BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 2420/15

Nichtannahmebeschluss: Gewährleistung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG) und Grenzen eines Anspruchs auf Anhörung gerichtlicher Sachverständiger im sozialgerichtlichen Verfahren - hier: unzureichende Substantiierung der Verfassungsbeschwerde (§§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG) mangels hinreichender Auseinandersetzung mit jenen Grenzen des Anhörungsanspruchs auf Anhörung eines Sachverständigen

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 118 Abs 1 SGG, § 153 Abs 1 SGG, § 397 ZPO, § 402 ZPO

Instanzenzug: Az: B 2 U 20/15 C Beschlussvorgehend Az: B 2 U 66/15 B Beschlussvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 18 U 364/12 ZVW Urteil

Gründe

1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Feststellung einer Berufskrankheit nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, wobei der Beschwerde-führer namentlich Verletzungen des Rechts auf rechtliches Gehör geltend macht, weil das Landessozialgericht mehreren Beweisanträgen nicht entsprochen und das Bundessozialgericht dies nicht korrigiert habe.

2 Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend substantiiert und schlüssig die Möglichkeit einer Verletzung des Beschwerdeführers in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten aufzeigt.

3 Im Ausgangspunkt zutreffend macht der Beschwerdeführer geltend, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger umfasst (vgl. hierzu und zum Folgenden: BVerfGK 20, 218 <224 f.>; 20, 319 <319 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273 <2273 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2915/14 -, FamRZ 2015, S. 2042 <2043>). Nach § 402 in Verbindung mit § 397 Abs. 1 ZPO, die im Verfahren vor dem Landessozialgericht über § 118 Abs. 1 und § 153 Abs. 1 SGG gelten, sind die Beteiligten berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof und ebenso das Bundessozialgericht haben daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag eines Beteiligten auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger stattzugeben (vgl. hierzu und zum Folgenden neben dem im hiesigen Verfahren ergangenen -, SozR 4-1500 § 160 Nr. 24 die -, BGHZ 6, 398 <400 f.> und vom - VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 <802 f.>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Beteiligten den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten könnten (vgl. -, juris, Rn. 11). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt werde (vgl. -, BGHZ 35, 370 <371>; -, juris, Rn. 9; vgl. zudem - auch zur Rechtsprechung der übrigen obersten Bundesgerichte - BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273 <2273 f.>).

4 Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung eines Sachverständigen-gutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gut-achten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint; dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten: Die mündliche Anhörung eines Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (vgl. BVerfGK 20, 218 <225>; 20, 319 <319 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273 <2274>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2915/14 -, FamRZ 2015, S. 2042 <2043>).

5 Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte die Beteiligten vorrangig darauf verweisen, Fragen und Einwendungen schriftlich vorzutragen, um Sachverständige oder sachverständige Zeugen damit zu konfrontieren; die gegebenenfalls anschließende mündliche Befragung kann möglicherweise aber dann geboten sein, wenn sie sich nicht absehbar in der Wiederholung schriftlicher Äußerungen erschöpft, sondern darüber hinaus einen Mehrwert hat. Auch in diesem Fall ist es verfassungsrechtlich jedoch unbedenklich, wenn die Fachgerichte an die Beantragung mündlicher Sachverständigenbefragungen nicht weniger Anforderungen stellen als an eine schriftliche Befragung, die die Benennung konkreter Fragen und Einwendungen voraussetzt (vgl. BVerfGK 20, 319 <320>).

6 Der Beschwerdeführer hat sich mit diesen Grundsätzen nicht ausreichend befasst. Insbesondere beachtet er weder die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden Grenzen für das (mündliche) Befragungsrecht noch die darin angelegten Differenzierungen zwischen dem Fachrecht und dem Verfassungsrecht. Vielmehr scheint er davon auszugehen, dass ein Fachgericht von Verfassungs wegen einem Antrag, einem Sachverständigen (immer weitere) Fragen zu unterbreiten (und ihn zu deren Beantwortung mündlich anzuhören), in jedem Falle nachkommen müsse. Über diese eher grundsätzlichen Erwägungen hinaus ist auch im Einzelnen die Begründung eines möglichen Verfassungsverstoßes anhand der dargestellten Grundsätze nicht ausreichend ausgeführt.

7 Zudem hätte sich der Beschwerdeführer mit der Frage einer möglichen Verspätung der Beweisanträge auseinandersetzen müssen: Nachdem in der Zeit zwischen der Formulierung der Fragen und der mündlichen Verhandlung weitere Ermittlungen erfolgt waren, musste es sich dem Gericht, soweit sich dies anhand der Darlegungen des Beschwerdeführers beurteilen lässt, nicht aufdrängen, dass sich nach seiner Auffassung die zuvor, zu einem erheblichen Teil sogar vor der zwischenzeitlichen Zurückverweisung der Rechtssache vom Bundessozialgericht an das Landessozialgericht aufgeworfenen Fragen weiter stellten. Dennoch kam der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer erst am Tag der mündlichen Verhandlung wieder auf diese zurück, so dass die Ladung der Sachverständigen nicht mehr möglich war und die mündliche Verhandlung also hätte verschoben oder vertagt werden müssen (vgl. zu diesem regelmäßig maßgeblichen Gesichtspunkt für die Annahme einer Verspätung, gegen den aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern ist: -, juris, Rn. 12), so dass eine Verspätung der Anträge so nahe lag, dass der Beschwerdeführer sich hiermit hätte befassen müssen, obwohl das Landessozialgericht seine Entscheidung hierauf nicht gestützt hat.

8 Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

9 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180502.1bvr242015

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 2950 Nr. 40
PAAAG-85476