BGH Beschluss v. - 5 StR 311/15

Instanzenzug:

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten des Totschlags schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Von der Verhängung einer Jugendstrafe hat es nach § 5 Abs. 3 JGG abgesehen. Das mit der Sachrüge geführte Rechtsmittel des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Nach den landgerichtlichen Feststellungen kam es im Mai/Juni 2014 zu einem Streit zwischen dem 19-jährigen Angeklagten und dem später getöteten M. N. , in dessen Folge N. Anzeige bei der Polizei erstattete. Nachdem der hierüber wütende Angeklagte am Nachmittag vor dem Tattag gegenüber einem Bekannten geäußert hatte, dass er "M. ficke, wenn er ihn sehe", kam es in der Nacht zum zu einem - zufälligen - Aufeinandertreffen des Angeklagten mit N. . Nach einer zunächst verbal und im Anschluss mit Fäusten geführten Auseinandersetzung ging der Angeklagte mit einem Klappmesser auf N. zu und stach mindestens vier Mal auf ihn ein, wobei er mit der Möglichkeit dessen Todes rechnete und sich damit abfand. N. verstarb infolge des hohen Blutverlusts.

3Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte an einer "kombinierten Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 61) auf der Basis einer Lernbehinderung bzw. einer leichten Intelligenzminderung" im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit leidet und infolge dessen seine Steuerungsfähigkeit bei der Tat erheblich vermindert war. Es hat dem Angeklagten eine Gefährlichkeitsprognose gestellt.

42. Der Rechtsfolgenausspruch hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Landgericht die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei belegt hat. Dadurch verliert auch die auf § 5 Abs. 3 JGG gestützte Entscheidung zum Absehen von der Verhängung einer Jugendstrafe ihre Grundlage (vgl. , BGHR StGB § 20 seelische Abartigkeit 6).

5a) Schon die Annahme einer gravierenden Persönlichkeitsstörung ist nicht hinreichend belegt. Angesichts des unspezifischen Störungsbildes (vgl. Dilling/Mombour/Schmidt, Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 9. Aufl., S. 284) hätte es näherer Darlegungen bedurft, um eine Nachvollziehbarkeit und Beurteilung der Schlüssigkeit des Gutachtens der psychiatrischen Sachverständigen zu ermöglichen.

6Soweit das Landgericht im Rahmen der zusammenfassenden Darstellung der Angaben der psychiatrischen Sachverständigen etwa darauf abstellt, der Angeklagte "habe eine dissoziale Verhaltensbereitschaft, die sich insbesondere in nahezu extremer Schuldexternalisierung sowie einer sehr geringen Frustrationstoleranz ausdrücke", zudem spreche sein "impuIsives' aufschießendes und unkontrolliertes Verhalten auch außerhalb des Delinquenzbereichs" für das Vorliegen einer entsprechenden Störung (UA S. 19), so findet dies in den Urteilsgründen keine hinreichende Stütze. Das Landgericht teilt die zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen der Sachverständigen nicht mit. Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen, sind sie nicht zu entnehmen. Insofern wäre insbesondere zu erörtern gewesen, ob und gegebenenfalls wie die bisherige Kriminalität des Angeklagten, die Taten aus unterschiedlichen Deliktsbereichen betrifft, mit der angenommenen Persönlichkeitsstörung in Bezug steht.

7b) Darüber hinaus begegnet die Einordnung der Persönlichkeitsstörung als schwere andere seelische Abartigkeit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es ist zu besorgen, dass das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise davon ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung gemäß ICD-10: F 61 führe ohne weiteres zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB. Das Urteil nimmt insoweit keine eigene wertende Betrachtung des Schweregrades der Störung und ihrer Tatrelevanz vor (vgl. nur mwN). Dieser hätte es im Hinblick auf das Alter des Angeklagten in besonderem Maße bedurft.

83. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der Werdegang des Angeklagten differenzierter als bislang festzustellen sein wird, um die Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB tragfähig vornehmen zu können. Auch die Hintergründe der noch offenen Ermittlungsverfahren zum Nachteil der Eheleute W. , zum Nachteil des J. sowie die Anträge des R. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Angeklagten werden in den Blick zu nehmen sein. Das Verschlechterungsverbot stünde der Verhängung einer Jugendstrafe nicht entgegen (vgl. , BGHR JGG § 5 Abs. 3 Absehen 3).

Fundstelle(n):
BAAAF-67214