BFH Beschluss v. - V B 160/14

Aussetzung der Vollziehung zur Wahrung einheitlicher Rechtsmaßstäbe im summarischen Verfahren

Gesetze: FGO § 69 Abs. 2 Satz 2, FGO § 69 Abs. 3, UStG § 15, AO § 227, AO § 163

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin —GmbH—) machte den Vorsteuerabzug aus Gutschriften für die Lieferung von Edelmetallen geltend. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) ging davon aus, dass die GmbH nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei und erließ entsprechend geänderte Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide April bis Juni 2013. Hiergegen legte die GmbH Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Den Aussetzungsantrag lehnte das FA ab.

2 Demgegenüber hatte der beim Finanzgericht (FG) gestellte Aussetzungsantrag überwiegend Erfolg. Das FG gewährte durch Beschluss vom AdV, machte diese aber von einer Sicherheitsleistung abhängig, die in Höhe eines Teils des streitigen Steueranspruchs zu leisten sei. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens sei offen. Es sei abzuwarten, was sich aus den strafrechtlichen Ermittlungen noch ergebe. Auf die Beschwerde des FA änderte das FG dies durch Beschluss vom dahingehend ab, dass die Vollziehungsaussetzung in Höhe des streitigen Teilbetrages von 85.288,44 € eine Sicherheitsleistung in gleicher Höhe voraussetzt.

3 Mit seiner weitergehenden Beschwerde wendet sich das FA auch gegen die Aussetzungsentscheidung des FG dem Grunde nach. Das FA macht geltend, dass sich aus dem Urteil des Gerichthofs der Europäischen Union (EuGH) vom C-80/11 und C-142/11, Mahagebén und Dávid (BFH/NV 2012, 1404, Umsatzsteuer-Rundschau 2012, 591) keine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ergebe. Die GmbH sei auch nicht den ihr obliegenden Sorgfaltspflichten nachgekommen, da sie Angaben zum Unternehmensort des Leistenden nicht selbst vor Ort überprüft habe. Bei einer derartigen Überprüfung hätte sie festgestellt, dass der Leistende an dem in den Gutschriften angegebenen Ort keinerlei unternehmerische Aktivität entfaltet hatte.

4 II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde des FA ist unbegründet und ist daher durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132 FGO).

5 1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen.

6 Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem , BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; , BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren der AdV gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116, und vom I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter II.2.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, unter II.2.).

7 2. Danach hat das FG ernstliche Zweifel im Ergebnis zu Recht bejaht.

8 a) Der Senat hat es in seinem Beschluss vom V B 14/13 (BFH/NV 2014, 918) als geklärt angesehen, dass zur Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes ein Vorsteuerabzug nur im Billigkeitsverfahren in Betracht kommt (, BFH/NV 2009, 1473).

9 b) Demgegenüber hat der XI. Senat des (BFH/NV 2015, 158) entschieden, dass „Unentschiedenheit oder Unsicherheit…dagegen in der Beurteilung der Rechtsfrage [besteht], ob mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH (vgl. z.B. Urteile vom C-80/11 und C-142/11 —Mahagebén und Dávid—, BFH/NV 2012, 1404, UR 2012, 591 ...) der Leistungsempfänger zum Abzug der Vorsteuerbeträge berechtigt ist, wenn er auf die Angaben des Lieferanten vertraute und sich diese Angaben später als falsch herausstellen (...). Insoweit könnte die Klägerin —obgleich § 15 UStG den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vorsieht und Vertrauensschutzgesichtspunkte deshalb grundsätzlich nicht bei der Steuerfestsetzung nach den gesetzlichen Vorschriften des UStG, sondern ggf. nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163, § 227 AO berücksichtigt werden können (...)— zum Vorsteuerabzug berechtigt sein”.

10 c) Zur Wahrung einheitlicher Rechtsmaßstäbe im summarischen Verfahren und ohne Entscheidung darüber, ob der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung im Hauptsacheverfahren festhält, schließt sich der erkennende Senat dem für Zwecke auf summarischer Grundlage zu treffender Entscheidungen an.

11 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2015 S. 861 Nr. 6
KÖSDI 2015 S. 19351 Nr. 6
NAAAE-87992