BGH Beschluss v. - 2 StR 327/17

Revision in Strafsachen: Notwendige Besetzung der Strafkammer bei Nachholung der Eröffnungsentscheidung in der Hauptverhandlung; Erfordernis der Kenntlichmachung der Qualifikation im Rahmen der Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung in der Urteilsformel

Gesetze: § 29 Abs 1 Nr 1 BtMG, § 76 Abs 1 Halbs 1 GVG, § 203 StPO, § 260 Abs 4 S 1 StPO, § 250 Abs 1 StGB, § 250 Abs 2 Nr 1 StGB, § 253 Abs 1 StGB, § 255 StGB

Instanzenzug: LG Gera Az: 2 KLs 340 Js 25377/16

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, tatmehrheitlich dazu wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwölf Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt.

2Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

31. Hinsichtlich des Tatvorwurfs des vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwölf Fällen ist das Verfahren einzustellen, da es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt.

4a) Die Staatsanwaltschaft erhob wegen des Tatvorwurfs des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 22 Fällen am Anklage zum Amtsgericht Gera. In der Hauptverhandlung vom , in der die Jugendkammer mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt war, übernahm sie das beim Amtsgericht Gera im Zwischenverfahren anhängige Verfahren. Gleichzeitig beschloss sie in der Hauptverhandlung, die Anklage der Staatsanwaltschaft vom zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren vor der „2. Großen Strafkammer“ des Landgerichts Gera zu eröffnen. Darüber hinaus legte sie fest, in der Besetzung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen zu verhandeln. Ferner verband sie das übernommene Verfahren zu dem bei ihr geführten Verfahren. Später beschränkte sie gemäß § 154 Abs. 2 StPO das Verfahren zu diesem Tatkomplex auf die letztlich ausgeurteilten zwölf Fälle.

5b) Der Eröffnungsbeschluss vom ist unwirksam. Insoweit besteht ein Verfahrenshindernis, das zur Einstellung zwingt.

6Für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist die Strafkammer in der Besetzung zuständig, die außerhalb der Hauptverhandlung zu entscheiden hat, also mit drei Berufsrichtern (§ 76 Abs. 1, 1. Halbs. GVG). Schöffen können am Eröffnungsbeschluss nicht mitwirken, da sie mangels Aktenkenntnis nicht das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts im Sinne von § 203 StPO beurteilen können. Auch dann, wenn eine zunächst unterbliebene Eröffnungsentscheidung erst in der Hauptverhandlung nachgeholt werden soll, muss die Strafkammer in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung entscheiden (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom - 2 StR 45/14, BGHSt 60, 248, 250 mwN). Entscheidet sie in einer Besetzung, die für die Beurteilung der Voraussetzungen generell ungeeignet ist, liegt ein Verfahrensfehler vor. Der Eröffnungsbeschluss einer Strafkammer, der nur von zwei statt von drei Berufsrichtern unter Mitwirkung der Schöffen gefasst wurde, ist daher unwirksam (Senat, Urteil vom - 2 StR 45/14, aaO).

7Es mangelt an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss. Die Kammer hat die Eröffnung des Verfahrens wegen des Tatvorwurfs des unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln in 22 Fällen in der Hauptverhandlung mit zwei Berufsrichtern unter Mitwirkung der Schöffen beschlossen. Mangels wirksamen Eröffnungsbeschlusses, der den Prozessgegenstand bestimmt und die Zuständigkeit des Gerichts festlegt, fehlt eine Prozessvoraussetzung für das Hauptverfahren (vgl. , BGHSt 29, 351, 354). Das Verfahren war einzustellen (§ 206a Abs. 1 StPO), soweit es von diesem Mangel betroffen ist.

82. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat, von der Änderung des Schuldspruchs abgesehen, keinen Erfolg.

9a) Nach den Feststellungen des Landgerichts verabredeten der Angeklagte und die Mitangeklagten A.   , F.   und K.    gemeinsam, den später Geschädigten S.    in dessen Wohnung in G.   aufzusuchen, um von diesem Marihuana, gegebenenfalls unter Einsatz von Gewalt, zu erlangen. Der Angeklagte führte ein Springmesser, seine Mittäter jeweils Küchenmesser mit sich.

10Der Mitangeklagte F.    klingelte an der Tür des S.   . Die in der Wohnung mitanwesende Zeugin Ko.    erklärte ihm durch die leicht geöffnete Tür, dass er nicht hereinkomme. F.    drückte die Tür mit Gewalt auf, und alle vier Angeklagten begaben sich in die Wohnung. F.   schlug S.    mit der Faust ins Gesicht. Dieser ging zu Boden, wo ihn F.   weiter schlug und trat. Als Ko.    dazwischen ging, verlangten die Angeklagten die Herausgabe von Marihuana, was Ko.    verweigerte. Daraufhin zogen mindestens drei der vier Angeklagten ihre Messer, woraufhin S.    15 g Marihuana herausgab. Die Angeklagten entfernten sich und teilten das erbeutete Marihuana unter sich auf.

11b) Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Jedoch war der Schuldspruch wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern. Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist rechtsfehlerfrei.

12aa) Die Strafkammer hat sich rechtsfehlerfrei von der mittäterschaftlichen Begehung überzeugt. Es kommt daher im Ergebnis nicht, wie die Revision meint, darauf an, welche der drei Angeklagten ihre Messer bei der Tatausführung gezogen hatten. Denn aufgrund der mittäterschaftlichen Begehung werden die sich ergänzenden Tatbeiträge wechselseitig als jeweils eigene Handlung den Mittätern zugerechnet (, BGHSt 48, 189, 192 mwN; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 25 Rn. 24).

13bb) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen führen zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Schuldspruchberichtigung.

14Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung gemäß §§ 253 Abs. 1, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1, 1. Var. StGB. Wer unter Einsatz einer Waffe einen anderen mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Herausgabe von Drogen nötigt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, macht sich der besonders schweren räuberischen Erpressung schuldig (vgl. Senat, Urteil vom - 2 StR 335/15, juris Rn. 20; Urteil vom - 2 StR 27/16, BGHSt 61, 263, 264; Urteil vom - 2 StR 522/15, NStZ-RR 2017, 111, 112). § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO verlangt dabei die Kennzeichnung der Qualifikation in der Urteilsformel, bei welcher der gegenüber § 250 Abs. 1 StGB erhöhte Unrechtsgehalt zum Ausdruck kommt (vgl. , NStZ-RR 2009, 377 mwN).

15Die weitere tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG bedarf ebenfalls der Abänderung. Infolge der angewandten Gewalt und Drohung haben die Angeklagten die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Marihuana erlangt. Sie konnten frei verfügen und das Marihuana unter sich aufteilen. Sie haben damit den Verschaffenstatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG erfüllt, hinter den der (einfache) Besitz zurücktritt (vgl. Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 29 Teil 11 Rn. 27).

16Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen.

173. Der Straffolgenausspruch unterfällt der Aufhebung.

18a) Der Strafausspruch hat bereits aufgrund der teilweisen Einstellung des Verfahrens keinen Bestand.

19b) Er ist darüber hinaus deshalb fehlerhaft, weil das Landgericht von der Prüfung der Einbeziehung der Vorverurteilung des Angeklagten durch das Amtsgerichts Gera vom abgesehen hat. Nach den Feststellungen hat das Amtsgericht den Angeklagten wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Gera vom zu einer Einheitsjugendstrafe von zehn Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen bleibt offen, ob das Urteil rechtskräftig bzw. ob die gegen den Angeklagten verhängte Einheitsjugendstrafe von zehn Monaten vollstreckt ist. Die Urteilsgründe lassen ferner nicht erkennen, dass die Strafkammer gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 JGG davon abgesehen hat, die abgeurteilten Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen bzw. ob sie sich dieser Möglichkeit bewusst war.

20c) Im Zuge der neuen Hauptverhandlung wird das Landgericht im Hinblick auf die sich beim Angeklagten abzeichnende Suchtproblematik auch eine mögliche Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB, § 7 Abs. 1, 2. Var. JGG) zu prüfen haben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:210917B2STR327.17.0

Fundstelle(n):
CAAAG-62397