BGH Beschluss v. - V ZB 99/19

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Unberechtigtes Vertrauen in eine Einwilligung des Gegners in eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 520 Abs 2 S 2 ZPO, § 520 Abs 2 S 3 ZPO

Instanzenzug: Az: I-10 U 21/18vorgehend LG Essen Az: 19 O 55/17

Gründe

I.

1Das Landgericht hat die Beklagte zur Rückübertragung eines ihr im Wege vorweggenommener Erbfolge übertragenen Hausgrundstücks verurteilt. Gegen das ihr am zugestellte Urteil hat sie am Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist ist antragsgemäß bis zum verlängert worden. Am hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, ca. zwei Wochen nach der Entscheidung über den ersten Fristverlängerungsantrag sei bei ihm der Verdacht einer Krebserkrankung festgestellt worden, der sich bestätigt habe. In der Zeit vom 16. bis sei er stationär behandelt worden; wegen der Krebserkrankung sei er bis zum nicht „einsatzfähig“ gewesen. Deshalb sei eine Vielzahl von kurzfristig zu erledigenden Vorgängen vorhanden gewesen; bis zum sei er so gut wie vollständig „ausgebucht“. Mit gleichem Schreiben habe er die gegnerischen Prozessbevollmächtigten um Zustimmung zu einer weiteren Verlängerung gebeten. Am Vormittag des teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Beklagtenvertreter und dem Oberlandesgericht mit, dass er aufgrund einer Weisung der Klägerin dem Ersuchen um Fristverlängerung nicht zustimmen könne. Daraufhin hat die Vorsitzende des Berufungssenats am den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wegen des Fehlens der Zustimmung der Klägerin abgelehnt. Am hat die Beklagte die Berufung begründet und zugleich wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie u.a. darauf hingewiesen, ihr Prozessbevollmächtigter habe nicht damit rechnen können und müssen, dass die Gegenseite vor dem Hintergrund seiner ernsthaften und lebensbedrohlichen Erkrankung der beantragten Fristverlängerung um gerade einmal zwölf Tage nicht zustimmen werde. Das Oberlandesgericht hat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung als für nicht gegeben erachtet und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.

II.

2Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil sie nicht innerhalb der bis zum verlängerten Frist begründet worden sei und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorlägen. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe nach dem Ende seiner nachvollziehbar vorgetragenen und glaubhaft gemachten krankheitsbedingten Verhinderung ab dem keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um die Frist zu wahren. Es sei nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die von ihm in dieser Zeit bearbeiteten Angelegenheiten die gleiche Dringlichkeit aufgewiesen hätten wie die Fertigung der Berufungsbegründungsschrift innerhalb der bereits einmal verlängerten Frist. Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihr Prozessbevollmächtigter auf eine Zustimmung der Gegenseite zu einer weiteren Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist habe vertrauen dürfen. Auch wenn eine Zustimmung zu der beantragten Fristverlängerung angesichts der für den Beklagtenvertreter belastenden Ereignisse ethisch wünschenswert gewesen sein möge, habe hierauf kein Anspruch bestanden. Es sei nicht verständlich, aus welchem Grund sich der Prozessbevollmächtigte erst zwei Tage vor Ablauf der Notfrist um die nach dem Gesetz zwingend erforderliche Zustimmung der Gegenseite bemüht habe, zumal das persönliche Verhältnis zwischen den Prozessparteien bekanntermaßen schwer belastet sei.

III.

3Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil sie unzulässig ist.

41. Das Rechtsmittel ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Es fehlt aber an den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere hat das Berufungsgericht der Beklagten den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung nicht unzumutbar beschwert und deren Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284) nicht verletzt. Die Versagung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die insoweit weder fortzubilden noch zu ergänzen ist.

52. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde durfte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht darauf vertrauen, dass seinem weiteren Verlängerungsantrag stattgegeben werde. Dieses der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden schließt eine Wiedereinsetzung gemäß § 233 Satz 1 ZPO aus.

6a) Da gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist über einen Monat hinaus ohne Einwilligung des Gegners nicht in Betracht kommt, hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten grundsätzlich nur dann eine weitere Verlängerung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten dürfen, wenn er darauf vertrauen durfte, der Gegner werde der erbetenen Zustimmung vor Ablauf der Frist erteilen (vgl. , NJW 2004, 1742). Dies verneint jedoch das Berufungsgericht zu Recht. Jedenfalls im Hinblick auf die auch dem Beklagtenvertreter bekannte schwere Belastung des persönlichen Verhältnisses zwischen den Prozessparteien hätte er in Rechnung stellen müssen, dass die Klägerin nicht bereit war, der Beklagten in prozessualer Hinsicht entgegenzukommen. Insbesondere musste er davon ausgehen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin von dieser eine Weisung einholen würde. Darauf, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aus Gründen der anwaltlichen Kollegialität die Einwilligung erklären würde, ohne dies mit der Klägerin vorher abzustimmen, konnte der Beklagtenvertreter nicht ausgehen. Nicht tragfähig ist zudem die Überlegung der Rechtsbeschwerde, der Beklagtenvertreter habe nicht damit rechnen müssen, dass sich die Klägerin auch ihm gegenüber „in ethisch zu missbilligender Weise und rücksichtslos“ sowie „rechtsmissbräuchlich“ verhalte. Dass dem Beklagtenvertreter Anhaltspunkte für eine Bereitschaft der Klägerin vorlagen, aus Rücksicht auf seine persönliche Situation auf mögliche prozessuale Vorteile im Verhältnis zu der Beklagten zu verzichten, ergibt sich weder aus den Feststellungen des Berufungsgerichts noch wird von der Rechtsbeschwerde entsprechender Vortrag in der Berufungsinstanz aufgezeigt.

7b) Der Beklagtenvertreter konnte auch nicht davon ausgehen, dass die Vorsitzende des Berufungssenats die Berufungsbegründungsfrist ohne Vorliegen der Einwilligung weiter verlängern würde, weil sie die Verweigerung der Einwilligung durch die Klägerin im Hinblick auf die in dem Verlängerungsantrag geschilderten besonderen persönlichen Umstände des Beklagtenvertreters als rechtsmissbräuchlich ansehen werde.

8aa) Ob im Falle einer rechtsmissbräuchlichen Versagung der Einwilligung, die nach dem Wortlaut des § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO für eine über einen Monat hinausgehende Verlängerung zwingend erforderlich ist, die Frist verlängert werden kann, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden (offen gelassen von , NJW 2004, 1742; Beschluss vom - VIII ZB 3/12, WuM 2012, 158 Rn. 5; Beschluss vom - IV ZB 27/14, juris Rn. 15). Im Hinblick auf die ungeklärte Rechtslage konnte der Beklagtenvertreter deshalb nicht auf die Verlängerung vertrauen, selbst wenn ein Fall des Rechtsmissbrauchs gegeben gewesen wäre.

9bb) Unabhängig davon ist die Verweigerung der Einwilligung der Klägerin nicht als rechtsmissbräuchlich zu werten, da es grundsätzlich keine Obliegenheit einer Partei gibt, auf die persönliche Situation des Prozessbevollmächtigten der gegnerischen Partei Rücksicht zu nehmen. Anders kann es liegen, wenn von der Partei zurechenbar ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, der die Erwartung rechtfertigt, die Einwilligung werde erteilt. An einem derartigen Vertrauenstatbestand fehlt es hier jedoch.

103. Da der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hiernach nicht auf eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vertrauen durfte, könnte von einem fehlenden Verschulden an der Fristversäumung nur dann ausgegangen werden, wenn seine Erkrankung derart unerwartet aufgetreten wäre, dass er keine fristwahrenden Maßnahmen mehr treffen konnte. Zu solchen Maßnahmen kann auch die Bestellung eines Vertreters gehören (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 50/15, juris Rn. 7). Dass dies hier nicht möglich oder nicht zumutbar war, hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Insbesondere musste er damit rechnen, dass er nach seinem Krankenhausaufenthalt nicht voll belastbar sein und unter Umständen mehr Fristsachen als gewöhnlich vorfinden würde.

IV.

11Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 6 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:130220BVZB99.19.0

Fundstelle(n):
VAAAH-51917