BAG Urteil v. - 3 AZR 978/12

Betriebliche Altersversorgung - Berechnung einer Betriebsrente - Versorgungstarifvertrag - Auswirkungen der "außerplanmäßigen" Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum

Gesetze: § 1 BetrAVG, § 159 SGB 6, § 160 SGB 6, § 275c SGB 6, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Offenbach Az: 5 Ca 389/11 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 6 Sa 194/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Betriebsrente und dabei über die Auswirkungen der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum auf die Berechnung seiner Betriebsrente.

2Der im März 1946 geborene, der Gewerkschaft ver.di angehörende Kläger war bei der Bundesanstalt für Flugsicherung (im Folgenden: BFS) beschäftigt. Mit Wirkung zum wurden die Aufgaben der BFS auf die Beklagte übertragen. Die Dienstverhältnisse der Beamten und Angestellten der BFS wurden auf die Beklagte übergeleitet.

3Am 29. August/ schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, der ua. bestimmt:

4Der von der Beklagten mit den Gewerkschaften DAG und ÖTV abgeschlossene Tarifvertrag über die Versorgung für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom (im Folgenden: VersTV 1993) bestimmt ua.:

5§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der nach § 160 SGB VI erlassenen Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2003 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2003) vom (BGBl. I S. 4561) hatte die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten für das Jahr 2003 auf 55.200,00 Euro jährlich und 4.600,00 Euro monatlich festgesetzt. Durch Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom (BGBl. I S. 4637) wurde § 275c in das SGB VI eingefügt. Diese Vorschrift trat zum in Kraft und legte die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten (West) für das Jahr 2003 auf 61.200,00 Euro jährlich und 5.100,00 Euro monatlich fest. Zudem wurden durch § 275c Abs. 3 SGB VI die ungerundeten Ausgangswerte für die Bestimmung der Beitragsbemessungsgrenze des Jahres 2004 festgelegt. Dies hatte und hat zur Folge, dass sich die einmalige stärkere Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze des Jahres 2003 im Ergebnis auch für die folgenden Jahre erhöhend bei der Fortschreibung der Beitragsbemessungsgrenze durch Verordnungen gemäß § 160 SGB VI auswirkte und auswirkt. So wurde die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der wiederum nach § 160 SGB VI erlassenen Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2008 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2008) vom (BGBl. I S. 2797) für das Jahr 2008 auf 63.600,00 Euro jährlich und 5.300,00 Euro monatlich festgesetzt und anschließend durch die Verordnung über maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2009 (Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2009) vom (BGBl. I S. 2336) für das Jahr 2009 auf 64.800,00 Euro jährlich und 5.400,00 Euro monatlich festgesetzt. Infolge der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze für das Jahr 2003 und der daraus resultierenden erhöhten Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung hat sich die gesetzliche Altersrente des Klägers erhöht.

6Im Hinblick auf die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze bemühte sich die Gewerkschaft ver.di als Rechtsnachfolgerin von DAG und ÖTV um Verhandlungen mit der Beklagten mit dem Ziel einer Änderung des VersTV 1993. Zu einer solchen kam es jedoch nicht, vielmehr wurde der VersTV 1993 von der Beklagten zum gekündigt.

7Am vereinbarte die Beklagte mit der Gewerkschaft der Flugsicherung (im Folgenden: GdF) den Tarifvertrag über die Versorgung für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (im Folgenden: VersTV 2005). Dieser trat rückwirkend zum in Kraft. Er trat nach seiner Präambel an die Stelle der Versorgungszusage nach dem Tarifvertrag vom und ist im Wesentlichen wortgleich mit dem VersTV 1993.

8Am vereinbarten die GdF und die Beklagte den Tarifvertrag über die Versorgung für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (im Folgenden: VersTV 2009), der ua. bestimmt:

9Der Kläger befand sich in der Zeit vom bis zum aufgrund eines Vorruhestandsvertrags vom 10./ im Vorruhestand. Dieser Vertrag bestimmt zur betrieblichen Altersversorgung:

10Seit dem bezieht der Kläger Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und betriebliches Altersruhegeld von der Beklagten. Unter Zugrundelegung der in dem Jahr vor dem durchschnittlich geltenden Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung iHv. 63.900,00 Euro (vom bis zum jeweils 5.300,00 Euro pro Monat und vom bis zum jeweils 5.400,00 Euro pro Monat) errechnete die Beklagte ein Altersruhegeld iHv. 1.939,23 Euro monatlich.

11Gegen diese Berechnung hat sich der Kläger unter Berufung auf die in den Urteilen des Senats vom (- 3 AZR 695/08 - BAGE 130, 214 und - 3 AZR 471/07 -) aufgestellten Grundsätze gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, seine Ruhegeldansprüche richteten sich nicht nach dem VersTV 2009 oder dem VersTV 2005, sondern nach dem VersTV 1993. § 5 des Arbeitsvertrags enthalte eine statische Verweisung auf diesen Tarifvertrag. Der VersTV 1993 sei durch die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum lückenhaft geworden. Im Rahmen einer ergänzenden Auslegung sei diese Lücke dahin zu schließen, dass sein Altersruhegeld unter Außerachtlassung der „außerplanmäßigen“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze berechnet werde, wobei der durch die erhöhte Beitragsabführung erworbene Erhöhungsbetrag bei der gesetzlichen Rente anzurechnen sei. Für die Zeit vom bis zum errechne sich ein Differenzbetrag iHv. insgesamt 6.720,00 Euro brutto.

12Der Kläger hat beantragt,

13Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

14Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageanspruch iHv. 4.480,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 160,00 Euro seit dem und den jeweils folgenden Monatsersten bis zum weiter. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger seinen Anspruch auf Berechnung seines Altersruhegelds nach dem VersTV 1993 erstmals auf eine Weitergeltung des VersTV 1993 nach § 4 Abs. 5 TVG gestützt. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

15Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Für die Berechnung des Altersruhegelds des Klägers ist der VersTV 2009 maßgeblich. Der Arbeitsvertrag des Klägers verweist auf den jeweils bei der Beklagten geltenden Versorgungstarifvertrag. Das war bei Eintritt des Versorgungsfalls am der rückwirkend zum in Kraft getretene VersTV 2009. Danach errechnet sich kein höheres als das von der Beklagten gezahlte Altersruhegeld. Der VersTV 2009 ist durch die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze ebenso wenig lückenhaft geworden wie der VersTV 2005. Auf die Weitergeltung des VersTV 1993 nach § 4 Abs. 5 TVG kann der Kläger seinen Anspruch in der Revision nicht stützen.

16I. Das Altersruhegeld des Klägers ist aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien nicht nach dem VersTV 1993, sondern nach dem VersTV 2009 zu berechnen. Der Arbeitsvertrag der Parteien verweist dynamisch auf den jeweils bei der Beklagten geltenden Versorgungstarifvertrag und damit bei Eintritt des Versorgungsfalls am auf den VersTV 2009. Zwar hat die Beklagte das Altersruhegeld des Klägers bei Eintritt des Versorgungsfalls nach dem VersTV 2005 ermittelt und nach dem rückwirkenden Inkrafttreten des VersTV 2009 zum das Altersruhegeld des Klägers nicht neu berechnet. Dies ist jedoch unerheblich, da die Berechnung des Altersruhegelds nach dem VersTV 2005 mit der im Jahr vor dem Eintritt des Versorgungsfalls am durchschnittlich geltenden Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung iHv. 63.900,00 Euro für den Kläger günstiger ist als unter Zugrundelegung der im VersTV 2009 bestimmten Splittinggrenze iHv. 64.800,00 Euro.

171. Der VersTV 2009 wird von der Bezugnahme im Arbeitsvertrag der Parteien erfasst. Dies ergibt die Auslegung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen. Der Kläger unterfällt dem persönlichen Geltungsbereich des in Bezug genommenen VersTV 2009. Das gilt unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits bei Eintritt in den Vorruhestand zum oder erst bei Eintritt in den Ruhestand zum geendet hat. Dies hat der Senat in einem weiteren Rechtsstreit zwischen den Parteien mit Urteil vom entschieden und ausführlich begründet ( - Rn. 26 ff.). Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

182. Es ist unerheblich, dass die Beklagte das Altersruhegeld des Klägers bei Eintritt des Versorgungsfalls am nach dem VersTV 2005 und damit gemäß § 7 Abs. 2, § 6 Abs. 2 iVm. § 4 Abs. 2 VersTV 2005 unter Zugrundelegung der durchschnittlichen Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung in der Zeit vom bis zum iHv. 63.900,00 Euro und nicht unter Zugrundelegung der in § 4 Abs. 2 VersTV 2009 bestimmten Splittinggrenze iHv. 64.800,00 Euro berechnet hat. Da der VersTV 2009 erst am abgeschlossen wurde, galt bei Eintritt des Klägers in den Ruhestand noch der VersTV 2005, auf dessen Grundlage die Beklagte das Altersruhegeld zutreffend berechnet hat. Nach dem VersTV 2009 hätte der Kläger ein geringeres Altersruhegeld zu beanspruchen.

19a) Auf der Grundlage des VersTV 2005 hat die Beklagte das (vorzeitige) Altersruhegeld nach §§ 7 und 6 iVm. § 4 Abs. 2 VersTV 2005 unter Berücksichtigung der im Jahr vor dem Eintritt des Klägers in den Ruhestand durchschnittlich geltenden Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung iHv. 63.900,00 Euro mit 1.939,23 Euro brutto - unstreitig - zutreffend berechnet. Eine andere Berechnung ist nicht deshalb geboten, weil die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung durch § 275c SGB VI mit Wirkung zum „außerplanmäßig“ angehoben worden war. Der VersTV 2005 ist dadurch nicht lückenhaft geworden. Eine ergänzende Auslegung des VersTV 2005 dahingehend, dass das Altersruhegeld des Klägers so berechnet wird, als wäre die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfolgt, kommt daher nicht in Betracht. Die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze hatte auf den VersTV 2005 keine Auswirkungen. Da die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze bei Abschluss des Tarifvertrags bereits erfolgt war, kann die Regelung zur Beitragsbemessungsgrenze in §§ 4 und 6 VersTV 2005 aus der Sicht der Normunterworfenen nur so verstanden werden, dass mit der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung die bei Abschluss des Tarifvertrags gültige und damit die bereits durch § 275c SGB VI angehobene Beitragsbemessungsgrenze gemeint ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien auf eine andere als die zu diesem Zeitpunkt geltende und sich künftig ändernde Beitragsbemessungsgrenze Bezug nehmen wollten ( - Rn. 25).

20b) Die Beklagte war zwar wegen des rückwirkenden Inkrafttretens des VersTV 2009 zum grundsätzlich verpflichtet, das Altersruhegeld des Klägers auf der Grundlage dieses Tarifvertrags neu zu berechnen und dabei die Splittinggrenze iHv. 64.800,00 Euro nach § 4 Abs. 2 VersTV 2009 zugrunde zu legen. Dies hätte wegen des um 900,00 Euro geringeren die Splittinggrenze übersteigenden ruhegeldfähigen Einkommens zu einem geringeren Altersruhegeld geführt, denn diese 900,00 Euro hätten lediglich noch mit einem Steigerungssatz von 0,4 vH und nicht von 1,2 vH in Ansatz gebracht werden können. Die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum hatte auf den VersTV 2009 schon deshalb keine Auswirkungen, weil die Berechnung des Altersruhegelds nach dem VersTV 2009 nicht von der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung abhängt. Der VersTV 2009 legt in § 4 Abs. 2 VersTV 2009 eine eigenständige, von der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung unabhängige Splittinggrenze fest.

21II. Der Kläger kann seinen Klageanspruch auch nicht auf eine ergänzende Auslegung seines Arbeitsvertrags und seines Vorruhestandsvertrags stützen. Beide Verträge enthalten keine Regelung zur Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung und können schon deshalb durch die „außerplanmäßige“ Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung zum nicht lückenhaft geworden sein.

22III. Auf die tarifrechtliche Weitergeltung des VersTV 1993 nach § 4 Abs. 5 TVG kann der Kläger eine abweichende Berechnung seines Altersruhegelds nach dem VersTV 1993 in der Revision nicht stützen. Hierbei handelt es sich um eine in der Revision unzulässige Klageerweiterung (vgl. ausführlich  - Rn. 35 f.). Der Kläger hat die Geltung des VersTV 1993 für die Berechnung seines Altersruhegelds erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch auf die Nachwirkung des zum gekündigten VersTV 1993 nach § 4 Abs. 5 TVG gestützt. Damit hat er einen neuen Streitgegenstand in den Rechtsstreit eingeführt (vgl. hierzu  - Rn. 12 mwN; - 4 AZR 315/04 - zu I 4 der Gründe, BAGE 114, 332). Dies ist in der Revision nicht zulässig. In den Vorinstanzen hatte er seinen Klageanspruch ausschließlich auf die aus seiner Sicht statische Bezugnahme im Arbeitsvertrag auf den VersTV 1993 gestützt. Auf die normative Geltung des VersTV 1993 und dessen Weitergeltung nach § 4 Abs. 5 TVG hatte er sich nicht berufen.

23IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
XAAAE-72466