BGH Beschluss v. - 1 StR 408/17

Beweiswürdigung in einem Strafverfahren wegen Kindesmissbrauchs: Anforderungen an die Darstellung der Aussage des Geschädigten in den Urteilsgründen bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation; Auswirkungen einer Aufhebung der strafrechtlichen Verurteilung auf eine Kompensationsentscheidung wegen überlanger Verfahrensdauer und auf eine Adhäsionsentscheidung

Gesetze: § 176 Abs 1 StGB, § 261 StPO, § 267 Abs 1 StPO, § 358 Abs 2 S 1 StPO, § 403 StPO, §§ 403ff StPO

Instanzenzug: LG Mannheim Az: 7 KLs 714 Js 11596/15 Jugsch

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und davon einen Monat wegen überlanger Verfahrensdauer für vollstreckt erklärt. Zudem hat es den Angeklagten als Adhäsionsbeklagten verurteilt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 € nebst Zinsen an die Adhäsionsklägerin zu zahlen.

2Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen überwiegenden Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

31. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

4An einem nicht feststellbaren Tag im Zeitraum von Oktober 2009 bis Mitte/Ende Dezember 2012 schob der Angeklagte der am geborenen Geschädigten, die beim gemeinsamen Lernen auf seinem Schoß saß, seine Hand unter die Kleidung und rieb damit an ihrer nackten Scheide, um sich sexuell zu stimulieren (Fall II.A.1. der Urteilsgründe).

5Im Zeitraum von Mitte/Ende Dezember 2012 bis Juli 2014 nahm der Angeklagte an im Einzelnen nicht mehr feststellbaren Tagen - in neun Fällen - sexuelle Handlungen an der Geschädigten vor, um sich hierdurch sexuell zu erregen. An mindestens drei Tagen schob der Angeklagte im Zimmer der Geschädigten erneut seine Hand unter die Kleidung des beim Lernen auf seinem Schoß sitzenden Mädchens und rieb damit an dessen nackter Scheide (Fälle II.A.2.a). Möglicherweise Anfang 2014 legte sich der Angeklagte abends nur mit Unterhose und T-Shirt bekleidet im Elternschlafzimmer zu der auf dem Bett liegenden Geschädigten und fasste unter den Schlafanzug, berührte sie an ihren nackten Brüsten und rieb mit seiner Hand an ihrer nackten Scheide (Fall II.A.2.b). An einem anderen Abend zog der Angeklagte - wiederum nur mit Unterhose und T-Shirt bekleidet - die im Elternschlafzimmer auf dem Bett liegende Geschädigte auf sich, sodass sie bäuchlings auf ihm zu liegen kam und verlangte von ihr, vor und zurück zu rutschen; hierbei umfasste er mit seinen Händen ihre Hüfte und dirigierte so die beischlafähnlichen Bewegungen, die bei ihm zu einer Erektion führten (Fall II.A.2.c). An einem weiteren Abend verlangte der Angeklagte von der Geschädigten, seinen Penis anzufassen, nahm ihre Hand und führte diese an sein entblößtes Geschlechtsteil und bedeutete ihr, die Hand hin und her zu bewegen; als er ihre Hand losließ, zog die Geschädigte diese zurück (Fall II.A.2.d). An zwei weiteren Abenden zog der Angeklagte sich und der bäuchlings in ihrem Bett liegenden Geschädigten die Hosen hinunter und rieb seinen nackten Penis an ihrem entblößten Gesäß, bis er zum Samenerguss kam (Fälle II.A.2.e). An einem weiteren Abend rieb der Angeklagte, nachdem er sich und der Geschädigten die Hosen heruntergezogen hatte, seinen nackten Penis an der nackten Scheide der Geschädigten, die bäuchlings oder rücklings im Bett lag (Fall II.A.2.f).

62. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Aussage der Geschädigten gestützt und sich dabei unter anderem auf die inhaltliche Qualität und Konstanz ihrer Angaben im Hinblick auf den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt gestützt.

II.

7Die Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der Verurteilung mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobene Verfahrensrüge nicht ankommt.

8Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

91. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 f.; , NJW 2006, 925, 928).

102. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb lückenhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung und der früheren Aussagen fehlt, so dass die vom Landgericht vorgenommene Inhalts- und Konstanzanalyse revisionsgerichtlich nicht überprüft werden kann.

11Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (Senat, Urteil vom - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111 Rn. 14; , NStZ-RR 2015, 52, 53 Rn. 10).

12Die Darstellung der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung beschränkt sich auf die Mitteilung, die Zeugin habe „die sie betreffenden Sachverhalte ihrem Wahrnehmungsbereich entsprechend so wie festgestellt“ geschildert (UA S. 10). Die Angaben, die die Nebenklägerin zuvor bei der Polizei gemacht hat, werden nicht dargestellt. Auf dieser Grundlage erschöpfen sich die Urteilsgründe im Hinblick auf die Inhaltsanalyse - formelhaft - darin, mitzuteilen, dass die Geschädigte nicht nur über das jeweilige Kerngeschehen, sondern auch über Randdetails und nebensächliche Einzelheiten berichtet habe (UA S. 16) und, dass die Aussage in ihrem Umfang sowie ihrer Detailliertheit, Konkretheit und Differenziertheit ein Niveau aufweise, wie es bei einem Erlebnisbericht über sexuelle Missbrauchshandlungen der festgestellten Art zu erwarten sei (UA S. 17). Die Bekundungen der Nebenklägerin zu den von ihr erhobenen Missbrauchsvorwürfen im Einzelnen, insbesondere konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen und zum psychischen Erleben der Nebenklägerin, werden dabei allerdings nicht mitgeteilt. Im Hinblick auf die Konstanzanalyse beschränken sich die Urteilsgründe auf die Darstellung der Aussageentstehung in zeitlicher Hinsicht (UA S. 6 ff.) und die Wiedergabe und Bewertung einzelner Angaben in der Hauptverhandlung und gegenüber der Polizei, die das Landgericht als inhaltliche Abweichungen bezeichnet, die nicht geeignet seien, Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten zu begründen (UA S. 19 f., 23 f.). Den Urteilsgründen ist hingegen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche im Aussageinhalt nachvollziehbar erklären konnte oder nicht.

13Auf dieser Grundlage kann der Senat insgesamt nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Nebenklägerin zum Kerngeschehen vorgenommen und überdies die dabei von ihm aufgezeigten Abweichungen zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. , NStZ-RR 1997, 172).

143. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.

III.

151. Die Aufhebung des Urteils einschließlich der Feststellungen entzieht vorliegend auch der Kompensationsentscheidung die Grundlage. Sollte der neue Tatrichter erneut zu einer Verurteilung gelangen, wird hinsichtlich der im hier fraglichen Urteil gewährten Kompensation § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu beachten sein (vgl. , NStZ-RR 2017, 213 Rn. 11 mwN).

162. Die Aufhebung des strafrechtlichen Teils des angefochtenen Urteils führt nicht zur Aufhebung der zu Gunsten der Nebenklägerin ergangenen Adhäsionsentscheidung (§ 406a Abs. 3 Satz 1 StPO); dessen Aufhebung bleibt gegebenenfalls dem neuen Tatrichter vorbehalten (vgl. nur , NStZ-RR 2017, 270 Rn. 13; Urteil vom - 3 StR 470/14, StraFo 2016, 25 Rn. 56 mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:201217B1STR408.17.0

Fundstelle(n):
XAAAH-23873