BVerfGK 10, 355 <358>; 2 C 6.11 - BVerwGE 145, 185 Rn. 17 und vom - 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 19). Die Rechtmäßigkeit des Abbruchs setzt in diesem Fall ferner voraus, dass die Bewerber hiervon rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen und der wesentliche Abbruchgrund schriftlich dokumentiert wird ( 2 A 7.09 - BVerwGE 141, 361 Rn. 27 f. und vom - 2 A 3.13 - BVerwGE 151, 14 Rn. 20).

14Gemessen hieran ist der Abbruch des Auswahlverfahrens rechtmäßig.

15Die formellen Anforderungen an den Abbruch eines Auswahlverfahrens sind erfüllt. Mit Schreiben vom hat der BND die Antragstellerin über den Abbruch des Auswahlverfahrens informiert und hat dabei auch die in Bezug auf die Antragstellerin maßgeblichen Gründe dargelegt. Die sämtliche Bewerber betreffenden Erwägungen hat der BND im Vermerk vom schriftlich niedergelegt (S. 30 bis 33 der Verwaltungsakte). Von diesen auf die einzelnen Bewerber bezogenen Erwägungen hätte sich die Antragstellerin durch Akteneinsicht Kenntnis verschaffen können.

16Es ist aber auch ein sachlicher Grund für den Abbruch des Auswahlverfahrens anzuerkennen.

17Zu Gunsten der Antragstellerin ist zu unterstellen, dass die Ausschreibung vom nach Maßgabe der Anforderungen des konkreten Dienstpostens - Anforderung einer mindestens dreijährigen Berufserfahrung im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen - zulässig ist. Denn andernfalls wäre der Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf Fortsetzung des abgebrochenen Auswahlverfahrens, von vornherein ausgeschlossen.

18Da Bezugspunkt der Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG nicht der konkrete Dienstposten, sondern das angestrebte Statusamt ist, darf die Auswahl für die Vergabe eines förderlichen Dienstpostens grundsätzlich nicht anhand der Anforderungen dieses konkret-funktionellen Amts vorgenommen werden. Eine Ausnahme hiervon ist nur anzuerkennen, wenn die Wahrnehmung der Aufgaben des Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetzt, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringt und die er sich in angemessener Zeit und ohne zumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung auch nicht verschaffen kann ( 2 VR 1.13 - BVerwGE 147, 20 Rn. 31 m.w.N.). Wäre die Ausschreibung nach diesen Vorgaben - entgegen der Unterstellung - rechtswidrig, hätte das Verfahren - allerdings aus einem anderen Grund als dem, den der BND vorbringt - abgebrochen werden müssen. Gerade wegen dieser Rechtswidrigkeit könnte die Antragsgegnerin nicht im Wege der einstweiligen Anordnung zur Fortsetzung des Auswahlverfahrens verpflichtet werden.

19Die - unterstellt rechtmäßige - Forderung nach einer mindestens dreijährigen Berufserfahrung im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen ist Ausfluss des Organisationsermessens des Dienstherrn. Es ist seine Aufgabe, die Anforderung zu definieren, die der Inhaber eines Dienstpostens jeweils zu erfüllen hat ( - ZBR 2008, 164 <166> m.w.N.).

20Hinsichtlich der Frage, ob ein Bewerber mit seinen bisherigen konkreten Verwendungen beim BND oder in der sonstigen öffentlichen Verwaltung die im "Anforderungsprofil" genannten Voraussetzungen erfüllt, ist aus Gründen der Klarheit und Eindeutigkeit sowie zur Vermeidung von ansonsten drohenden Abgrenzungsproblemen im Einzelfall ein förmliches Begriffsverständnis geboten, das sich (u.a.) auch an der organisatorischen Aufteilung und Zuweisung von Tätigkeitsbereichen in unterschiedliche Referate oder Sachgebiete der Behörde orientieren kann. Diese Sichtweise gewährleistet auch die aus Art. 33 Abs. 2 GG folgende Anforderung, dass der Erwerber ohne Weiteres erkennen kann, welche Anforderungen von allen Bewerbern zwingend zu erfüllen sind ( 2 VR 1.13 - BVerwGE 147, 20 Rn. 49). Andernfalls müsste im Einzelfall und im Detail geklärt werden, ob und inwieweit die von einem Bewerber tatsächlich ausgeübte anderweitige Tätigkeit inhaltlich einer Verwendung in dem im "Anforderungsprofil" genannten dienstlichen Bereich inhaltlich entspricht. Das Vorbringen der Antragstellerin zu ihren Aufgaben und Funktionen im V. sowie zur Vergleichbarkeit mit praktischen Tätigkeiten im Bereich des Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesens wegen der Anwendung der für dieses Gebiet maßgeblichen rechtlichen Grundsätze belegt die sich dann stellenden Schwierigkeiten eindrucksvoll.

21Danach ist es nicht zu beanstanden, dass der BND die Tätigkeit der Antragstellerin im Bereich des V. von 47 Monaten beim Erfordernis einer mindestens dreijährigen Berufserfahrung im Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen nicht berücksichtigt hat. Die beiden Bereiche waren im früheren Referat ... des BND als Sachgebiete organisatorisch voneinander getrennt.

22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Eine Halbierung des Streitwerts scheidet ungeachtet des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aus. Denn für das Begehren auf Fortführung des abgebrochenen Auswahlverfahrens kommt allein der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Betracht. Der Regelstreitwert ist angemessen, weil der Antrag lediglich auf die Fortsetzung des Auswahlverfahrens und nicht bereits auf die Vergabe des Dienstpostens an einen bestimmten Bewerber gerichtet ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2020:290720B2VR3.20.0

Fundstelle(n):
XAAAH-89176