BGH Beschluss v. - 1 StR 300/17

Ablehnung eines Richters im Strafverfahren: Eigene Entscheidung des Abgelehnten über das Ablehnungsgesuch

Gesetze: § 26a StPO

Instanzenzug: LG Heilbronn Az: 8 KLs 64 Js 6672/16nachgehend Az: 1 StR 300/17 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum vorsätzlichen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Entscheidung über die Einziehung von Gegenständen getroffen. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten.

2Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 3 StPO und nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Erfolg. Die Revision macht zu Recht geltend, dass das Befangenheitsgesuch vom Landgericht rechtsfehlerhaft gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig verworfen worden ist und es dadurch zu einer Entziehung des gesetzlichen Richters gekommen ist.

I.

3Der Verfahrensrüge liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zu Grunde:

41. Am ersten Hauptverhandlungstag, dem , lehnte der Verteidiger namens des Angeklagten den Vorsitzenden Richter und den richterlichen Beisitzer wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

5Zur Begründung seines Befangenheitsgesuchs nahm der Verteidiger zunächst auf seine im Rahmen einer ersten, später jedoch ausgesetzten Hauptverhandlung gestellten Befangenheitsanträge vom und vom , sowie auf seine Erwiderungen vom und auf die dienstlichen Stellungnahmen der Richter Bezug. Ergänzend führte er als neuen Sachvortrag aus, dass sich eine Befangenheit der Berufsrichter im jetzigen Termin ergebe, da die Terminierung zur nunmehrigen Hauptverhandlung abermals rechtsfehlerhaft und willkürlich erfolgt sei, wobei sich das Gericht wiederum über einen geschaffenen Vertrauenstatbestand hinweggesetzt habe, wie dieser bereits für die frühere Verfahrensterminierung durch das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom beanstandet worden sei. Darüber hinaus machte der Angeklagte geltend, dass die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers mit Beschluss vom gegen seinen ausdrücklichen Willen erfolgt sei, ohne dass die Voraussetzungen hierfür gegeben gewesen seien. Weiter trug der Angeklagte vor, dass der Verteidigung in der Hauptverhandlung das Wort zur Antragstellung nicht erteilt und trotz Beanstandung der Verteidigung und Beantragung eines Gerichtsbeschlusses ein solcher nicht herbeigeführt und protokolliert worden sei. Auch einem Unterbrechungsantrag des Verteidigers zur Beratung mit dem Angeklagten sei nicht nachgekommen worden.

62. Das Landgericht verwarf den Befangenheitsantrag unter Mitwirkung der abgelehnten Richter und der Schöffen gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO mit Beschluss vom als unzulässig. Zur Begründung wurde nach umfangreicher Schilderung des bisherigen Verfahrensablaufs darauf verwiesen, dass sich für die Strafkammer sowohl aus den geschilderten Geschehensabläufen vor und in der Hauptverhandlung als auch aus den gestellten Gesuchen eindeutig ergebe, dass es dem Antragsteller nicht darum gehe, „das Ausscheiden der jeweils abgelehnten Richter zu erreichen oder begründete Anliegen vorzutragen, sondern einzig darum in rechtsmissbräuchlicher Weise das Verfahren zu sabotieren“. Zudem seien „die nunmehr gestellten Gesuche von unwahrem und haltlosem Vorbringen geprägt“. Im Folgenden führte die Strafkammer im Einzelnen aus, weshalb die Ausführungen der Verteidigung zu dem neuen Vorbringen im Ablehnungsgesuch nicht zutreffend seien. Abschließend kam sie zu dem Ergebnis, dass sich nach einer Gesamtbewertung das Prozessverhalten der Verteidigung als dysfunktional darstelle: „Es wird einzig das Ziel verfolgt das Verfahren zu sabotieren und eine Entscheidung in angemessener Zeit zu verhindern.“

II.

7Die zulässig erhobene Verfahrensrüge führt zur Urteilsaufhebung.

8Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO ist gegeben. Bei dem angegriffenen Urteil wirkten Richter mit, nachdem ein gegen sie gerichtetes Ablehnungsgesuch in objektiv nicht vertretbarer Weise nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO verworfen und dadurch der Anspruch des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt worden ist.

91. Ein Befangenheitsantrag kann unter den Voraussetzungen des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO wegen Verschleppungsabsicht nur dann abgelehnt werden, wenn es dem Antragsteller offensichtlich ausschließlich auf eine Verzögerung der Hauptverhandlung ankommt (, NStZ 2004, 630). Die Regelung beinhaltet damit eine Abwehrmöglichkeit gegen exzessiv und rechtsmissbräuchlich gestellte Ablehnungsanträge, die etwa auf völlig haltlose und unzutreffende Vorwürfe gestützt werden (, NStZ-RR 2009, 207) oder die sich aus einer Gesamtwürdigung von Indizien ergeben (vgl. Siolek in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 26a Rn. 24 und Schmitt in Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 26a Rn. 6 mwN).

10Die einer Vereinfachung des Ablehnungsverfahrens dienende Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag entscheidet, wenn keine Entscheidung in der Sache getroffen wird und die Beteiligung des abgelehnten Richters lediglich auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung des Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt (BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 625/01, NJW 2005, 3410 und vom - 2 BvR 1730/06). Die Anwendung des § 26a StPO darf daher nicht dazu führen, dass der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit zum »Richter in eigener Sache« wird. In Fällen, in denen die Frage der Unzulässigkeit nicht klar und eindeutig zu beantworten ist, liegt es daher nahe, das Regelverfahren nach § 27 StPO zu wählen, um jeden Anschein einer solchen Entscheidung in eigener Sache zu vermeiden; denn auf Fälle „offensichtlicher Unbegründetheit“ des Ablehnungsgesuchs darf das vereinfachte Ablehnungsverfahren wegen des sonst vorliegenden Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht ausgedehnt werden. Nur bei einer solch strengen Beachtung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 26a StPO gerät diese Ausnahmeregelung mit der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt (BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 625/01, NJW 2005, 3410 und vom - 2 BvR 1730/06; BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 289/09, wistra 2009, 446 und vom - 3 StR 66/15, StraFo 2015, 458 mwN).

11Dass die abgelehnten Richter zum Beleg der Prozessverschleppungsabsicht das eigene Verhalten im Rahmen des Prozessgeschehens bei der Entscheidung nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO darstellen müssen, macht sie indes noch nicht zu Richtern in eigener Sache (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 289/09, wistra 2009, 446 und vom - 1 StR 544/09, NStZ 2011, 294, jeweils mwN). Hingegen darf der abgelehnte Richter über diese formale Prüfung hinaus nicht an einer näheren inhaltlichen Untersuchung der Ablehnungsgründe auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer offensichtlichen Unbegründetheit mitwirken und sich auf diese Weise zum Richter in eigener Sache machen. Dabei muss die Auslegung des Ablehnungsgesuchs darauf ausgerichtet sein, es seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen, um nicht im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten (, NJW 2005, 3410; , NStZ 2015, 175).

122. Diesen Maßstäben hält die Verwerfung des gegen die Berufsrichter und Schöffen gerichteten Ablehnungsgesuchs als unzulässig nicht stand.

13a) Die Voraussetzungen für eine Verschleppungsabsicht oder eine Verfolgung nur verfahrensfremder Zwecke i.S.d. § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO liegen nicht vor.

14Mit dem am ersten Tag der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsgesuch des Angeklagten wurden mit der aus seiner Sicht rechtsfehlerhaften und willkürlichen Terminierung zur neu angesetzten Hauptverhandlung sowie der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers erkennbar neue Tatsachen vorgebracht, die eine Besorgnis der Befangenheit des Gerichts in der jetzigen Hauptverhandlung begründen konnten. Dass dabei zur Begründung dieses Befangenheitsantrags auf frühere Anträge und Entscheidungen Bezug genommen wurde, steht dem nicht entgegen. Denn erst unter Berücksichtigung des bisherigen Verfahrensablaufs wurde das neue, aus Sicht des Angeklagten die jetzige Befangenheit begründende Verhalten der Berufsrichter nachvollziehbar. Damit kann bereits nicht festgestellt werden, dass es dem Antragsteller offensichtlich bereits am ersten Tag der Hauptverhandlung ausschließlich auf eine Verzögerung des Verfahrens durch einen exzessiv und rechtsmissbräuchlich gestellten Ablehnungsantrag ankam oder ausschließlich verfahrensfremde Ziele verfolgt wurden. Dies umso mehr, als der Angeklagte auf Grund der zeitlichen Grenze des § 25 Abs. 1 StPO gehalten war, sich neu ergebende Anhaltspunkte, die geeignet waren, Zweifel gegen die Unparteilichkeit des Gerichts zu begründen, unmittelbar zu Beginn der neuen Hauptverhandlung geltend zu machen.

15b) Im Übrigen werden mit der Entscheidung auch die dargestellten Grenzen der vom Gesetzgeber nach § 26a StPO ausnahmsweise zugelassenen Verwerfungskompetenz durch das abgelehnte Gericht überschritten. Denn es erfordert eine inhaltliche und keine rein formale Prüfung, ob der vom Angeklagten in seinem Ablehnungsgesuch geltend gemachte neue Sachvortrag aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermochte. Dies wird auch aus der Begründung des Beschlusses vom deutlich, soweit in Bezug auf den neuen Sachvortrag des Angeklagten darauf verwiesen wird, dass „wahrheitswidrige“ oder „unwahre Behauptungen“ aufgestellt würden. Weil die abgelehnten Richter die Entscheidung selbst getroffen haben und damit eine inhaltliche Bewertung des Ablehnungsgesuchs vorgenommen haben, ist der Anwendungsbereich des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO in einer Weise überspannt worden, die im Blick auf die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbar war.

III.

16Der Senat hielt es für angebracht, das Verfahren an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:070917B1STR300.17.0

Fundstelle(n):
JAAAG-72281