BGH Beschluss v. - XI ZB 20/12

Instanzenzug:

Gründe

I.

1 Der Beklagte wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem sein Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Berufung gegen ein Wechselvorbehaltsurteil des Landgerichts zurückgewiesen und die Berufung kostenpflichtig verworfen worden ist.

2 Das Landgericht hat den Beklagten durch Wechsel-Vorbehaltsurteil vom , das dessen Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden ist, zur Zahlung von 370.285,10 € nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Am hat der Beklagte durch seine Prozessbevollmächtigten dagegen Berufung eingelegt, am Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung bis zum beantragt und nach antragsgemäßer Fristverlängerung an diesem Tag die Berufung begründet. Nachdem der Vorsitzende des Berufungssenats am darauf hingewiesen hatte, dass die Frist des § 517 ZPO nicht gewahrt sein dürfte, hat der Beklagte durch seine Prozessbevollmächtigten, denen dieser Hinweis am zugestellt worden ist, mit Schriftsatz vom , eingegangen bei dem Berufungsgericht am , Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist beantragt.

3 Zur Begründung dieses Antrags hat er vorgetragen, die verspätete Einlegung der Berufung beruhe auf dem Fehler einer juristischen Hilfskraft, der Rechtsreferendarin L. , die in der Rechtsanwaltssozietät seiner Prozessbevollmächtigten, der damals die Rechtsanwältinnen Li. und J. (nunmehr F. ) angehört hätten, seit jeweils an zwei Wochentagen gearbeitet habe und mit Notierung und Überwachung der Fristen betraut gewesen sei. Dabei sei nach Posteingang regelmäßig sowohl auf dem Empfangsbekenntnis als auch auf der Urteilsurkunde der gleiche Eingangsstempel angebracht worden. Daraufhin erfolge die Vorlage an die sachbearbeitende Rechtsanwältin, die nach Prüfung das Empfangsbekenntnis mit Datum versehe und unterzeichne. Sodann würden die Schriftstücke an die juristische Hilfskraft mit einer Verfügung der Rechtsanwältin zurückgegeben, unter anderem das Zustelldatum auf der Urteilsausfertigung zu vermerken und dieses sowie das Fristende im Fristenbuch einzutragen.

4 Vom bis habe sich Frau L. , die sich als zuverlässig erwiesen habe, in den schriftlichen Prüfungen des Zweiten Juristischen Staatsexamens befunden. Die sachbearbeitende Rechtsanwältin Li. sei während eines vom 14. Juni bis durchgeführten Urlaubs von Rechtsanwältin F. vertreten worden. Da diese nach einem unvorhergesehenen Krankenhausaufenthalt vom 16. bis noch geschwächt gewesen sei, habe sie am Vorabend des Rechtsreferendarin L. gebeten, sie am trotz der laufenden Prüfungen nachmittags in der Kanzlei zu unterstützen. Da Frau L. erst am Nachmittag in der Kanzlei habe anwesend sein können, habe Rechtsanwältin F. persönlich am die Post vom Wochenende und damit auch das Vorbehalts-Wechselurteil in Empfang genommen. Sie habe das Empfangsbekenntnis nach Prüfung mit Datum und ihrer Unterschrift versehen und mit Telefax an das Landgericht gesandt. Nach Eintreffen von Rechtsreferendarin L. in der Kanzlei am Nachmittag habe sie dieser die ausdrückliche und gesonderte Einzelanweisung erteilt, die Urteilsausfertigung mit dem Eingangsstempel desselben Tages zu versehen, das Zustellungsdatum sowie das Fristende in das Fristenbuch einzutragen, Wiedervorlage eine Woche vor Fristende zu vermerken und danach die Schriftstücke in die Akte einzuordnen. Aufgrund überhöhten Arbeitsanfalls in der Kanzlei und der Doppelbelastung durch das zweite Staatsexamen habe Frau L. versehentlich weder die Urteilsausfertigung mit dem Tagesstempel versehen noch an diesem Tag den Fristeintrag vorgenommen. Dies sei erst am , dem nächsten Arbeitstag von Frau L. in der Kanzlei, mit dem unzutreffenden Datum dieses Tages geschehen.

5 Mit dem angefochtenen Beschluss ist vom Berufungsgericht der Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten kostenpflichtig verworfen worden. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die damalige Prozessbevollmächtigte des Beklagten, Rechtsanwältin F. , treffe ein Verschulden an der Fristversäumung, da sie das Empfangsbekenntnis über die Urteilszustellung unterzeichnet und zurückgegeben habe, obwohl die Eintragung des für den Lauf der Rechtsmittelfrist maßgeblichen Zustellungszeitpunktes und des Fristendes in den Fristenkalender und in die Handakten nicht gewährleistet gewesen sei. Nach der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsreferendarin sei weiter zweifelhaft, ob Rechtsanwältin F. bei Übergabe der Urteilsausfertigung überhaupt eine detaillierte Anweisung erteilt habe. Eine allgemeine Anweisung an die Rechtsreferendarin L. , mit dem Urteil entsprechend zu verfahren, sei ebenso wenig ausreichend gewesen wie die konkrete Anordnung, dieses mit dem Tagesstempel zu versehen und die Berufungsfrist in den Fristenkalender einzutragen. Eine konkrete Anweisung, auf der Urteilsausfertigung und im Fristenkalender den als Zustellungsdatum zu vermerken, sei durch die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht glaubhaft gemacht. Zudem bleibe offen, wo das Originalempfangsbekenntnis verblieben sei.

6 Ungeachtet dessen treffe Rechtsanwältin F. weiter ein Organisationsverschulden, weil sie keine Vorkehrungen zur Überwachung der in mündlicher Form erteilten Anweisung getroffen habe. Zwar brauche ein Rechtsanwalt grundsätzlich nicht die Erledigung jeder konkreten Einzelanweisung zu überwachen. Betreffe diese aber die Notierung einer Rechtsmittelfrist und sei sie nur mündlich erteilt, müssten ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Anweisung vergessen werde und die Fristeintragung unterbleibe. Das Fehlen jeder Sicherung bedeute einen entscheidenden Organisationsmangel.

7 Im Übrigen habe sich Rechtsanwältin F. nach den konkreten Umständen auch nicht darauf verlassen können, dass die Ausführung der von ihr erteilten Anweisung an diesem Tag gewährleistet gewesen sei. Die Rechtsreferendarin L. habe bei ihrem Erscheinen in der Kanzlei bereits die Anstrengungen einer fünfstündigen Examensklausur hinter sich gehabt. Hinzu komme, dass an diesem Tag nach dem Vortrag des Beklagten ein überhöhter Arbeitsanfall in der Kanzlei vorgelegen habe. Zudem sei die Rechtsreferendarin nach den Angaben in ihrer eidesstattlichen Versicherung gesundheitlich stark angeschlagen gewesen und habe wegen eines heftigen Infektes am Vortag sogar den Notdienst bemühen müssen. Bei Vorliegen solcher besonderer Umstände erhöhe sich die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts. Deswegen hätte sich Rechtsanwältin F. vergewissern müssen, dass ihre Anweisung ausgeführt worden ist.

8 Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Beklagte die Aufhebung dieses Beschlusses, die Gewährung von Wiedereinsetzung und die Zurückverweisung des Verfahrens an das Oberlandesgericht.

II.

9 Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom V ZB 11/02, BGHZ 151, 42, 43, vom V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 223 und vom XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 22), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch zur Fortbildung des Rechts noch wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 574 Abs. 2 ZPO) erforderlich. Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts beruht auf einer rechtsfehlerfreien Begründung und verletzt weder den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281).

10 1. Das Berufungsgericht hat die Berufungsfrist rechtsfehlerfrei und von der Rechtsbeschwerde unangegriffen als versäumt angesehen, weil der Beklagte erst am und damit nicht innerhalb der bis zum laufenden Frist Berufung eingelegt hat (§ 517 ZPO).

11 2. Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist rechtsfehlerfrei abgelehnt und seine Berufung verworfen, weil der Beklagte nicht ohne das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) gehindert war, diese Frist einzuhalten (§ 233 ZPO).

12 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung im Grundsatz erst dann unterzeichnen und an das Gericht zurücksenden, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom VI ZR 419/01, NJW 2002, 3782 und vom VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 Rn. 6).

13 Unterlässt der Anwalt dies, so ist er verpflichtet, auf andere Weise dafür zu sorgen, dass die Wiedervorlage der Handakten und die Eintragung im Fristenkalender erfolgen (vgl. , NJW-RR 1993, 1213, 1214). Dafür reicht eine mündlich erteilte Anweisung nur aus, wenn sie kontrolliert wird. Zwar ist ein Rechtsanwalt grundsätzlich nicht verpflichtet, die Erledigung jeder konkreten Einzelanweisung zu überwachen (vgl. , NJW 1992, 574). Im Allgemeinen kann er vielmehr darauf vertrauen, dass eine sonst zuverlässige Büroangestellte auch mündliche Weisungen korrekt befolgt (vgl. , NJW 1988, 1853 sowie Beschlüsse vom - XII ZB 277/11, NJW-RR 2012, 743 Rn. 11 und vom - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689). Bei Eintragung einer Berufungs- oder Berufungsbegründungsfrist müssen jedoch anders als die Rechtsbeschwerde meint in der Anwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die mündliche Einzelanweisung in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt (vgl. BGH, Beschlüsse vom VI ZR 419/01, NJW 2002, 3782, 3783, vom VI ZR 399/01, NJW 2003, 435, 436, vom XI ZB 14/07, [...] Rn. 6, vom VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689 und vom XII ZB 277/11, NJW-RR 2012, 743 Rn. 11). Wenn ein so wichtiger Vorgang wie die Notierung einer Berufungsfrist nur mündlich vermittelt wird, dann begründet das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (vgl. BGH, Beschlüsse vom VII ZB 4/91, NJW 1992, 574, vom VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689 und vom XI ZB 14/07, [...] Rn. 6).

14 b) Der Beklagte hat weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass die Fristenkontrolle im konkreten Fall diesen Anforderungen entsprach.

15 aa) Vielmehr steht nach der eidesstattlichen Versicherung von Rechtsanwältin F. fest, dass diese das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und per Telefax an das Gericht gesandt hat, obwohl weder auf der Urteilsausfertigung noch sonst in den Handakten und auch nicht im Fristenbuch der Zustellungszeitpunkt des landgerichtlichen Urteils vermerkt war. Die Rechtsanwältin hat die notwendigen Eintragungen in die Handakte und im Fristenkalender auch nicht unverzüglich selbst vorgenommen.

16 bb) Rechtsanwältin F. durfte sich auch nicht wie die Rechtsbeschwerde geltend macht statt dessen auf eine mündliche Anweisung an die Rechtsreferendarin L. beschränken, die Urteilsausfertigung mit dem Tagesstempel zu versehen und die Berufungsfrist in dem Fristenkalender einzutragen. Vielmehr musste sie wie ausgeführt zusätzlich organisatorische Vorkehrungen treffen, damit die besonders wichtige Anweisung zur Notierung einer Rechtsmittelfrist nicht übersehen wird. Zu solchen Vorkehrungen hat der Beklagte weder etwas vorgetragen noch ergeben sie sich aus den zur Glaubhaftmachung vorgelegten Erklärungen. Auch die Rechtsbeschwerde trägt nicht vor, durch welche Anweisungen oder allgemeine organisatorische Maßnahmen sichergestellt worden wäre, dass die mündliche Anweisung der Rechtsanwältin zur Notierung der Frist nicht in Vergessenheit gerät.

17 3. Auf die Frage, ob die Weisung von Rechtsanwältin F. darüber hinaus deswegen fehlerhaft gewesen ist, weil sie nach den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen lediglich das Anbringen eines Tagesstempels und nicht den Vermerk des Zustellungsdatums auf der Urteilsausfertigung und dessen Eintragung im Fristenbuch verlangt hat (vgl. dazu , NJW 2002, 3782, 3783), kommt es danach nicht mehr an. Dasselbe gilt für die von der Rechtsbeschwerde angegriffene Auffassung des Berufungsgerichts, Rechtsanwältin F. habe am nicht darauf vertrauen dürfen, Rechtsreferendarin L. werde wie bisher zuverlässig arbeiten, da diese durch die Teilnahme an der schriftlichen Prüfung im juristischen Staatsexamen und eine Erkrankung ersichtlich überlastet gewesen sei (vgl. dazu , NJW 2012, 1591 Rn. 33).

18 4. Da dem Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung infolge der schuldhaften Fristversäumnis seiner Prozessbevollmächtigten, die dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
KAAAE-42353