BGH Beschluss v. - VIII ZB 35/17

Berufungsverfahren: Heilung des Formmangel fehlender Unterzeichnung des Berufungsschriftsatzes; Gehörsverletzung bei Nichtberücksichtigung des entsprechenden Klägervortrags

Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 519 ZPO

Instanzenzug: LG Detmold Az: 3 S 44/17vorgehend AG Detmold Az: 6 C 280/16

Gründe

I.

1Der Kläger erwarb vom Beklagten einen gebrauchten BMW 120d und macht geltend, dieser habe ihn beim Abschluss des Kaufvertrages arglistig getäuscht. Wegen eines Minderwerts des Fahrzeugs verlangt der Kläger die Rückzahlung eines Teilbetrages in Höhe von 4.000 € nebst Zinsen.

2Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am zugestellte Urteil mit am beim Landgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz war nicht unterschrieben.

3Die Geschäftsstelle des Landgerichts hat die Kanzlei des klägerischen Prozessbevollmächtigten am telefonisch über die fehlende Unterschrift informiert. Im Rahmen eines am geführten weiteren Telefonats hat die Kanzlei des Klägervertreters mitgeteilt, dass sich dieser bis zum in Urlaub befinde und nach seiner Rückkehr einen unterzeichneten Berufungsschriftsatz an das Gericht übersenden werde. Nach telefonischer Erinnerung durch die Geschäftsstelle ist die unterschriebene Berufungsschrift am per Fax beim Landgericht eingegangen. Mit Schriftsatz vom hat der Klägervertreter die Berufung begründet.

4Das Landgericht hat den Kläger mit Verfügung vom darauf hingewiesen, dass die Berufung verspätet eingegangen sei, weil die unterschriebene Berufung erst am vorgelegen habe. Auch eine Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht, weil die Geschäftsstelle die Kanzlei des Klägervertreters über die fehlende Unterschrift bereits am informiert habe und innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist kein Wiedereinsetzungsgesuch eingereicht worden sei.

5Der Klägervertreter hat in seiner Stellungnahme vom auf eine Mitteilung der Geschäftsstelle verwiesen, wonach die mit der ursprünglichen Berufungsschrift eingereichte beglaubigte Abschrift unterschrieben gewesen sei; hierüber habe ihn die Geschäftsstelle mündlich unterrichtet. Hilfsweise hat er Wiedereinsetzung beantragt.

6Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei dem am eingegangenen Schreiben nicht um eine ordnungsgemäße Berufungsschrift handele, da weder das Schreiben noch ein anderweitig beigefügtes zuzuordnendes Schriftstück von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers unterzeichnet gewesen sei.

7Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

8Die Rechtsbeschwerde führt gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

91. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Denn die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und damit zugleich auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (st. Rspr.; vgl. BVerfG, AnwBl 2015, 976, 977 mwN; Senatsbeschlüsse vom - VIII ZB 22/12, NJW 2013, 237 Rn. 7; vom - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 6; vom - VIII ZB 57/15, NJW 2016, 2042 Rn. 12; vom - VIII ZB 55/15, WuM 2016, 632 Rn. 1; vom - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rn. 9; jeweils mwN).

102. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht durfte das Rechtsmittel des Klägers nicht gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit der Begründung, die vor Ablauf der Einlegungsfrist (§ 517 ZPO) eingereichte Berufungsschrift sei entgegen § 519 ZPO nicht unterzeichnet worden, als unzulässig verwerfen, ohne zuvor dem Vortrag des Klägers nachzugehen, dass die beigefügte beglaubigte Abschrift unterschrieben gewesen sei. Insoweit hätte das Berufungsgericht den Sachverhalt von Amts wegen aufklären müssen.

11a) Ob eine Berufung zulässig ist oder nicht, haben sowohl das Berufungsgericht als auch das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senatsurteil vom - VIII ZR 224/16, NJW 2017, 2285 Rn. 19 mwN).

12Ausgehend vom Vorbringen des Klägers, welches im Rechtsbeschwerdeverfahren zugrunde zu legen ist, war die beglaubigte Abschrift der Berufungsschrift vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unterschrieben, was für eine ordnungsgemäße Einlegung der Berufung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausreichend ist.

13aa) Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers nach § 519 Abs. 4, § 130 Nr. 6 ZPO Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Berufungsschrift. Mit der Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglicht und dessen unbedingter Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsschrift von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 22/12, aaO Rn. 9; vom - XI ZB 16/16, NJW-RR 2017, 760 Rn. 6; vom - XI ZB 25/16, juris Rn. 6; jeweils mwN).

14bb) Von diesem Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich. Denn das Erfordernis der Schriftlichkeit ist kein Selbstzweck. Deshalb dürfen an die Beachtung formeller Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Rechtsschutzbegehrens keine überspannten Anforderungen gestellt werden (, NJW 2005, 2086 unter II 1 d bb; Beschlüsse vom - VI ZB 36/09, aaO; vom - XII ZB 120/06, aaO). Wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, kann das Fehlen einer Unterschrift ausnahmsweise unschädlich sein (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 55/06, NJW-RR 2009, 933 Rn. 8; vom - VI ZB 36/09, juris Rn. 8; vom - XII ZB 120/06, NJW-RR 2008, 1020 Rn. 8).

15Es ist daher in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass der Mangel der Unterschrift in einem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz durch eine gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben werden kann, auf der der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist. Denn dann ist davon auszugehen, dass der Rechtsanwalt die Verantwortung für den Inhalt eines fristwahrenden Schriftsatzes übernommen hat (BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 7/57, BGHZ 24, 179, 180; vom - VI ZB 36/09, aaO; vom - XII ZB 120/06, aaO Rn. 9; vom - II ZB 23/11, NJW 2012, 1738 Rn. 9 mwN).

16b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht hinreichend beachtet. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers zur rechtzeitigen Einreichung einer unterschriebenen beglaubigten Abschrift nicht zur Kenntnis genommen hat. Es hat in seinem Beschluss ausgeführt, dass "weder das Schreiben noch ein anderweitig beigefügtes, zuzuordnendes Schriftstück von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers unterzeichnet war". Auf den Vortrag des Klägers, dass innerhalb der Berufungsfrist nicht nur eine nicht unterzeichnete Urschrift, sondern auch eine vom Klägervertreter unterschriebene beglaubigte Abschrift der Berufung eingereicht und dies auf telefonische Nachfrage von der Geschäftsstelle am bestätigt worden sei, ist es gehörswidrig nicht eingegangen. Mangels Aufklärung des Sachverhalts kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Vortrag zutrifft. Der Berufungsbeklagte, der im Besitz der beglaubigten Abschrift ist, hat dem klägerischen Vortrag nicht widersprochen. Das Berufungsgericht hat, was die Rechtsbeschwerdebegründung ebenfalls zu Recht rügt, weder den Beklagtenvertreter aufgefordert, die beglaubigte Abschrift zu den Akten zu reichen, noch eine dienstliche Stellungnahme der Geschäftsstelle hierzu eingeholt.

173. Der Verwerfungsbeschluss war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO), damit die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen werden können. Der Senat ist nicht gehalten, die fehlenden Feststellungen selbst nachzuholen. Vielmehr ist es schon im Hinblick auf die größere Orts- und Sachnähe sachgerecht, die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen selbst trifft (Senatsurteil vom - VIII ZR 224/16, NJW 2017, 2285 Rn. 30 mwN).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:100418BVIIIZB35.17.0

Fundstelle(n):
CAAAG-88752