BGH Beschluss v. - VI ZR 544/19

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist für einen mittellosen Revisionsführer: Anwaltliche Pflicht zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Notierung der durch die Bekanntgabe eines Prozesskostenhilfebeschlusses in Lauf gesetzten Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag

Leitsatz

Wird ein Beschluss über die Gewährung von Prozesskostenhilfe dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gemäß § 174 Abs. 1 ZPO gegen Empfangsbekenntnis zugestellt, so hat der Prozessbevollmächtigte bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses anhand der Handakte zu überprüfen, ob eine durch Bekanntgabe dieses Beschlusses in Lauf gesetzte Frist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ordnungsgemäß notiert ist. Unterlässt er dies, so liegt bereits hierin ein Verschulden im Sinne des § 233 Abs. 1 ZPO; unterbleibt infolge des Versäumnisses die rechtzeitige Stellung des Wiedereinsetzungsantrags, so scheidet eine Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist aus (Fortführung Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 Rn. 6; vom - VI ZB 64/09, NJW-RR 2010, 417 Rn. 9; vom - VI ZR 399/01, NJW 2003, 435, 436, juris Rn. 9; , MDR 2019, 1397 Rn. 13 mwN).

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 114 ZPO, §§ 114ff ZPO, § 121 ZPO, § 174 Abs 1 ZPO, § 233 Abs 1 ZPO, § 234 ZPO, § 542 ZPO, § 548 ZPO

Instanzenzug: OLG Celle Az: 11 U 23/18vorgehend LG Verden Az: 4 O 2/16

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt den Beklagten in Zusammenhang mit dem Erwerb einer Kapitalanlage auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Entscheidung des Landgerichts teilweise - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung - abgeändert, den Beklagten zur Zahlung von 20.766,30 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt und festgestellt, dass die Schadensersatzpflicht des Beklagten auf einer vorsätzlich begangenen deliktischen Handlung beruht. Die Revision hat das Berufungsgericht zugelassen.

2Das Berufungsurteil wurde den vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am zugestellt. Mit beim Bundesgerichtshof am eingegangenem Schriftsatz beantragte der beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwalt X. als Prozessbevollmächtigter des Beklagten, diesem Prozesskostenhilfe für das Revisionsverfahren zu gewähren und dem Beklagten ihn, den Prozessbevollmächtigten, gemäß § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen. Mit in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten am eingegangenem und von ihm mit Empfangsbekenntnis unter dem als zugestellt anerkanntem Beschluss vom hat der erkennende Senat diesen Anträgen entsprochen. Auf telefonische Mitteilung der Rechtspflegerin an die Kanzlei des Prozessbevollmächtigten vom , dass bislang kein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingegangen sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit am eingegangenem Schriftsatz beantragt, dem Beklagten Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsfrist und Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsfrist zu gewähren, und zugleich für den Beklagten Revision eingelegt.

3Zur Begründung seines Antrags hat er - unter anwaltlicher Versicherung und Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung seiner Kanzleiangestellten - im Wesentlichen ausgeführt, seine Kanzlei sei mit einer Rechtsanwaltsfachgehilfin und einer Rechtsfachwirtin, Frau B., besetzt. Die eingehende Post werde abwechselnd von der einen oder von der anderen bearbeitet. Beide Mitarbeiterinnen seien darüber informiert, dass im Falle der Gewährung von Prozesskostenhilfe für einen Rechtsmittelführer, bei dem im Hinblick auf den rechtzeitig gestellten PKH-Antrag die Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist versäumt worden seien, innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung beantragt werden müsse und diese Frist mit dem Zugang des Beschlusses über die Gewährung von Prozesskostenhilfe zu laufen beginne. Die Mitarbeiterinnen seien angewiesen, diese Frist mit dem Eingang der PKH-Bewilligungsentscheidung im Termins-/Fristenbuch und im elektronischen Fristenkalender sowie in der Handakte einzutragen. Am Tag des Eingangs des Beschlusses des erkennenden Senats über die Gewährung von Prozesskostenhilfe und seine Beiordnung vom , nämlich dem , habe die Rechtsfachwirtin, Frau B., die eingehende BGH-Post bearbeitet. Sie sei in der Kanzlei seit dem Jahr 2002 angestellt und habe die ihr obliegende Aufgabe der Fristenerfassung und -notierung stets äußerst zuverlässig bewältigt, wovon er, der Prozessbevollmächtigte, sich durch stichprobenweise Kontrolle der Eintragungen im Termins-/Fristenbuch und in der Handakte regelmäßig vergewissere. Im Streitfall habe Frau B. aus ihr selbst und dem Prozessbevollmächtigten unerklärlichen Gründen die Fristennotierung komplett versäumt. Deshalb sei die Wiedereinsetzungsfrist - anders als die im Hinblick auf den Prozesskostenhilfeantrag versäumte und wegen dieses Antrags als "erledigt" vermerkte Revisions- und Revisionsbegründungsfrist, die in den Fristenkalendern eingetragen gewesen seien - nicht erfasst und notiert worden. Erst durch den Anruf vom sei das Versäumnis bemerkt worden.

II.

41. Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsfrist hat keinen Erfolg.

5a) Nach § 234 Abs. 1 ZPO muss die Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist grundsätzlich innerhalb von zwei Wochen beantragt werden; die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Besteht das Hindernis für die Einlegung eines Rechtsmittels darin, dass die betreffende Partei die für die Einlegung des Rechtsmittels erforderlichen Mittel nicht aufzubringen vermag, so entfällt das Hindernis mit Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, so dass der Lauf der Zwei-Wochen-Frist zu diesem Zeitpunkt beginnt (vgl. nur , BGHZ 173, 14 Rn. 10 mwN). Nachdem der PKH-Beschluss dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am zugegangen und der Empfang von ihm unter dem gemäß § 174 ZPO bestätigt wurde, war die Frist zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Revisionsfrist bei Eingang des diesbezüglichen Antrags am bereits abgelaufen.

6b) Die Versäumung dieser Frist erfolgte nicht ohne ein - dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes - Verschulden seines Prozessbevollmächtigten.

7In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für den Fall der Zustellung eines Urteils an einen Rechtsanwalt gegen Empfangsbekenntnis gemäß § 174 ZPO anerkannt, dass ein die Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist ausschließendes Verschulden regelmäßig bereits darin liegt, dass der Prozessbevollmächtigte das Empfangsbekenntnis ohne Überprüfung auch nur der Handakte - durch die das Versäumnis im Streitfall bereits aufgefallen wäre - unterzeichnet und zurückreicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 Rn. 6; vom - VI ZB 64/09, NJW-RR 2010, 417 Rn. 9; vom - VI ZR 399/01, NJW 2003, 435, 436, juris Rn. 9; , MDR 2019, 1397 Rn. 13 mwN). Für die im Streitfall maßgebliche Sachverhaltskonstellation der Zustellung eines Prozesskostenhilfe gewährenden Beschlusses, durch den die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO in Bezug auf eine versäumte Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt, kann nichts anderes gelten. Zwar ist eine förmliche Zustellung des PKH-Beschlusses in diesem Fall - anders als die förmliche Zustellung eines Urteils für den Lauf der Rechtsmittelfrist - keine für den Lauf der Frist notwendige Voraussetzung (vgl. , VersR 1985, 68, 69, juris Rn. 5 mwN). Erfolgt aber eine solche Zustellung, so lässt der das Empfangsbekenntnis unterzeichnende Prozessbevollmächtigte auch hier ihm ohne weiteres zur Verfügung stehende und zumutbare Kontrollmöglichkeiten außer Acht, wenn er das Empfangsbekenntnis unterzeichnet, ohne sich in der Handakte zu vergewissern, dass die nunmehr in Lauf gesetzte Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO für den Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist und Rechtsmitteleinlegung (vgl. § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) ordnungsgemäß notiert ist.

8Auf die von der Revisionserwiderung verneinte Frage, ob die vom Prozessbevollmächtigten für einen solchen Fall allgemein getroffenen organisatorischen Vorkehrungen den diesbezüglichen Anforderungen genügen, kommt es vor diesem Hintergrund im Streitfall nicht mehr an.

92. Scheidet eine Wiedereinsetzung des Beklagten in den vorigen Stand in Bezug auf die Revisionsfrist aus, so ist die Revision des Beklagten als unzulässig zu verwerfen. Denn die nach § 548 ZPO einmonatige Revisionsfrist ist bereits am und damit vor Eingang der Revisionsschrift am abgelaufen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:150920BVIZR544.19.0

Fundstelle(n):
WM 2020 S. 2047 Nr. 43
YAAAH-60194