BGH Urteil v. - 5 StR 411/11

Strafzumessung: Verhängung einer Geldstrafe neben einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe; Berücksichtigung der Haftauswirkungen bei der Kompensationsentscheidung wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung

Gesetze: § 41 StGB, § 46 StGB, § 264 StGB

Instanzenzug: Az: 618 KLs 5/07

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten F.     und W.     wegen Subventionsbetrugs verurteilt. Gegen den Angeklagten F.     hat es eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt und unter Einbeziehung von Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von acht Monaten und fünf Jahren aus einem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Lübeck vom eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten gebildet. Den Angeklagten W.    hat das Landgericht mit einer – zur Bewährung ausgesetzten – Freiheitsstrafe von zwei Jahren sowie mit einer Geldstrafe von 180 Tagesätzen belegt. Hinsichtlich beider Angeklagter hat das Landgericht wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung jeweils fünf Monate der ausgeurteilten Freiheitsstrafe für vollstreckt erklärt.

2Der Angeklagte F.     greift das Urteil mit der Sachrüge – nach Beschränkung in der Hauptverhandlung – im Rechtsfolgenausspruch an. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihren Revisionen, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten werden, gegen die Rechtsfolgenaussprüche beider Angeklagter. Die Rechtsmittel haben – das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gemäß § 301 StPO – lediglich insoweit Erfolg, als die Kompensationsentscheidung des Landgerichts hinsichtlich des Angeklagten F.     abgeändert wird.

31. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Verfahrensrüge, mit der sie die Verletzung des § 257c Abs. 3 StPO beanstandet, ist bereits unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Staatsanwaltschaft verschweigt, wie sie sich selbst (und auch die Verteidigung) zu dem von ihr wiedergegebenen Vorschlag des Gerichts verhalten hat.

42. Die sachlich-rechtlichen Beanstandungen der Staatsanwaltschaft zeigen ebenfalls keinen Rechtsfehler auf.

5a) Die Anwendung des Normalstrafrahmens des § 264 Abs. 1 StGB bei beiden Angeklagten hält sich im Rahmen des tatrichterlich Vertretbaren. Das Landgericht führt eine Reihe gewichtiger Gründe an, die es erlaubten, hier – selbst bei Vorliegen zweier Regelbeispiele – von einer Anwendung des Strafrahmens des § 264 Abs. 2 StGB abzusehen.

6b) Die Staatsanwaltschaft dringt auch mit ihrer weiteren Beanstandung nicht durch, dass die gegen den Angeklagten W.       neben der (zur Bewährung ausgesetzten) Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängte Geldstrafe von 180 Tagessätzen rechtsfehlerhaft sei, weil sich das Landgericht ersichtlich allein von der Überlegung habe leiten lassen, möglichst zu einer aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe zu gelangen. Zwar hat es der Bundesgerichtshof vereinzelt beanstandet, wenn die Höhe einer Freiheitsstrafe ersichtlich durch die Erwägung bestimmt wird, ihre Vollstreckung zur Bewährung aussetzen zu können (, BGHSt 32, 60, 65; , NJW 2004, 2248 insoweit nicht in BGHSt 49, 147 ff. abgedruckt). Einen solchen Ausnahmefall, in dem die Urteilsgründe im Einzelfall eine derartige Besorgnis vermitteln könnten,  vermag der Senat jedoch – in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt – nicht zu erkennen. Die gleichzeitige Verhängung einer Geldstrafe konnte nach § 41 StGB festgesetzt werden, weil sich der Angeklagte W.       durch die Tat zumindest bereichern wollte. Auch nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verfügt er weiterhin über laufende Einnahmen, und die ihm bewilligten Raten ermöglichen ihm – wie der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat – eine Tilgung der Geldstrafe unter Beachtung der Pfändungsfreigrenzen. Der dabei vom Landgericht in Ansatz gebrachte Tagessatz von 50 € lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

73. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten F.      führt – ebenso wie die insoweit zu seinen Gunsten wirkende Revision der Staatsanwaltschaft (§ 301 StPO) – zu einer Änderung der Kompensationsentscheidung; im Übrigen ist sie unbegründet. Das Landgericht hat als Ausgleich für Verzögerungen bei den Angeklagten angeordnet, dass jeweils fünf Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Sie hat das damit begründet, dass die Sache nahezu vier Jahre unbearbeitet blieb.

8Dies begegnet hier deshalb durchgreifenden Bedenken, weil es den individuellen Auswirkungen der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung auf die einzelnen Angeklagten nicht hinreichend Rechnung trägt. Maßstab für die Kompensationsentscheidung ist der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkung all dessen auf den einzelnen Angeklagten (vgl. , NStZ-RR 2011, 239). Hier hätte aber im Blick auf den Angeklagten F.     bedacht werden müssen, dass dieser aufgrund seiner Inhaftierung im besonderen Maße von der Verfahrensverzögerung berührt war, weil er in dieser Phase keine Vollzugslockerungen erlangen konnte, obwohl er Erstverbüßer war. Zwar hat das Landgericht die Haftsituation und insbesondere die nur geringe Reststrafaussetzung schon im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt. Da sie aber als besondere Auswirkung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ein zusätzlich erschwerendes Gewicht verleiht, hätte sich dieser Gesichtspunkt auch im Rahmen der Kompensationsentscheidung auswirken müssen. Um weitere Verzögerungen zu vermeiden, ändert der Senat die Kompensationsentscheidung dahingehend ab, dass bei dem Angeklagten F.    neun Monate der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten.

Basdorf                                          Raum                                      Brause

                        Schneider                                      Bellay

Fundstelle(n):
wistra 2012 S. 232 Nr. 6
SAAAE-06236