BFH Beschluss v. - XI B 97/12

Eine angeordnete Beweisaufnahme muss vor Erlass des Urteils wieder beseitigt werden, wenn nicht mehr beabsichtigt ist, den Beweis zu erheben

Gesetze: FGO § 76 Abs. 1 Satz 1, FGO § 96 Abs. 2, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 116 Abs. 3, FGO § 116 Abs. 6

Instanzenzug:

Gründe

1 Die zulässige Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Finanzgericht (FG) gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

2 1. Ein von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachter Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, liegt vor.

3 a) Das FG hat der Klägerin rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) versagt, indem es ihr vor Erlass des Urteils nicht mit der unter den gegebenen besonderen Umständen des Streitfalls gebotenen Klarheit zu erkennen gegeben hat, dass es —entgegen der in dem Schreiben des Vorsitzenden vom angeordneten Anhörung— nicht mehr beabsichtige, den Zeugen B zu vernehmen.

4 b) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entsteht durch einen (förmlichen) Beweisbeschluss eine Verfahrenslage, auf welche die Beteiligten ihre Prozessführung einrichten dürfen. Sie können grundsätzlich davon ausgehen, dass das Urteil nicht eher ergehen wird, bis der Beweisbeschluss vollständig ausgeführt ist. Zwar ist das Gericht nicht verpflichtet, eine angeordnete Beweisaufnahme in vollem Umfang durchzuführen. Will es von einer Beweisaufnahme absehen, muss es zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung vor Erlass des Urteils die von ihm durch den Beweisbeschluss geschaffene Prozesslage wieder beseitigen. Dazu hat es für die Beteiligten unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen, dass es den Beweisbeschluss als erledigt betrachtet (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 26/02, BFH/NV 2003, 343; vom III B 113/09, BFH/NV 2010, 2292; vom X B 4/10, BFH/NV 2012, 958; vom XI B 84/12, BFH/NV 2013, 745, jeweils m.w.N.).

5 c) Im Streitfall wurde von dem Senatsvorsitzenden des FG am angeordnet, Herrn B als Zeugen zu dem „Beweisthema: Absatzbemühungen der Klägerin in den Jahren 2007 bis 2009” zu laden. Mit Schreiben noch vom wurde Herrn B mitgeteilt, er solle in der mündlichen Verhandlung vom als Zeuge zu den Absatzbemühungen der Klägerin in den Jahren 2007 bis 2009 vernommen werden. Mit weiteren Schreiben vom wurden die Beteiligten hiervon unterrichtet.

6 Den Akten des FG kann kein Hinweis an die Beteiligten entnommen werden, dass von der in dem Schreiben des Vorsitzenden angeordneten Zeugeneinvernahme abgesehen werden solle. Vielmehr hatte der Senatsvorsitzende noch mit Schreiben vom —kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung am — den Zeugen B aufgefordert, dessen mit Telefax vom mitgeteilte Verhinderung (längerfristig geplanter Urlaub) nachzuweisen. Auch aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am lässt sich nicht entnehmen, dass das FG zu erkennen gegeben hat, es werde ein Urteil fällen, ohne zuvor den Zeugen B zu hören.

7 d) Ein Hinweis darauf, dass ein Beweisbeschluss nicht oder nicht vollständig ausgeführt werde, kann zwar entbehrlich sein. Hierfür genügt jedoch nicht, dass die Beteiligten allgemein in Betracht ziehen müssen, das FG werde von der Beweisaufnahme absehen. Die Beteiligten können grundsätzlich davon ausgehen, dass das Urteil nicht eher ergehen wird, bis der Beweisbeschluss vollständig ausgeführt ist. Abweichendes kann nur gelten, wenn das Gericht zu Recht davon ausgehen kann, es sei auch aus der Sicht der Beteiligten zweifelsfrei, dass sich eine angeordnete Beweisaufnahme erledigt habe, ohne dass es eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises bedürfe (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2012, 958, und in BFH/NV 2013, 745, jeweils m.w.N.).

8 Entsprechendes gilt unter den besonderen Umständen des Streitfalls für die durch das Schreiben vom unmittelbar vor Durchführung der mündlichen Verhandlung am geweckte Erwartung der Beteiligten, der Zeuge B werde vor dem Ergehen eines Urteils noch vernommen. Das FG durfte nicht davon ausgehen, auch aus Sicht der Beteiligten sei zweifelsfrei gewesen, dass sich die angeordnete Zeugeneinvernahme erledigt habe, nachdem es im Termin die ordnungsgemäße Ladung des Zeugen festgestellt hatte und auf dessen Mitteilung, dass er sich im Urlaub befinde, hinwies.

9 e) Die Klägerin hat diesen Verstoß auch in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 FGO entsprechenden Weise dargelegt. Insbesondere war das Beweisthema (Absatzbemühungen der Klägerin) entscheidungserheblich (Urteil, S. 6).

10 2. Hiernach braucht der Senat nicht mehr auf den von der Klägerin ferner geltend gemachten Verfahrensfehler einzugehen, das FG habe es trotz mehrmaliger Bitte unterlassen, sie auf ausstehende Unterlagen oder unzureichenden Sachvortrag hinzuweisen und damit gegen § 76 Abs. 2 FGO verstoßen und es habe die eingereichten Unterlagen zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen, obgleich es kurz zuvor noch zu deren Beibringung aufgefordert habe.

11 3. Der BFH kann gemäß § 116 Abs. 6 FGO auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverweisen, sofern —wie hier— die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorliegen. Es erscheint sachgerecht, entsprechend dieser Vorschrift zu verfahren, da im Streitfall von einer Revisionsentscheidung keine weitere rechtliche Klärung zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom I B 18/03, BFH/NV 2004, 207; vom II B 107/09, BFH/NV 2010, 938; vom XI B 1/12, BFH/NV 2012, 1170, Rz 19).

12 4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 1791 Nr. 11
PAAAE-45059